Rebecca Conway
Gespräche mit Veteranen eines irrsinnigen und menschenverschleissenden Krieges.
«Was bleibt, ist der Kummer, der immense Kummer, der Kummer, überlebt zu haben. Der Kummer des Krieges.» – Bao Ninh, «The Sorrow of War»
Bao Ninh raucht nur noch Kette. Dünne, braune Richmond-Zigaretten. Mit dem Trinken hat er aufgehört. «Ein Leben ohne Whiskey ist ein langweiliges Leben», sagt er. Es war schon immer schwierig, ihn zu treffen, der Schriftsteller lebt zurückgezogen in Hanoi. Er nimmt das Telefon fast nie ab. Sein Freund, der das Treffen arrangiert hat, sagt: «Es ist einfacher, den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei zu erreichen.»
Bao Ninh, 72 Jahre alt, meidet Menschen. Die alten Kameraden vom Krieg, sie trinken zu viel, wenn sie zusammenkommen. Er lebt noch immer in der Nacht. Früher hat er die Nächte durchgeschrieben, getrunken und geschrieben.
Sein einziger Roman erschien 1991: «The Sorrow of War». Ein Roman, das reichte, um ihn zu einem der grossen Schriftsteller Vietnams und Asiens zu machen – und vielleicht wäre er einer der Grossen überhaupt, hätte er seinen zweiten Kriegsroman veröffentlicht, von dem es heisst, die ersten Kapitel seien grossartig. Aber Bao Ninh hat ihn nie veröffentlicht. «The Sorrow of War» ist ein fiebriges Buch über den Soldaten Kien, der während des Vietnamkrieges auf der Seite der Kommunisten gegen die Amerikaner kämpft. Oder wie sie hier in Hanoi sagen: während des amerikanischen Krieges.
Ende April jährt sich der Tag des Kriegsendes zum 50. Mal. Er hatte schon begonnen, bevor die Amerikaner eingriffen. Seit den fünfziger Jahren tobte in Vietnam ein Bürgerkrieg: der kommunistische Norden gegen den amerikafreundlichen Süden. Um den Kommunismus zu besiegen, schickte der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson erst Bomber nach Vietnam und später Truppen, gegen Ende 1965 waren fast 200 000 amerikanische Soldaten in Vietnam, 1968 waren es über eine halbe Million. Es war ein irrsinniger, menschenverschleissender Krieg, er endete am 30. April 1975 mit dem Fall von Saigon, der südvietnamesischen Hauptstadt.
Bao Ninh war 17 Jahre alt, als ihn die nordvietnamesische Armee einzog. 1969, in der blutigsten Phase des Krieges, verliess er Hanoi Richtung Süden, um gegen die Amerikaner zu kämpfen. «Ich hatte Glück. Nur wenige überlebten sechs Jahre. Am Ende des Krieges war ich 23 Jahre alt und der älteste Soldat in meiner Einheit», sagt Bao Ninh. Von den 500 Soldaten in seiner Brigade erlebten nur 10 das Ende des Krieges.
1987 fing er zu schreiben an. Er glaubte, die Menschen um ihn hätten angefangen, den Krieg zu vergessen. Drei Jahre schrieb er. Sein Buch ist ein Labyrinth aus Zeitebenen und Orten; vor dem Krieg, die Kämpfe im Dschungel, die Strassen Hanois danach. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen Kien und seiner Schulfreundin Phuong, die sich im Krieg verlieren und danach wieder finden; aber da ist alles anders, und die Liebe und das Leben haben ihre Unschuld verloren. «Das Los der Liebe», so heisst sein Roman ungefähr auf Vietnamesisch. Bao Ninh ist bis heute nicht ganz glücklich mit dem englischen Titel, «The Sorrow of War», der Kummer des Krieges. «Im Krieg gibt es keinen Platz für Kummer. Nur für Horror.»
Kurz nach seinem Erscheinen kam der Roman über Umwege zu einem englischen Verlag. Er erschien dort 1994. Kritiker verglichen ihn mit Erich Maria Remarques «Im Westen nichts Neues».
