Walter Kielholz, Tidjane Thiam, Brady Dougan, David Mathers und Urs Rohner sind Teil einer Managerriege, die die über 150-jährige Credit Suisse in den Untergang führten. Verantwortung dafür will niemand übernehmen – obwohl sie in den letzten zwanzig Jahren wichtige Weichen bei der Credit Suisse falsch stellten.
Knapp ein Jahr nachdem am Sonntag, 19. März 2023, das Ende der Credit Suisse (CS) besiegelt wurde, hat das Schweizervolk der Wirtschaftselite die Quittung ausgestellt. «Wenn ihr Millionen verdient und eure Grossbanken in der Not mit Staatsmilliarden retten lässt, dann holen wir uns jetzt auch Geld.» So lässt sich das klare Ja zur 13. AHV-Rente auch lesen.
Tatsächlich hat sich im letzten Vierteljahrhundert etwas verschoben im Verhältnis von Volk, Wirtschaft und Politik: das Swissair-Grounding, die masslose Vergütung des Novartis-Chefs Daniel Vasella, die Rettung der UBS in der Finanzkrise und jetzt der Untergang der CS. Stets gingen Dinge gewaltig schief, aber nie war jemand schuld. Oder genauer gesagt: Nie übernahm einer der hochbezahlten Verwaltungsratspräsidenten oder Konzernchefs die Verantwortung und sagte Entschuldigung. Rückblickend kann sogar gesagt werden, dass dieses Verhalten der Manager dazu führte, das fragile Gesellschaftsmodell der Schweiz, das auch auf einer gewissen freiwilligen Selbstbeschränkung beruhte, nachhaltig zu beschädigen.
Die politische Aufarbeitung der Ereignisse, die am 19. März 2023 zur Zwangsübernahme der CS durch die UBS führten, konzentriert sich nur auf die letzten paar Jahre. Die noch laufende Untersuchung der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) wird nicht den einzigen Punkt zutage fördern können, an dem ein einzelner Entscheid das Ende der ehemaligen Kreditanstalt einleitete.
Tatsächlich aber stellte die CS bereits in den zwei Dekaden vor dem Untergang mehrere Weichen falsch. Die Folgen dieser Entscheidungen flogen der Bank, oft viel später, um die Ohren und trugen zum Untergang einer über 150-jährigen Schweizer Institution mit weltweiter Strahlkraft bei.
Diese falschen Weichenstellungen lassen sich chronologisch, aufgehängt am jeweiligen Präsidenten, aufzeigen. Wohlgemerkt: Natürlich entschieden Walter Kielholz, Hans-Ulrich Doerig, Urs Rohner, António Horta-Osório und Axel Lehmann nie allein, sondern mit einem Verwaltungsratsgremium, oft auf Antrag der mächtigen Bankchefs.
Diese hiessen Oswald Grübel, Brady Dougan, Tidjane Thiam, Thomas Gottstein und Ulrich Körner. Doch in Schweizer Unternehmen trägt der Verwaltungsrat die oberste Verantwortung und hier im Besonderen der Verwaltungsratspräsident.
Von der alten Garde will heute fast niemand eine Verantwortung für das Ende der Grossbank mittragen. Auf entsprechende Anfragen der «NZZ am Sonntag» antworteten nur wenige der früheren Mitglieder des Verwaltungsrates und der Konzernleitung.
Zu hören ist: «Die anderen Banken machten das damals auch so, das war der Zeitgeist», oder: «Das war nicht mein Entscheid, das hat der Verwaltungsrat bzw. die Konzernleitung entschieden.» Zu hören ist auch, dass «dieser Entscheid vor mir gefällt worden war und nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte», dass «die Aktionäre alles guthiessen». Oder: «Die grossen Probleme kamen nach mir.»
