Die weissrussische «Präsidentschaftswahl» fand ohne ernstzunehmende Gegenkandidaten statt. Der Sicherheitsapparat und Russland haben das Land im Griff.
Alexander Lukaschenko hat sich am Sonntag zum siebten Mal zum Präsidenten Weissrusslands wählen lassen. Nicht nur die Exilopposition spricht von einer Farce. Das Prozedere, das bereits am 21. Januar mit der vorgezogenen Stimmabgabe begann, lässt sich nicht einmal mit grösster Imaginationskraft als demokratische Wahl verstehen. Zugelassen waren nur Kandidaten, die in den Grundzügen den Kurs des 70-jährigen Machthabers teilen und für ihn absolut keine Gefahr darstellen.
Ohne Scham sprachen sich mehrere von ihnen öffentlich für Lukaschenko aus und führten damit ihre Bewerbung um das höchste Amt selbst ad absurdum. Es gibt weder Pluralismus noch Meinungsfreiheit. Die wichtigsten Opponenten des Potentaten sind entweder im Exil oder im Straflager. Selbst das Lesen verbotener Nachrichtenportale und Telegram-Kanäle ist strafbar, jede politische Abweichung wird verfolgt.
Aber Lukaschenko tut so, als schere er sich nicht um das Urteil des Auslands. Ob diese Wahlen vom Westen anerkannt würden oder nicht, sei ihm einerlei, sagte der vom Westen durch Sanktionen abgeschnürte Machthaber an einer mehrstündigen Pressekonferenz am Sonntag in Minsk – und liess zugleich durchblicken, dass er ganz gerne wieder mit der Europäischen Union und auch mit den Vereinigten Staaten ins Gespräch käme.
Kontrast zur Aufbruchstimmung 2020
Allein der Kontrast zu den vorangegangenen Präsidentschaftswahlen vom August 2020 sagt sehr viel aus über die Dramatik der vergangenen viereinhalb Jahre. Weissrusslands Gesellschaft war im Frühjahr und Sommer 2020 bereit für einen grundlegenden Wandel. Zuvor politisch nicht aktive, aber für ihre gesellschaftlichen Positionen geachtete Personen hatten Anspruch auf das Präsidentenamt angemeldet, und überraschend stellten sich Tausende in lange Schlangen, um diesen mit ihrer Unterschrift zur Bewerbung zu verhelfen.
Als die aussichtsreichsten Kandidaten unter offenkundigen Vorwänden festgenommen worden waren, vereinigte sich die Opposition hinter Swetlana Tichanowskaja, der politisch unerfahrenen Ehefrau eines dieser Festgenommenen, und löste Begeisterung in der Bevölkerung aus. Lukaschenko und sein skrupelloser Machtapparat unterschätzten Tichanowskajas Mobilisierungspotenzial. Als er sich von der Wahlkommission erneut zum Sieger mit 80 Prozent der Stimmen ausrufen liess, kam es zu Protesten gegen die Wahlfälschung und Zusammenstössen mit der Polizei.
Für einen Moment schien es, als verliere Lukaschenko den Boden unter den Füssen. Wochenlang zogen Zehn-, ja Hunderttausende friedlich durch Minsk, um Lukaschenkos Abgang zu fordern. Nur mithilfe des Sicherheitsapparats und der Unterstützung durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Preis der totalen Unterwerfung gelang es Lukaschenko, sich an der Macht zu halten. Tichanowskaja wurde ins Exil gedrängt, die letzte in Freiheit verbliebene Oppositionelle Maria Kolesnikowa und andere Politiker und Aktivisten wurden eingesperrt. Tausende von Weissrussinnen und Weissrussen durchliefen Polizeigewalt, Folter und Gefängnisse.
Umfassende Repression
1200 werden weiterhin als politische Gefangene betrachtet. Am Sonntag verhöhnte Lukaschenko sie als gewöhnliche Gesetzesbrecher. Er stopfe niemandem den Mund, aber wer sich strafbar mache, müsse mit den Konsequenzen rechnen. In den vergangenen Monaten entliess er mehrere Dutzend politische Gefangene, nicht aber die prominentesten unter ihnen. Er erlaubte nur, dass Lebenszeichen von ihnen verbreitet wurden, nachdem nicht einmal mehr klar gewesen war, ob sie noch am Leben sind.
Der Repressionsapparat funktioniert erbarmungslos. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs hat Lukaschenko die Zustimmung derer wiederbekommen, die Russland unterstützen. Der Krieg dürfte ihm auch zu einer Schonfrist oder gar dem Plazet Putins für eine Herrschaft auf viele weitere Jahre hinaus verholfen haben. Zwar war Lukaschenko nie ein einfacher Partner für Russland gewesen. Auch weigert er sich, am Krieg gegen die Ukraine mit eigenen Truppen teilzunehmen.
Aber er widersetzte sich nicht der Nutzung Weissrusslands als Aufmarschgebiet, und seine Wirtschaft profitiert von Aufträgen für Russlands Rüstungsindustrie. Die Abhängigkeit von Russland macht ihn für Putin zu einem sicheren Wert. Lukaschenkos Beteuerungen, 2020 zum letzten Mal kandidiert zu haben, lösten sich deshalb in Luft auf. Er kokettiert zwar nach wie vor mit seinem Abgang. Mehrmals war er 2024 darauf zu sprechen gekommen, ja er hatte gar physische Ermüdungserscheinungen zugegeben. Aber richtig ernst scheint es ihm damit nicht zu sein.
Keine Chance für Exilopposition
Die Wahlen würden aus Sorge um ein zu 2020 analoges Szenario als «Spezialoperation» durchgeführt, schrieb der regimekritische Journalist Alexander Klaskowski aus dem Exil. Sie waren kurzfristig vom Sommer auf Ende Januar vorgezogen worden, und die aktive Phase des Wahlkampfs dauerte nur knapp vier Wochen, von denen mindestens eine noch in die Neujahrsferien fiel. Umso absurder war es, dass hohe Funktionäre des Sicherheitsapparats die Gefahren eines von aussen gesteuerten Umsturzes an die Wand malten.
Dank brutaler Repression hält sich Lukaschenko an der Macht. Die Exilopposition ist hilflos und ohne Rückhalt im Land. Und sollte das nicht genügen, stünde Russland bereit, zu verhindern, dass ihm das strategisch wichtige Weissrussland entgleitet.