Bao Ninh schrieb auch, um ein Gefühl zu ergründen. Es beschlich ihn, wenn er mit seinen alten Kameraden trank. «Wir waren die Gewinner. Aber wir waren alle traurig.» Sein Buch ist ein Roman, aber die Geschichte von Kien ist auch seine eigene und die seiner Kameraden. Auch die Romanfigur Kien schreibt an einem Buch über den Krieg:
«Als er diesen Roman begann – den ersten in seinem Leben –, plante er eine Nachkriegsgeschichte. Er begann mit der Geschichte seiner Truppe zur Bergung der Überreste von Vermissten, bestehend aus Soldaten, die kurz vor der Demobilisierung und der Rückkehr in ein gewöhnliches ziviles Leben standen. Doch unnachgiebig widersetzte sich der Stift seinem Willen. Jede Seite liess eine neue Geschichte des Todes aufleben, eine nach der anderen, und allmählich wirbelten ihn die Geschichten zurück, tief in den primitiven Dschungel des Krieges, still entfachten sie das entsetzliche Schmelzfeuer der Kriegserinnerungen.»
Bao Ninhs Freund sagt, der Autor habe mit seinem Schreiben dem Krieg entkommen wollen. Aber er sei immer tiefer darin versunken. «Ein Tag Krieg reicht, um den Krieg nie mehr zu vergessen», sagt Bao Ninh. Er sass im Dschungel, während die amerikanischen Bomber den Brandstoff Napalm regnen liessen und alles ein Meer aus Feuer wurde.
Was bleibt vom Krieg? Bao Ninh lächelt ob der Frage und schweigt einen Moment. «Das Gute einerseits: Wir wissen, wie schön Frieden ist. Und das Schlechte», sagt er, «so viele Menschen zu töten, ist unnatürlich. Wir brauchten Millionen Jahre, um Menschen zu werden. Und eine einzige Berührung des Krieges löscht alles Menschliche aus.»
Laut offiziellen Zahlen starben im Krieg 58 220 amerikanische Soldaten. Auf der vietnamesischen Seite gibt es nur eine Schätzung der Opfer: eine Million Soldaten, zwei Millionen Zivilisten. 300 000 sind noch immer vermisst, sie warten im Dschungel, bis jemand sie findet.
Bao Ninh hat gesehen, wie Vietnam sich in fünfzig Jahren veränderte. Er hat die Not gesehen nach dem Krieg und den Hunger unter den kommunistischen Dogmatikern in einem isolierten Land. Die Öffnung in den achtziger Jahren, das Wirtschaftswunder – Vietnam wird zwar weiterhin von der Kommunistischen Partei regiert, aber die Wirtschaft floriert, und das Land exportiert fleissig in den Westen. «Fünfzig Jahre sind lang, und fünfzig Jahre sind kurz», sagt Bao Ninh und zündet sich eine weitere Zigarette an. «Vielleicht ist es gut, manche Dinge zu vergessen.» Am 30. April wird in Ho-Chi-Minh-Stadt, so heisst Saigon heute, das Kriegsende mit einer grossen Militärparade gefeiert.
Rückkehr nach Vietnam
Chuck Searcy hat Bao Ninh ein paarmal in Hanoi getroffen. Aber immer wenn sie über den Krieg sprachen, stockte das Gespräch – Bao Ninh werde dann immer so traurig, sagt Searcy.
Searcy, 80 Jahre alt, war im Krieg auf der anderen Seite: Er diente in der amerikanischen Armee. Searcy kämpfte nicht im Dschungel, er analysierte den Krieg in einem Büro in Saigon. Die US-Armee kämpfte einen Krieg der Zahlen. Sie vertraute auf den sogenannten Body-Count – die Idee war, wenn genug Feinde tot seien, würden die Kommunisten schon aufgeben. Einheiten waren angehalten, eine Anzahl Tote abzuliefern. Jene mit einem hohem Body-Count wurden belohnt. Es war eine Ökonomisierung des Krieges, aber die Armeeführung schuf einen Fehlanreiz: Die Soldaten ermordeten Zivilisten, weil jeder Zivilist auch ein Body war, man brauchte nur zu melden, er oder sie habe eine Waffe getragen. Die Zahlen, sie liessen die Amerikaner lange glauben, sie gewännen diesen Krieg. Searcy, der die Zahlen zu Rapporten zusammenfügte, der sah, dass alles aufgeblasen und geschönt war, fragte sich schon bald nach seiner Ankunft in Vietnam: Was machen wir hier eigentlich?