Walter Kielholz steht mit Namen hin und antwortet schriftlich. Seine Tätigkeit als Präsident sei 2009 beendet gewesen und sei 15 Jahre her: «Sind Sie wirklich überzeugt, dass Entscheide, die sich im Nachhinein als falsch herausstellten und die uns, wie jedem Management-Team, sicher unterlaufen sind, in dieser extrem langen Zeit nicht durch eine spätere Mannschaft korrigiert werden konnten?»
Das bringt das Problem der Schuldfrage zwar auf den Punkt. Aber es lohnt sich ein Blick auf wichtige Weichenstellungen – und ihre in der Summe fatalen Folgen.
Die Vergütungspakete laufen aus dem Ruder
Früher, als Transparenz noch nicht als Allheilmittel in Sachen gute Unternehmensführung galt, konnten die Bankchefs heimlich Millionen verdienen. In der Ära von Präsident Walter Kielholz muss die CS die Löhne offenlegen – und sie steigen. Kielholz selbst, der zwischen 1999 und 2014 im Verwaltungsrat sitzt, verdient alleine als Präsident 2003 bis 2009 gut 67 Millionen Franken. Heute undenkbar, übt er das Präsidium damals mit einem Pensum von 60 Prozent aus und sitzt gleichzeitig als Vizepräsident beim Rückversicherer Swiss Re. Damit dürfte Kielholz der am besten bezahlte CS-Präsident aller Zeiten gewesen sein. Sein Nachfolger Urs Rohner wird für seine zehn Jahre als Präsident insgesamt 43,1 Millionen Franken erhalten – für ein 100-Prozent-Pensum.
In dieser Zeit baut die Bank zu viele und zu komplexe Anreizstrukturen auf. Mit ein Grund dafür ist ein Strategiewechsel: Die bisher praktisch unabhängige Investmentbank soll in eine neu integrierte CS eingebunden werden. Die amerikanischen Investmentbanker mit oft exzessiven Kompensationspaketen sollen mit Salärkürzungen an die kurze Leine genommen werden.
Der Plan hätte funktionieren können. Doch dann genehmigt der Verwaltungsrat ein Anreizsystem, das ihn ad absurdum führen wird. Um die Top-Shots in der Bank zu halten, werden neue Bonusprogramme kreiert. Das erste für 2004 namens PIP I, ein weiteres für 2005 namens PIP II. Sie sind gedacht für die obersten Kaderleute der CS mit einem Fixgehalt von mindestens 250 000 Franken.
Dieser Bonus wird auf fünf Jahre gesperrt; die zugeteilten PIP-Einheiten können dann in maximal 9 Aktien umgetauscht werden, wenn alle vereinbarten Ziele erreicht sind. Vereinfacht gesagt: je höher der CS-Aktienkurs zum Ende des Programms, desto höher der Wert der zugeteilten PIP-Einheiten. Auch in anderen Banken und Branchen sind solche Vergütungsprogramme damals en vogue. Doch der neunfache Hebel bei der CS ist enorm.
Über die Details hält sich die Bank bedeckt. Wie die Genfer Aktionärsschützer von Ethos schon früh ausführen, profitieren vom Programm primär die amerikanischen Investmentbanker mit ihren höheren Löhnen, nicht aber die Kaderkollegen in der Schweiz.
Zudem ist die genaue Berechnung des Programms komplex – selbst die CS-Zentrale in Zürich hat dies wohl nicht ganz im Griff. Im Jahr 2006 rechnen die Analysten von Ethos aus, dass der CEO Brady Dougan «als einer von sechs Begünstigten» über 100 Millionen Franken aus dem Programm erhalten würde, falls der CS-Aktienkurs bis im Jahr 2010 über 90 Franken steigt.
Prompt erhält der Ethos-Analyst einen Anruf vom Zürcher Paradeplatz. «Wir haben das nicht so publiziert, diese Zahlen stimmen nicht», habe es vonseiten der CS geheissen. Ethos beharrt auf der Rechnung. Erst ein gemeinsames Telefon mit den Zuständigen bei CS in den USA ergibt: Ethos hat richtig gerechnet.
