Also der Sturz des Asad-Regimes ist ein geopolitisches Erdbeben. Ich glaube, das kann man so sagen. Manche vergleichen das mit dem Mauerfall in Deutschland.
Die Freude über den Sturz des Asad-Regimes hat vor allem mit dem Asad-Regime selbst zu tun. Also es gab eigentlich keine Familie in Syrien, die nicht von der Repression durch Asad betroffen war. Und jetzt, da er weg ist, da seine Geheimdienste weg sind, da die Gefängnisse geöffnet sind, da sich Familien, die sich seit Jahren nicht mehr gesehen haben, wieder vereinen können: Das ist der Grund für die Euphorie.
Es ist wohl nicht so, dass sich alle jetzt über diese Machtübernahme der HTS freuen. Es ist immer noch eine von unzähligen Milizen, die in Syrien agieren.
Die Hayat Tahrir al-Sham ist die sogenannte Organisation zur Befreiung der Levante. Das ist ein Zusammenschluss von fünf islamistischen Milizen aus dem Nordwesten Syriens. Ursprünglich hervorgegangen ist sie aus der sogenannten Nusra-Front. Das war eigentlich der syrische Ableger von al-Kaida. Also stramm islamistische Truppen, die da im Nordwesten Syriens die Kontrolle übernommen haben.
Sie haben sich allerdings 2016 in einer Pressekonferenz von al-Kaida distanziert und haben seither alle Verbindungen gekappt. Sie sind dann auch in ihrem Gebiet, das in der Provinz Idlib liegt, militärisch gegen die Überreste der Kaida und des Islamischen Staates vorgegangen und haben danach die sogenannte Syrische Heilsregierung in Idlib errichtet. Diese Regierung ist zumindest vordergründig zivil geführt, aber wird eigentlich kontrolliert von der HTS um Mohammed al-Julani.
Also dieser Wandel der HTS hat auch pragmatische Gründe. Die Kaida und der IS propagieren einen globalen Jihad mit Terrorangriffen auch in Europa heute. Die HTS hat sich aber in den letzten Jahren vor allem auf Syrien und den Kampf gegen das Asad-Regime fokussiert bzw. darauf, eben in diesem Idlib eine eigene Regierung aufzubauen.
Und dabei musste sie pragmatisch sein. Sie band dann auch verschiedene lokale Milizen und andere religiöse Anführer aus dieser Provinz mit ein. Das heisst, eine ideologische Konsistenz in dieser islamistischen Ideologie wurde eigentlich sekundär. Also es blieb nach wie vor islamistisch geführt.
Aber insgesamt ist da in Idlib eigentlich ein autoritär geführter Kleinstaat entstanden. Also es ging vor allem darum, dass die HTS ihre Macht konsolidieren konnte, und jetzt geht es weniger darum, einen Jihad gegen den Westen zu führen.
Die HTS hat zwar in den letzten Tagen immer Toleranz propagiert und gesagt, sie werde alle Minderheiten schützen, alle hätten ihren Platz in Syrien. Aber wie sich das in Zukunft entwickelt, wenn dann einzelne Milizen vielleicht auch wieder ihre eigenen Machtansprüche geltend machen, wenn es möglicherweise zu Racheaktionen kommt gegen Angehörige der alawitischen Minderheit, dann droht Syrien halt doch wieder der Sturz zurück in die Zustände des Bürgerkriegs.
Nach dem Einfall der Rebellen und ihrer verbündeten Milizen am 8. Dezember in Damaskus floh zwar der Diktator Bashar al-Asad nach Moskau, aber seine Regierung und sein Ministerpräsident blieben vor Ort in Damaskus und sagten, sie wollten jetzt eine geordnete Machtübernahme ermöglichen. Und es zeichnet sich jetzt schon ab, dass hier einiges in Bewegung ist.
So soll eine Übergangsregierung ernannt werden, die wohl von jenem Mann geführt werden soll, der schon die Syrische Heilsegierung in Idlib geführt hatte. Was genau von dieser Übergangsregierung zu erwarten ist und wann eine fixe Regierung eingerichtet wird, ist derzeit noch offen.
Es ist auch unklar, ob sie demokratisch bestimmt wird oder ob sie islamistischen Grundsätzen folgen wird. Dazu wissen wir noch nichts. Aber es scheint so, als wollte die HTS jetzt möglichst schnell Ordnung in Syrien herstellen, bevor allfällige neue Kämpfe ausbrechen.







