Deborah Feldmans Behauptung, Philipp Peyman Engel sei kein richtiger Jude, ist inakzeptabel. Ebenso inakzeptabel sind die unkritischen Medienberichte.
Kostümjuden gibt es zuhauf. Sie geben nur vor, Juden zu sein. Offenbar versprechen sie sich hiervon Vorteile. Das ist, universalhistorisch ebenso wie tagespolitisch betrachtet, höchst naiv und uninformiert, denn: So richtig gemütlich war es nie, Jude zu sein, um es zurückhaltend zu formulieren. Die Gefahr eines neuen Holocaust besteht nicht, aber der globale Antisemitismus-Tsunami unserer Tage ist für Juden wahrlich nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Nicht zu vergessen: Anders als Antisemiten gerne behaupten, gab und gibt es nie eine jüdische Einheitsmeinung. Ganz im Gegenteil, (inner-)jüdische Kriege kennen wir seit eh und je. Echte oder Wortkriege. In der Antike bekämpften sich die Königreiche Judäa und Israel, im römisch besetzten Judäa bekriegten die Juden einerseits die römischen Besatzer und andererseits sich selbst untereinander.
Dass orthodoxe und liberale Juden ein Herz und eine Seele seien, kann man nicht behaupten. Ein beliebter Vorwurf der auch untereinander zerstrittenen Orthodoxen gegenüber liberalen Juden: Sie seien gar keine Juden. Angriff ist die beste Verteidigung. Nicht nur Verteidigung, dieser Angriff richtet sich gegen Sein und Identität des Gegners – und verletzt die Würde des Menschen, die, in Deutschland, Artikel 1 des Grundgesetzes garantiert.
Unhaltbare Behauptungen
Historisch betrachtet ist es also nichts Neues unter der Sonne, wenn die jüdische Publizistin Deborah Feldman dem Chefredaktor der Wochenzeitung «Jüdische Allgemeine», Philipp Peyman Engel, unterstellt, er sei kein Jude. Ebenfalls wenig überraschend oder neu ist es, dass Deborah Feldman gegen jüdische Institutionen, Personen oder gerne auch den Staat Israel polemisiert. Viele Juden und Nichtjuden nennen sie eine Skandalnudel und ignorieren sie deshalb inzwischen. Der immergleiche Skandal langweilt selbst die skandalsüchtige Öffentlichkeit. Nicht nur in Deutschland.
Wenn jedoch ein jüdischer Repräsentant kein Jude sei (oder ist), gilt dieser Inflationseffekt nicht. Das ähnelte nämlich einem Papst, der kein Katholik ist. Folglich stürzen sich die Medien auf eine Nachricht dieser Art. Damit dürfte Frau Feldman gerechnet haben, und diese Rechnung ging auf.
Dass die Rechnung aufging, hatte durchaus gute Gründe. Doch handwerklich, journalistisch, war die Berichterstattung meistens völlig inakzeptabel. Die unbewiesenen Vorwürfe wurden ausführlich als These zitiert, ohne dass sie vorher inhaltlich kontrolliert worden wären. Stichhaltige und nachweisbar von orthodoxen Rabbinern ausgestellte Dokumente wurden unkommentiert gleichsam als Gegenthese wiedergegeben.
Im Klartext: Lüge und deren wasserdichte Entlarvung wurden als gleichrangig nebeneinandergestellt. Die Vertreterin einer Nachrichtenagentur verstieg sich zu dieser Unterstellung: Da Engel jene Rabbiner-Dokumente als Kopien versendet habe, sei ja eine Fälschung möglich.
Unterlassene Abklärungen
Auch jeder Nichtjude kann mühelos ermitteln: Jedes von einer jüdischen Mutter geborene Kind ist jüdisch. Journalisten hätten sowohl in der Heimatgemeinde von Engels Mutter als auch an Engels Wohnorten – Berlin und Zürich – sowie von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz erfahren können, dass er jüdisch ist.
Deborah Feldman hat sich – eindrucksvoll – aus der New Yorker jüdischen Extremorthodoxie selbst befreit. Und offenbar – unter scheinliberalen, antiorthodoxen Vorzeichen – doch nicht, denn gerade sie müsste wissen, dass Kinder jüdischer Mütter von Geburt an Juden sind.
Die Nazis verlangten den «Ariernachweis». Wollen Frau Feldman und die ihren Unsinn ernst nehmenden und unkritisch wiedergebenden Journalisten einen «Judennachweis» einführen?
Der Publizist Michael Wolffsohn ist Autor der Bücher «Eine andere Jüdische Weltgeschichte» und «Feindliche Nähe. Von Juden, Christen und Muslimen».