Spätestens nach diesem Anruf müssten auch im Verwaltungsrat um Präsident Kielholz die Alarmglocken geschrillt haben. Der Zürcher sollte wissen, dass seine Landsleute zunehmend empfindlicher auf die hohen Managersaläre reagieren. Doch auf PIP I und PIP II folgen weitere Programme, PAP, APP, SISU und mehr. Sie laufen unterschiedlich lange, überlappen sich, die Hebel variieren.
Ein früherer Begünstigter dieser Programme bei der CS sagt, dass er neben seinem normalen Salär acht verschiedene Bonusprogramme parallel laufen hatte. Die Übersicht darüber habe er «eher nicht» gehabt. Aussenstehenden geht es natürlich ähnlich. Die CS wird nie eine Gesamtübersicht zu den Programmen publizieren.
2010 wird dann publik, dass der CS-Chef Brady Dougan, ein eingefleischter Investmentbanker, einen PIP-Bonus von 70 Millionen Franken erhält. Er wird zum Buhmann der Schweiz. Die Grossbank entwickelt in der Bevölkerung zusehends den Ruf, eine «Abzockerbank» zu sein, und verliert Sympathien. Bis zum Untergang der Bank kritisieren Beobachter immer wieder das selbst im Branchenvergleich sehr hohe Niveau von Löhnen und Boni bei der CS sowie die damit einhergehende Selbstbedienungsmentalität ihrer Top-Banker.
Walter Kielholz bezeichnet PIP als ein zwar langfristiges, aber eng mit «dem Total Shareholder Return» verbundenes Programm, das wegen der Verbindung mit der Performance von den Grossaktionären gefordert worden sei. Die Bank hätte «schlichtweg nicht erwartet, dass die CS der mit Abstand beste Banktitel werden würde, der gegenüber der Vergleichsgruppe am besten performte». Eine Limite aber wäre sicher richtig gewesen.
Kielholz sagt, dass die CS-Zentrale die Gesamtübersicht über die Programme hatte, sich die Eckwerte des PIP aber am Stichtag entscheiden, «den konnte keiner vorhersagen». Seine Kompensation sieht er als im «Rahmen der Vergleichsgruppe in der Schweiz», die Performance zwischen 2003 bis 2007 hätte zu den besten Jahren der CS gehört.
Der Konzernchef Brady Dougan findet die Schweiz langweilig
In Nachhinein ist man schlauer, klar. Aber letztlich blieb Brady Dougan unter den Präsidenten Kielholz, Doerig und vor allem Rohner länger Konzernchef, als für die CS gut war.
Dass Dougan zum Nachfolger von Oswald Grübel bestimmt wird, hat einen Hintergrund: «Als wir im Laufe von 2006 diskutierten, war uns bewusst, dass sich die Immobilienkrise in den USA zu einem Flächenbrand ausweiten könnte», wie sich einer der ehemaligen CS-Chefs erinnert. Man habe sich deshalb für den damaligen Leiter der CS-Investmentbank als nächsten Bankchef entschieden.
Der Amerikaner ist ein Profi für diesen Markt, dennoch «waren wir uns einig, dass Brady nur zwei bis drei Jahre CEO bleibt, bis das Ärgste überwunden ist und danach ein Banker mit grösserer Affinität zur Schweiz den CEO-Posten übernehmen soll», so der Banker weiter. Bekanntermassen kommt es anders. Im Mai 2007 tritt Dougan seinen Job an, zurücktreten wird er erst an der Generalversammlung des Jahres 2015.
Der neue CEO macht zunächst einiges richtig. So manövriert er die CS einigermassen unbeschadet durch die Finanzkrise und vermeidet die schlimmsten Fehlinvestitionen. Die UBS dagegen muss im Herbst 2008 vom Schweizer Staat gerettet werden.
