Um gelesen zu werden, muss man eine gute Geschichte erzählen. Im Journalismus, aber auch in den Wirtschaftswissenschaften. Die gesammelten Erfahrungen aus fünfzehn Jahren als Kolumnistin.
Meine letzte Kolumne hatte ich eigentlich unserem jüngeren Sohn versprochen. Der Medizinstudent hatte sich fürchterlich aufgeregt über Medienbeiträge, welche den Kampf der jungen Ärztinnen und Ärzte für bessere Arbeitsbedingungen als Lifestyle-Phänomen abtaten. Er hat recht. Natürlich ist die Teilzeitarbeit – so es denn bei der Belastung des medizinischen Personals überhaupt um Teilzeit im herkömmlichen Sinne geht – eine Herausforderung für die medizinische Versorgung. Nur: Es wäre gescheiter, das System anzupassen, als die Menschen umzuerziehen.
Mein Entwurf landete allerdings im Ordner der unvollendeten Texte. Wie schon unzählige vorher, mit denen ich oft tagelang gerungen hatte. Falscher Zeitpunkt, Geschichte passt nicht, Pointe zu banal oder zu kompliziert. Und irgendwie klingen im Scheitern an jenem Text meine ganz persönlichen Erfahrungen von mehr als fünfzehn Jahren Kolumnistin an.
Wirtschaftsthemen ziehen nur selten
Die erste: Kolumnenschreiben – erst recht regelmässig – ist harte Arbeit. Lohnt sich denn die Mühe überhaupt? Ja, sonst hätte ich es kaum so lange gemacht. Ein sorgfältiger Text macht nicht nur zufrieden, sondern geniesst auch etwas mehr Aufmerksamkeit, meistens jedenfalls.
Die zweite: Wirtschaftsthemen sind unsexy. Ausser Skandale. Das ist nichts Neues. Meine Kolumne mit dem grössten Echo, und eine der wenigen, die auch nach zehn Jahren noch zitiert wird, ist ein Text zu ADHS: «Ritalin-Verteufelung als Geschäftsmodell» (Geschäftsmodell, immerhin).
Die fehlende Reichweite ökonomischer Texte betrübt mich, nicht als Volkswirtin, sondern als kritische Bürgerin. Gerade die Pandemie hat gezeigt, (a) wie wichtig volkswirtschaftliche Zusammenhänge sind, (b) dass es zu ihrem Verständnis meist keine höhere Mathematik braucht (c) und dass viele Menschen die Themen eigentlich spannend fänden, aber wegen fehlender Grundlagen – kaum ökonomische Bildung in den Schulen – den Zugang nicht finden.
Die dritte: Eine Kolumne lebt von einer guten Geschichte – oder im Neusprech: dem Narrativ. Meine Familie, die Katzen mitgezählt, dürfte es schätzen, nicht mehr zur Illustration meiner Texte herhalten zu müssen. Erfreulich ist, dass Geschichten erzählen in den letzten zwanzig Jahren auch in der volkswirtschaftlichen Forschungsliteratur wichtiger geworden ist. Etwas weniger erfreulich ist, dass in den Medien ob der guten Geschichte gelegentlich die Analyse vergessengeht.
Kolumnen haben eine kurze Halbwertszeit
Die vierte: Gutes Timing ist (fast) alles. Themen, über die ich gerne geschrieben hätte, fehlten mir nie. Nur hat entweder die Geschichte nicht funktioniert oder häufiger: Der Zeitpunkt war falsch. Der Grat zwischen Themen, über die gerade alle schreiben, und Themen, die momentan grad niemanden interessieren, ist ziemlich schmal. Gelegentlich erhielt ein Text, den erst niemand las, einige Wochen später viel Echo. Allerdings nicht von alleine, sondern unter kräftigem Anschub über soziale Netzwerke.
Das bringt mich zur fünften Erfahrung: Die Halbwertszeit der Kolumnen ist unglaublich kurz. Meine Lieblingsepisode dazu: Ein Journalist dieser Zeitung erkundigte sich kurze Zeit nach Erscheinen einer meiner Kolumnen – damals noch im Hintergrundteil –, ob ich ihm zu genau jenem Thema ein paar Auskünfte geben könne. Meinen Text hatte er nicht gesehen. Vielleicht ist die Tendenz vieler Kolumnenschreiber, ihre Aufsätze in Buchform zu sammeln, nicht der Eitelkeit geschuldet, sondern dem Bemühen, deren Halbwertszeit zu verlängern.
Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sich Kolumnen einfach rezyklieren liessen. Mein Versuch eines Selbstplagiats scheiterte allerdings: Vom ursprünglichen Text blieb nach zwei Tagen nichts mehr übrig, nicht einmal das Thema.
Differenzierungen gehen verloren
Die letzte und wichtigste Erfahrung ist die Bedeutung der Zwischentöne. Eine Kolumne lebt zwar von einer klaren Stellungnahme, aber ihr Charme liegt in den Nuancen der Begründung und den artikulierten Zweifeln der Schreiberin. Und hier liegt ein Problem.
Gemessen an den Reaktionen zu meinen Texten, hat sich der Rückzug in die eigene Blase verstärkt: Zwischentöne werden überhört, und jene in den Antworten sind leiser geworden. Etwas pointierter ausgedrückt: Wer eine andere Meinung hat, bemerkt die Zwischentöne in einem Text nicht, weil sie/er ihn schon gar nicht erst liest. Und wer gleicher Meinung ist, stört sich daran, dass Zwischentöne die klare Bestätigung der eigenen Meinung abschwächen könnten.
Dennoch: Die vielen Rückmeldungen motivieren mich, über meine Zeit als Kolumnistin hinaus Zwischentöne anklingen zu lassen. Nur schon, weil ich den Beitrag für meinen jüngeren Sohn irgendwann und irgendwo nachliefern werde. Versprochen ist versprochen.
Monika Bütler ist Ökonomin, Mitglied mehrerer Stiftungs- und Verwaltungsräte und Honorarprofessorin an der Universität St. Gallen.
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