Die Gucci-Tasche hat einen Bambushenkel und der Stoffbeutel des Edelsupermarkts Erewhon wird zum Schutzschild: In der dritten Staffel von «The White Lotus» hat die Mode wieder eine gloriose Nebenrolle.
Unter Kaftanen kann man vieles verstecken. Sie flattern, kühlen, umgarnen grosszügig, und mit den oft verschnörkelten Mustern lenken sie auch ab. Nicht zuletzt deswegen sind sie für westliche Urlauberinnen in warmen Gefilden das Kleidungsstück schlechthin.
Sie können aber auch eine trügerische Idylle porträtieren, wie es das palmenbedruckte Exemplar der Schauspielerin Jaclyn Lemon (gespielt von Michelle Monaghan) in der neuen, dritten Staffel der Serie «The White Lotus» tut: Der Himmel auf einem ihrer vielen Gewänder ist so unrealistisch blau, dass nicht einmal der Himmel im Luxusresort auf der thailändischen Insel Ko Samui daran herankommt. Dort ziehen nämlich bald dunkle Wolken auf. Figurativ zumindest.
Lorazepam und Schlangengift
So geht das in der Hit-Serie von HBO, die 2021 erstmals erschien und deren erste zwei Staffeln mit 15 Emmy-Awards ausgezeichnet wurden: Der Regisseur und Drehbuchautor Mike White schickt eine Gruppe Menschen mit viel Geld und überwiegend schrecklichen Persönlichkeiten in die einwöchigen Fünfsterne-Ferien und lässt sie in ihren Unsicherheiten marinieren. Bis (mindestens) jemand austickt. Und (mindestens) jemand stirbt.
Es gleicht einem fiktiven Dschungelcamp für Millionäre. In der neuen Staffel kommen die Prüfungen in Form von «Digital Detox»-Programmen, unbequemen Geschwisterverhältnissen und unheilbringenden Telefonaten. Selbst Eidechsen und giftige Schlangen gibt es. Es ist ein Vergnügen. Für die Zuschauer.
«Wie ein Disneyland für reiche Bohémiens aus Malibu und ihre Lululemon-Yogahosen», beschreibt die Religionsstudentin Piper Ratliff (Sarah Catherine Hook) das thailändische Luxusresort trocken. Sie ist mit ihrer teilweise ätzenden Familie aus North Carolina angereist, um für eine Uni-Arbeit einen buddhistischen Mönch zu interviewen.
Ihre Mutter (Parker Posey) hüllt sich in weite Kleider und den Nebel der Beruhigungstablette Lorazepam; in der Hand trägt sie eine Gucci-Tasche mit Bambushenkel und am Handgelenk wie der Ehemann (Jason Isaacs) eine fette, goldene Uhr. Der älteste Sohn – ein durchtrainierter, dauergeiler Typ, gespielt von Patrick Schwarzenegger – eifert in pastellfarbenen Poloshirts und knitterlosen Leinenhemden seinem Vater nach.
Teurer als Lululemon
Der Disneyland-Vergleich mag zutreffen. Doch in einem Punkt muss man Piper Ratliff korrigieren: Die Leggings der anderen Resortgäste sind bevorzugt noch teurer als die von Lululemon. Getragen werden sie selbstverständlich zum passenden Sport-BH.
Was die Mode angeht, ist in «The White Lotus» nichts dem Zufall überlassen. Zu bedacht sind die Gäste auf Äusserlichkeiten. Die Kostümdesignerin Alex Bovaird nannte es einmal die «Kostümierung des Selbst», die beim Packen für die Ferien mitschwingt: Wer will man sein in dieser einen Woche, an diesem neuen Ort, umgeben von diesen unbekannten Menschen?
Wären gute Vorsätze jemals da gewesen, sie sind in der schwülen Hitze schnell wieder vergessen. Die Kleidung ist lediglich eine Erinnerung daran. Die drei Freundinnen – Jaclyn, Kate (Leslie Bibb) und Laurie (Carrie Coon) – sehen aus, als seien sie einer Cruise-Kollektion oder zumindest der «Vacation Shop»-Abteilung der Luxusmode-Website Mytheresa entsprungen: Sie tragen leicht kitschige Kleider von australischen Resortwear-Marken wie Zimmermann und Alémais. Jaclyn hat auffällig viel von Valentino eingepackt; man vermutet einen Marken-Deal, wie er bei Schauspielerinnen üblich ist.
Für alle drei ist Kleidung auch Sicherheit. Konversationen über Politik beim Nachtessen werden begleitet von nervösem Herumfummeln an der goldenen Armspange, bevor sie möglichst schnell beendet werden. Im Gewusel einer thailändischen Stadt wird die Stofftasche vom kalifornischen Edelsupermarkt Erewhon wie ein Schutzschild an den Körper gepresst.
Nicht aufzufallen unter den Gästen ist das Ziel von Belinda (Natasha Rothwell), der Therapeutin aus der ersten Staffel, die sich von einem Burnout erholt. Sie hüllt sich also in bunte Kleider statt wie die lokalen Angestellten in die beige-blaue Uniform mit Lotusblütenanstecker. Die offenherzige Chelsea aus Manchester (Aimee Lou Wood) scheint hingegen auf einer Mission, zu zeigen, dass es immer noch transparenter und noch gehäkelter geht. Ihr zwielichtiger, viel älterer Freund Rick (Walton Goggins) verweigert sich dem ganzen Erlebnis derweil so sehr, dass er am ersten Tag ein Hemd mit «Mexico»-Aufdruck trägt.
Garderobensatire
«The White Lotus» nimmt die Feriengarderobe, schon seit dem frühen 20. Jahrhundert eine eigene kommerzielle Kategorie, auf die Schippe. Sie verkauft sie aber auch. Um den Start der neuen Staffel herum erscheinen zahlreiche modische Kooperationen mit Marken wie Banana Republic und Abercrombie & Fitch. Die «The White Lotus»-Kollektion von H&M hat gar die Kostümdesignerin Alex Bovaird selbst gestaltet. Mit Strohtaschen und tropisch gemusterten Kaftanen ist sie lose an die Serie angelehnt. Dass die Gäste des Luxusresorts ein solches Fast-Fashion-Geschäft wohl nur im äussersten Notfall betreten würden, bleibt unausgesprochen.
Die Mode ist nur ein Teil der Produktebonanza. Man kann nun packen wie bei «The White Lotus» (dank Koffern von Away), seine Haut schützen wie bei «The White Lotus» (dank Sonnencrème von Supergoop) und schliesslich reisen wie bei «The White Lotus»: Die Luxushotelkette «Four Seasons» verzeichnete als Kulisse der ersten zwei Staffeln in Hawaii und Sizilien laut eigenen Angaben «einen erheblichen Anstieg», was Buchungen und Interesse angeht. Hauptschauplatz der neuen Staffel ist das in einen Hügel eingebettete «Four Seasons Resort» auf Ko Samui. Bis Mai kann man an dessen Bar «White Lotus»-inspirierte Cocktails trinken.
Die Kollektionen und «experiences» machen dasselbe Versprechen, das die Hotelangestellten in Thailand wie ein Mantra wiederholen und das die Serie immer wieder genüsslich demontiert: Dass man seine Geschichte und seine Identität loslassen und dass man sein kann, wer immer man will. Für die Protagonistinnen und Protagonisten scheint die Hoffnung fast verloren. Vielleicht ist für den Rest von uns noch etwas übrig.
Eine neue Folge der dritten Staffel von «The White Lotus» wird jeden Montag auf Sky Show ausgestrahlt.