Unbemerkt aber für die Öffentlichkeit, wird Dougan für die Finanzmarktaufsicht (Finma) ein immer grösseres Problem. «Dougan fand alles, was das klassische Schweizer Bankgeschäft betraf, langweilig», erzählt ein Insider und weiter: «Cool fand Dougan nur das Banking in den USA.»
Dieser «Hyperfokus von Dougan auf das Hardcore-Investment-Banking» hat laut dem Insider schwerwiegende Folgen: «Alle grossen Unfälle im Private Banking passierten in Dougans Zeit.» Denn Dougan hätte sich einfach zu wenig für Compliance-Themen wie Steuerhinterziehung und Geldwäscherei interessiert.
Bekannt werden dann, oft viele Jahre nach den Ereignissen, der US-Steuerstreit oder die grossen Geldwäschereifälle in Südamerika wie jene von Fifa, Petrobras und Venezuela.
Für den Prüfungsausschuss des Verwaltungsrats wird dem Vernehmen nach periodisch eine Liste erstellt, welche die CS-Mitarbeiter aufführt, die wegen Verstössen gegen interne Regeln gebüsst worden waren. Es soll jeweils eine lange Liste gewesen sein. Die Bussen sind nicht besonders hoch – offenbar will Brady Dougan nicht, dass den Mitarbeitenden die Risikobereitschaft genommen wird.
Kielholz bestreitet, dass Dougan nur als Krisenmanager für eine Übergangszeit geplant war. Auch sei 2009 die Krise noch nicht vorbei gewesen, sondern in die Euro-Griechenland-Krise übergegangen. Die Beziehung zu vielen amerikanischen Privatkunden habe oft seit sehr langem bestanden, schreibt Kielholz. Der Verwaltungsrat hätte sich damals sehr intensiv damit befasst, die Geschichte der Bank aber nicht ungeschehen machen können.
Urs Rohner ist der falsche Präsident für den US-Steuerstreit
2009 tritt Walter Kielholz als Präsident ab. Es ist geplant, dass das Amt an Urs Rohner übergehen soll. Auch diese Wahl hat ihren Hintergrund: Der Verwaltungsrat sieht in Rohner langfristig die richtige Person, da der erfahrene Anwalt auch in den USA gearbeitet habe und er die CS durch den Steuerstreit manövrieren könne.
Rohner wechselt direkt von seiner operativen Funktion in den Verwaltungsrat. Er muss aber zuerst als Vizepräsident amten, weil die Finma den direkten Wechsel aus der Geschäftsleitung ins Präsidium nicht erlaubt.
Nun wird es eng auf dem Präsidentenstuhl. Zwischen 2009 und 2011 ist der offizielle Amtsinhaber Hans-Ulrich Doerig der Übergangspräsident, doch dürfte die Stimme des Nachfolgers Rohner bereits viel wiegen. Zudem sitzt mit Kielholz der bisherige Präsident weiter als normales Mitglied im Gremium. Es ist ein eigentliches Triumvirat.
2008 nehmen sich die Behörden die UBS zur Brust und zwingen sie 2009 zur Herausgabe von amerikanischen Kundendaten. Das Schweizer Bankgeheimnis ist ein Auslaufmodell, das wird spätestens jetzt klar. Die UBS geht einen Deal ein und kommt mit einem blauen Auge und einer Busse von 780 Millionen Dollar davon.
Gut unterrichtete Quellen sagen: Wenn die CS Ende 2008 wirklich gewollt hätte, hätte sie sich am Deal beteiligen oder zumindest ihr eigenes Steuersünder-Problem mit vertretbaren Kosten aus der Welt schaffen können.
Bei der CS war der designierte Präsident Rohner von 2004 bis 2009 Chefjurist und später noch Chef des Group Corporate Center. Er kennt die CS und ihre Art des Geschäftens im Private Banking daher in- und auswendig. Dennoch entscheidet sich die CS für eine andere Strategie als die UBS: Bis im Jahr 2011 weist die Bankführung jegliches Fehlverhalten bei der Betreuung von amerikanischen Privatkunden weit von sich.
