Der Internationale Währungsfonds regt eine «moderate Lockerung» der deutschen Schuldenbremse an. Für den liberalen Finanzminister kommt der Ratschlag zur Unzeit.
Auf diese Ratschläge hätte der liberale deutsche Finanzminister Christian Lindner gerade jetzt wohl gern verzichtet: Mitten in die regierungsinternen Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2025 platzt der Internationale Währungsfonds (IWF) mit Empfehlungen zur Lockerung der Schuldenbremse und zu Steuererhöhungen. Beides lehnt der Minister zusammen mit seiner Partei vehement ab, stattdessen fordert er von seinen Kabinettskollegen Vorschläge zur Begrenzung der Ausgaben.
Die Logik des IWF
Für beides aber gibt es immer wieder Forderungen der beiden anderen Parteien der Regierungskoalition, der Sozialdemokraten und der Grünen. Nun schlägt auch der IWF (erneut) in diese Kerbe. Der am Dienstag veröffentlichte Bericht über den jährlichen «Gesundheitscheck» (Artikel-IV-Konsultation), den eine IWF-Delegation in der zweiten Maihälfte in Deutschland durchgeführt hat, verweist auf einen mittelfristigen steigenden Ausgabendruck infolge der Alterung der Gesellschaft und für die Verteidigung. Zudem seien weitere substanzielle Steigerungen der Investitionen nötig, um die Infrastruktur in kritischen Bereichen wie Verkehr, Energie und Kommunikation zu verbessern – auch wenn die öffentlichen Investitionen in den letzten Jahren bereits erhöht worden seien.
Um diesem steigenden Ausgabenbedarf zu begegnen, sollten die Behörden eine «moderate Lockerung der Schuldenbremse» in Erwägung ziehen, schreiben die IWF-Experten. Zwar trage eine gut gestaltete Fiskalregel dazu bei, die Staatsverschuldung auf einem nachhaltigen Niveau zu halten. In Deutschland könne jedoch die jährliche Obergrenze für die Nettoverschuldung um rund einen Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung (BIP) erhöht werden. Auch damit werde die Schuldenquote (Staatsschuld in Prozent des BIP) noch auf einem rückläufigen Pfad gehalten.
Demgegenüber erlaubt die derzeitige Schuldenbremse eine jährliche Neuverschuldung von nur 0,35 Prozent des BIP, wobei ein Konjunkturfaktor diese Grenze im wirtschaftlichen Abschwung etwas ausweitet und im Aufschwung verengt.
Kevin Flechter, der Leiter der IWF-Delegation, wollte sich vor den Medien nicht auf Details festlegen. Er verwies auf spezifische andere Vorschläge zur Schuldenbremse, darunter jene der Bundesbank und der «Wirtschaftsweisen». Man begrüsse diese Debatte, und all diese Vorschläge seien wertvolle Beiträge.
Noch mehr Steuern?
Zugleich betont der IWF, dass eine Anpassung der Schuldenbremse allein nicht ausreichen werde. Der Bericht regt deshalb weitere Massnahmen an. Als mögliche Optionen nennt er die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und Steuererleichterungen (was in Deutschland seit langem diskutiert wird, aber kaum vorankommt), die Erhöhung der Effizienz der Gesundheitsausgaben, die Erhöhung von Steuern auf Immobilien, Gütern und Dienstleistungen sowie die Schliessung von Schlupflöchern bei den Erbschaftssteuern.
Auch im Steuerbereich geht der Bericht nicht in Details. Er verweist nur darauf, dass die Einnahmen aus der Besteuerung von Immobilien, Gütern und Dienstleistungen in Deutschland geringer seien als im Durchschnitt der fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Flechter ergänzte, dass es dabei nicht zwingend um die Mehrwertsteuer gehe, sondern zum Beispiel auch um Verbrauchssteuern auf Alkohol oder Tabak.
Ruf nach Rentenreform
Erheblich zur Entlastung des Haushalts beitragen könnten laut dem IWF sodann Reformen des sozialen Sicherheitssystems. Der Bericht erwartet, dass die Beitragssätze für die Alters-, Gesundheits- und Pflegeversicherungen in den kommenden Jahren steigen werden, weil Reserven aufgebraucht würden und die Ausgaben stärker steigen dürften als die Einnahmen. Zu den möglichen Reformen zählt der IWF die Bindung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung und der Renten an die Inflation statt wie bisher an die Lohnentwicklung. Auch regt er an, mehr Anreize für die Verlängerung des Arbeitslebens zu schaffen.
Zu den weiteren Empfehlungen des Währungsfonds zählen Dauerbrenner wie der Bürokratieabbau und die Schaffung von mehr Ganztags-Kinderbetreuungsplätzen, um angesichts des Fachkräftemangels vor allem Frauen stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch eine Reduktion der zusätzlichen Steuerbelastung (Grenzsteuersatz) von Zweitverdienern in Ehen könnte diesem Ziel dienen.
Konjunkturelle Erholung
Eine Prise Optimismus verbreitet der Bericht im Bereich der Konjunktur. Zwar dürfte Deutschland laut einer im April veröffentlichten IWF-Prognose mit einem BIP-Wachstum von nur 0,2 Prozent auch im laufenden Jahr die rote Laterne unter den grossen Industrie- und Schwellenländern tragen.
Doch am Dienstag hielt der IWF auch fest, dass im laufenden Jahr der «Beginn einer graduellen, vom Konsum geleiteten Erholung» zu erwarten sei, während die Inflation weiter nachlassen werde. Geringere Energiepreise und die geldpolitische Straffung hätten einen raschen Abbau der Teuerung in Gang gesetzt. Die Reallöhne würden steigen, und die Wirtschaft sei im ersten Quartal gewachsen. Vor dem Hintergrund einer anziehenden Nachfrage und einer moderaten geldpolitischen Lockerung sei 2025 auch eine Erholung der privaten Investitionen zu erwarten. Alles in allem geht der IWF davon aus, dass das deutsche BIP-Wachstum in den Jahren 2025 und 2026 auf etwa 1 bis 1,5 Prozent anziehen dürfte.
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