«Wir wussten nicht, wieso wir in Vietnam waren. Wir waren verwirrt», sagt Searcy. Die Soldaten, die in Vietnam ankamen, waren Teenager – das durchschnittliche Alter eines amerikanischen G. I. im Zweiten Weltkrieg war etwa 26 Jahre, im Vietnamkrieg war es 19 Jahre. Searcy durchlief dasselbe Training wie jene, die später im Dschungel kämpften. Ständig wurde man angeschrien, ständig mussten sie antworten mit «Kill, kill, kill». Stanley Kubrick hat in seinem Film «Full Metal Jacket» 1987 den sadistischen Drill-Instruktor und die Entmenschlichung der Rekruten verewigt. Vollgepumpt mit Hass und Angst schickte die amerikanische Armee ihre Soldaten in den vietnamesischen Dschungel.
Searcy verliess die Armee nach den drei Jahren, für die er sich verpflichtet hatte. Er kam 1970 zurück in ein Amerika, in dem die Stimmung gedreht hatte: Die Friedensbewegung war erstarkt, nicht zuletzt nach Bekanntwerden des My-Lai-Massakers. Amerikanische Marines waren 1968 in das vietnamesische Dorf My Lai marschiert, sie mordeten, folterten, vergewaltigten, 504 Zivilisten kamen ums Leben. Proteste gegen den Krieg häuften sich, nicht zuletzt getragen von den Veteranen. Jimi Hendrix hatte in Woodstock die amerikanische Nationalhymne auf seiner E-Gitarre verzerrt. Searcy war dabei, als die Veteranen 1971 ihre Kriegsorden auf die Stufen des Capitols schleuderten.
Searcy war einer der ersten Veteranen, die in den Neunzigern zurück nach Vietnam reisten. Und der erste, der blieb. Seit 1995 lebt er in Hanoi. Er ist in den vergangenen dreissig Jahren so etwas wie der inoffizielle amerikanische Botschafter geworden. Er hat einmal die Pop-Sängerin Sheryl Crow durch Vietnam geführt, er lächelt, wenn er sich daran erinnert.
Später hat er angefangen, Bustouren für amerikanische Veteranen zu organisieren. Einmal im Jahr fährt er mit ihnen durch Vietnam. Für viele ist es das erste Mal, dass sie zurückkommen in das Land, in das sie einst einmarschierten. Die allermeisten sind berührt davon, wie sie empfangen werden. «Ich habe von der vietnamesischen Seite nie Bitternis erlebt», sagt Searcy.
Auf der Tour führt er die Veteranen zu Hilfsprojekten, die sich um die Überreste des Krieges kümmern. Die Amerikaner sind schon lange abgezogen, aber im vietnamesischen Boden befinden sich noch immer Hunderttausende Tonnen nichtexplodierte Bomben, Minen und Granaten. Und dann sind da noch die Folgen von Agent Orange: dem hochgiftigen Herbizid, das aus den amerikanischen Flugzeugen auf den Dschungel regnete, um die Bäume zu entlauben, die den Kommunisten Sichtschutz boten. Kinder in der zweiten und dritten Generation nach dem Krieg werden mit Missbildungen und Erbkrankheiten geboren. Viele dieser Hilfsprojekte waren unterstützt von der amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID und sollten der Versöhnung dienen. Seit die Regierung Trump deren Gelder eingefroren hat, sind mehrere Projekte gestoppt.
Searcy spricht manchmal vor amerikanischen Schülern und auch vor vietnamesischen. Sein Eindruck ist, dass für sie der Vietnamkrieg eine Episode der Vergangenheit ist. Das hiesse auch: Er hat nichts mit ihnen zu tun. Natürlich, in Amerika und Europa bleiben die Protestmusik, die Bücher und die grossartigen Filme – wahrscheinlich wurden wenige Kriege popkulturell so intensiv verwertet wie der Vietnamkrieg. Da ist etwa das psychedelische Werk «Apocalypse Now» von Francis Ford Coppola aus dem Jahr 1979, ein Monument unter den Kriegsfilmen. Aber mittlerweile gibt es neue Kriege. In Hollywood planen sie gerade einen Film über den Fall von Kabul.