Bald verschärfen die amerikanischen Behörden ihre Gangart und klagen im Laufe von 2011 mehrere CS-Banker an. In der Folge setzt die Bank, nun unter dem neuen Präsidenten Rohner, auf eine Abwehr- und Hinhaltetaktik.
Bei den US-Justizbehörden stiess die CS zu jenem Zeitpunkt wohl auf wenig Sympathie. Dies auch deshalb, weil Rohner und sein damaliger Rechtschef Romeo Cerutti oft hochbezahlte externe Anwälte vorschickten, statt sich persönlich vor Ort in den USA für eine rasche Lösung des Problems einzusetzen. Die Quittung kommt 2014. Der Bank wird eine enorme Busse von 2,6 Milliarden Dollar auferlegt – mehr als dreimal so viel wie der UBS.
2014 machte Rohner schliesslich im Radio jene verhängnisvolle Aussage, die auch sein persönliches Verständnis für die Übernahme von Verantwortung und damit das grosse Kulturproblem der CS auf den Punkt brachte: «Persönlich haben wir [Dougan und Rohner] sicher eine weisse Weste. Eine andere Frage ist die der Bank.»
Rohner äussert sich nicht öffentlich zu dieser Kritik. In seinem Umfeld wurde stets bestritten, dass ein separater Deal der CS mit den USA damals möglich war. Zudem sei unklar, ob die Schweizer Behörden nach dem UBS-Fall nochmals eine Datenlieferung in die USA genehmigt hätten.
Keine Zweifel bestehen über die verheerenden Auswirkungen des US-Steuerstreits. Er kostet die CS sehr viel Geld und weiteren öffentlichen Goodwill. Bei den Mitarbeitern und beim Regulator kam die Botschaft der «weissen Weste» sehr schlecht an. Wenn Präsident und Bankchef die Verantwortung für die grossen Probleme der Bank abschieben, warum sollen sich die Kundenberater und Händler der CS anders verhalten?
Der Finanzchef schiebt knappes Kapital herum
Unter Präsident Rohner liefert sich die CS im kommenden Jahrzehnt einem dauernden Kampf mit dem Schweizer Regulator ums Eigenkapital. Der Nichtbanker Rohner wird so immer abhängiger von seinem Finanzchef David Mathers.
Bereits unter Dougan agiert die CS immer so nahe als möglich am Minimum der jeweiligen Kapitalvorschriften. Denn generell gilt: Je weniger Kapital eine Bank für ihr Geschäft einsetzen muss, desto profitabler ist sie. Für die Finma wird das zunehmend problematischer, wie ein Beobachter ausführt.
Im Juni 2012 kommt es zum grossen Schock: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) verlangt, dass die CS rasch ihre Kapitaldecke aufstockt. Der Aktienkurs bricht ein. Dougan ist unzufrieden mit dem SNB-Entscheid, die Bank fügt sich aber. Im Juli verkündet die CS, 15 Milliarden Dollar an frischem Kapital aufzunehmen.
Für den CS-Verwaltungsrat um Rohner hätte die Kapitalerhöhung die Initialzündung für einen grundlegenden Wandel sein können. Wie es damals die UBS vorexerziert, hätte die Bank die Verkleinerung der Investmentbank angehen und so den Kapitalbedarf dämpfen können. Das Gremium soll ab 2012 immer wieder über die Kapitalisierung und die Zukunft der Investmentbank diskutiert haben. Ein harter Schnitt ist aber ebenso vermieden worden wie ein Machtkampf mit Dougan und seinen Mitarbeitern.
Stattdessen schlägt die Stunde von David Mathers. Der Brite, seit 1998 bei der CS und 2010 von Dougan zum Finanzchef der Gruppe befördert, kennt das finanzielle Gerüst der Bank so gut wie niemand sonst. Mathers versteht es meisterlich, das Kapital des CS-Konzerns so zu optimieren und auf die einzelnen Konzerngesellschaften und die Geschäftseinheiten zu verteilen, dass das Ergebnis am Ende jedes Quartals so gut als möglich aussieht.
Für seine Chefs Dougan und später Tidjane Thiam liefert er sich mit der Finma jahrelang einen intensiven Abnützungskampf. Mathers findet immer wieder neue, legale Wege, um den Berner Beamten ein, zwei Schritte voraus zu sein. Weil sich mit den Jahren die Wechsel an der CS-Spitze häufen, fehlen Mathers mitunter bankinterne Sparringpartner. Er wird so zum institutionellen Gedächtnis der Bank und immer unentbehrlicher für die jeweils aktuelle Bankleitung.
Mathers habe alle Regeln und Prozesse eingehalten und die Bankführung stets über seine Arbeit informiert, sagen alle Befragten. Kritiker sagen rückblickend aber auch: Der Verwaltungsrat habe wohl nicht genau verstanden, was Mathers genau machte – und deshalb zu lange einen falschen Eindruck vom wirklichen Zustand der Bank erhalten.
Thiam und Rohner bauen Wagenburgen auf
Das Problem akzentuiert sich ab 2015. Dann verabschiedet Rohner Konzernchef Dougan und holt mit Tidjane Thiam 2015 seinen Wunsch-CEO. Mit Thiam und Rohner führen erstmals zwei Nichtbanker die Grossbank.
Thiam, zuvor Chef beim britischen Versicherungskonzern Prudential, Absolvent französischer Eliteuniversitäten und früherer McKinsey-Berater, kann zuerst viele von sich überzeugen, auch bei der Finma. Er senkt die Kosten der CS deutlich und versucht die Risikokontrolle zu stärken. Dazu nimmt Thiam auch den Kampf mit den Investmentbankern auf, den die Bankführung bisher scheute, und verkleinert die Sparte.
Das Sparprogramm lässt als Erstes aber die Erträge schrumpfen. Thiam und Rohner stehen Quartal für Quartal unter Druck. Das trägt dazu bei, dass die CS ihre Hinhaltestrategie in wichtigen Rechtsfällen beibehält, anstatt auf rasche Einigungen zu drängen, welche die Bank sofort Geld kosten würden. Die Bank kriegt zudem ihre Risiken weiterhin nicht in den Griff. So führt laut Kritikern etwa die unter Thiam Ende 2015 eingeleitete Abspaltung des Asien-Geschäfts in eine eigene Sparte dazu bei, dass auch das Risikomanagement der CS weiter zerstückelt wird.
Gleichzeitig verschärfen sich die bestehenden kulturellen Probleme. Zum überbordenden Individualismus der CS-Banker gesellt sich an der Bankspitze zusehends eine Wagenburg-Mentalität. Rohner hat sich mit seinem Chairman’s Office am Paradeplatz in Zürich eine eigene grosse Truppe aufgebaut. Das Geschäft und seinen CEO hat er immer weniger im Griff. Auch Thiam baut sich eine eigene Machtbasis auf, bestehend aus alten Weggefährten und aus jüngeren Bankern wie Iqbal Khan, die erstmals auf einer Spitzenposition sitzen.
Thiams Gefolgsleute sind abhängiger vom Chef, als es erfahrene Manager wären. Und auch weniger kritisch. Ein damaliges Konzernleitungsmitglied erzählt, dass er sich nie eingemischt habe, wenn Thiam ein anderes Konzernleitungsmitglied kritisiert habe. «Tidjane war sehr dominant und sein Benehmen wurde immer schwieriger. Ich habe mich einfach auf meinen Bereich konzentriert.»
Im Verwaltungsrat umgibt sich Rohner mit Ja-Sagern. Hinzu kommen Personen, die zwar unabhängig und kompetent sind, die aber zu wenig Zeit für ihr CS-Mandat aufbringen und deshalb auch nicht als Korrektiv wirken können. Wichtige Entscheide wurden in kleinem Kreis vorberaten und dann vom Verwaltungsrat bloss noch abgesegnet, sagen Befragte.