In Vietnam bleiben die Museen und Denkmäler, in denen Schüler die Fotos der Helden des Guerillakrieges gegen die «amerikanischen Imperialisten» betrachten können. Es ist das Narrativ eines grossen, schweren Sieges, das wenig Platz lässt für Feinheiten – für die weniger heldenhaften Erfahrungen von Soldaten, die ohne Rücksicht auf Verluste an die Front geschickt wurden. Bao Ninhs Buch «The Sorrow of War» war bis 2006 in Vietnam zensuriert.
Was bleibt vom Krieg? «Ich suche keine Erlösung», sagt Searcy, «aber es wäre eine Erleichterung, wenn die Dinge, die wir erlebt haben, zu etwas Besserem für zukünftige Generationen führten. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Fall ist.»
Auch seine Geschichte ist zu einem Buch geworden. «The Long Reckoning» von George Black. Ein Buch über zwei amerikanische Veteranen, Chuck Searcy und Manus Campbell, die zurück nach Vietnam ziehen, in das Land, das sie einst bekämpften. «Hast du Manus schon getroffen?», fragt Searcy zum Abschluss.
Der Krieg, eingegraben
Wenn man Campbell, 77 Jahre alt, heute sieht, in Hoi An, einem Städtchen an der Küste Vietnams, wie er mit seiner Kamera und der Nickelbrille durch die Gassen schlendert, dann fällt es schwer, ihn mit seinem alten Leben zusammenzubringen. Campbell landete 1967 als 19-Jähriger nur ein paar Kilometer nördlich in Da Nang, einen Tag später schickten sie ihn in den Dschungel. «Der Dschungel, er spricht», sagt Campbell.
Sie marschierten in Einerreihen. Alles war vermint. Ein Sergeant verliess die Einerreihe und kam zu ihm nach vorne. Er trat auf eine Mine und explodierte neben Campbell, und den Mann, der in der Kolonne hinter ihm marschierte, zerriss es gleich mit.
«Veteranen leiden. Aber sie sprechen nicht», sagt Campbell. Er hat Freunde, die einst in der nordvietnamesischen Armee kämpften, bei ihnen hat er dasselbe beobachtet: Sie erzählen nicht, oder nur andeutungsweise, vom Erlebten. Die nächste Generation, in Amerika, in Vietnam, sie will vorwärtsgehen.
Wenn es einen amerikanischen Zwilling zu «The Sorrow of War» gibt, dann ist es «The Things They Carried» von Tim O’Brien. Der Band erschien fast im selben Jahr, 1990, und es gibt Passagen, die sich beinahe identisch lesen: die Nächte im Dschungel, so fremd für die Teenager auf beiden Seiten. Die Dinge, die sie trugen, die Wert hatten: Nähzeug zum Beispiel. Und das Ergründen des Drangs, ihre Kriegsgeschichten viele Jahre später zu Romanen zu machen. Tim O’Brien schreibt, an den Leser gerichtet:
«Ich möchte, dass du fühlst, was ich gefühlt habe. Ich möchte, dass du verstehst, warum die Wahrheit der Geschichte manchmal wahrer ist als die tatsächliche Wahrheit. Hier sind die Tatsachen: Ich war einmal Soldat. Es gab viele Leichen, echte Körper mit echten Gesichtern, aber ich war damals jung, und ich hatte Angst hinzusehen. Und jetzt, zwanzig Jahre später, bleibe ich zurück mit gesichtsloser Verantwortung und gesichtslosem Schmerz.
Hier ist die Geschichte: Er war ein schlanker, toter, fast zierlicher junger Mann von etwa zwanzig Jahren. Er lag in der Mitte eines roten Lehmpfads nahe dem Dorf My Khe. Sein Kiefer steckte in seiner Kehle. Das eine Auge geschlossen, das andere ein sternförmiges Loch. Ich habe ihn getötet.
Was Geschichten tun können, ist, vielleicht, Dinge gegenwärtig zu machen.»
Manus Campbell hat das Buch gelesen. Er hat viele Bücher über den Krieg gelesen, in dem er selber kämpfte. Manchmal schreibt er Gedichte. «Darüber schreiben hilft. Darüber sprechen hilft. Fühlen hilft», sagt Campbell, all das helfe gegen posttraumatische Belastungsstörung. Die Diagnose gibt es erst seit 1980, fünf Jahre nach dem Ende des Vietnamkrieges.
Campbell kommt aus einem irisch-amerikanischen Haushalt in New Jersey. Ein Mann hatte dort keine Angst zu haben. Nach seiner Zeit in Vietnam kam er heim und wurde Polizist und Trinker. Er sagt, es habe Wochen gegeben, da habe er sich nur betäubt, Bier und Wodka im Tiefkühlfach, «so kalt wollte ich es». Beziehungen scheiterten. Und niemand redete, er hatte die Machowelt des Militärs gegen die Machowelt der Polizei getauscht.
Er wollte nichts mehr mit dem Krieg zu tun haben, aber der Krieg hatte sich in ihm eingegraben. Als er 1986 den Film «Platoon» im Kino sah, weinte er zum ersten Mal. Er hat sich die Filmmusik danach als Platte gekauft. Das «Adagio for Strings», sieben Minuten Streichorchester-Crescendo. Er hörte das Stück jeden Tag, und jeden Tag weinte er dazu.
Laut Schätzungen von amerikanischen Veteranengruppen haben sich über 100 000 Vietnamkriegsveteranen das Leben genommen. Das sind mehr Tote als im Krieg selber. Campbell glaubt, die Zahlen seien noch höher, er sah als Polizist die Verkehrsunfälle, betrunkene Vietnamveteranen fuhren mit Hochgeschwindigkeit in den Tod – für ihn waren auch das Suizide. In Vietnam gibt es keine Zahlen zu posttraumatischen Belastungsstörungen, diese sind nicht als Diagnose anerkannt.
Campbell hörte Ende der achtziger Jahre auf zu trinken. Er sprach mit Therapeuten. Er fand zur Meditation. Er gab seinen Beruf auf und lebte von einer Veteranenrente. Sie ermöglichte ihm, zu reisen und zu fotografieren. In den nuller Jahren kam er zurück nach Vietnam. Er hatte Angst, was passieren würde, wenn er erzählte, dass er Amerikaner sei. Aber nichts passierte. Ein Freund sagte zu ihm einmal: «Wir geben dir eine zweite Chance, zu zeigen, wer du wirklich bist.» Er hat eine Vietnamesin geheiratet, Chang, sie führt ein Café am Strand. Campbell bezahlt die Schulbildung von mehreren Kindern in der Umgebung.
«Du musst eine neue Geschichte über dich schreiben.» Er erinnert sich an alles, was im Krieg passiert ist, manchmal braucht er einen Moment, um sich zu sammeln. Aber die Erinnerungen überkommen ihn nicht mehr plötzlich und gewaltig.
Manus Campbell erzählt, aber wer hört ihm noch zu? Manchmal interviewen ihn vietnamesische Journalisten, er sagt dann immer wieder, er habe damals nicht in Vietnam einmarschieren wollen, er habe nicht hier sein wollen, er sei nur noch für Frieden. Seine Geschichte dient den vietnamesischen Journalisten auch als Beweis: Die amerikanischen Soldaten bereuen den Krieg. Campbell glaubt, wenn er nicht in Vietnam leben würde, wenn er noch immer in New Jersey wäre, dann würde ihm niemand zuhören.
In Da Nang, nur ein paar Kilometer die Küste hinauf, wo die Amerikaner landeten, lebte einst eine ganze Gruppe von amerikanischen Rückkehrern. Aber sie sterben nach und nach. Chuck Searcy organisiert diesen Frühling noch einmal eine Veteranen-Tour, es könnte die letzte sein, es sind immer weniger übrig. Auf dem Pass oberhalb von Da Nang kann man die alten Bunker anschauen, die einst die Küste sichern sollten, sie sind mit Gras überwachsen. Man kann hinunterschauen an den langen Strand, wo jetzt Hotelketten ihre Resorts gebaut haben. Der Krieg und die Veteranen, sie sind noch da, aber irgendwie auch nicht.
Was bleibt vom Krieg? Die Bücher, die Filme, die Musik. Die Lektionen, die niemand gelernt hat. Die Bomben und Gifte in Vietnam.
Was bleibt vom Krieg, Manus Campbell? «Geschichten. Millionen von Geschichten.»