Die Wagenburg-Mentalität und die andauernden Probleme im Risikomanagement unter dem Duo Thiam-Rohner führen dazu, dass die CS ihre grossen Altlasten nicht abträgt, sondern im Gegenteil weitere aufbaut. Viele dieser Altlasten werden die CS Jahre später einholen, weiteres Vertrauen von Kunden und Partnern zerstören und den Niedergang der Bank beschleunigen.
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Jean-Daniel Gerber
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Severin Schwan
Der Roche-Chef sass von 2014 bis 2022 im CS-Verwaltungsrat, ab 2017 als unabhängiger Vizepräsident. Man schätzte seine Integrität und Kompetenz. Doch Schwan hatte für die Grossbank zu wenig Zeit, schliesslich führte er parallel eines der grössten Pharmaunternehmen der Welt. Ein Gegengewicht zu Präsident Rohner zu bilden, schaffte er nicht. Er fehlte oft an den Sitzungen, wie Protokolle zeigen. Ein Roche-Sprecher widerspricht: «Herr Schwan hat sich sehr aktiv und kritisch bei der CS eingebracht», insbesondere Anfang 2022, als die Nachfolge von António Horta-Osório gesucht werden musste.
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Yassim bin Hamad Al Thani
Für den Sprössling der katarischen Königsfamilie, der für einen Hauptaktionär zwischen 2010 und 2017 im Verwaltungsrat sass, findet keiner der Befragten ein gutes Wort. Al Thani habe nichts vom Bankgeschäft verstanden, kein Interesse an der Bank gehabt und an Sitzungen nie das Wort ergriffen. Mehr Begeisterung zeigte Al Thani im letzten Jahr. Im Bieterkampf um den Einstieg beim britischen Fussballklub Manchester United war er das Gesicht nach aussen, das für Katar verhandelte.
Eine Überwachungsaffäre bleibt lange ohne Konsequenzen
Ein Insider sagt jedoch, Rohner sei nicht einfach der Ur-Bösewicht gewesen, als den er mehrheitlich geschildert werde. Mit den Jahren sei es für die Finma zudem einfacher geworden, mit ihm über neue Auflagen zu diskutieren, so der Insider weiter. Denn Rohner sei zunehmend schockiert gewesen über die immer neuen Skandale in der CS. Das betrifft auch «Spygate».
2019 gerät der Bankchef Thiam in Streit mit seinem Chef der Vermögensverwaltung, Iqbal Khan. Als dieser kündigt, lässt ihn Thiams Chief Operating Officer Pierre-Olivier Bouée beschatten. Die Observation fliegt auf und in der Folge weisen sowohl Thiam als auch Rohner jegliches Wissen von der Beschattung von sich.
Rohner betont, es habe sich bei Khans Beschattung um einen «isolierten Einzelfall» gehandelt. Wochen später wird jedoch bekannt, dass auch der Personalchef von Detektiven überwacht worden war.
Der Flurschaden ist riesig, denn Spygate unterscheidet sich von den anderen Skandalen der Bank. So diskutiert die Öffentlichkeit breit über die persönliche Integrität der CS-Chefs und erfährt zudem vom wachsenden Konflikt zwischen Präsident und Bankchef.
Die Sache hätte sich noch bereinigen lassen: Rohner hätte sofort die Verantwortung übernehmen können – egal, ob er von der zweiten Beschattung wusste oder nicht. Er hätte sich entschuldigen und dann seinen Rücktritt ankündigen können. Stattdessen aber liefert er sich in den kommenden Monaten einen öffentlichen Kampf mit seinem CEO Thiam, der ebenso wenig die Verantwortung für die Vorfälle übernehmen will. Mit ihren jeweiligen Unterstützern und über verschiedene Medien versuchen beide, sich in das bessere Licht zu setzen. Am Schluss muss Thiam gehen, und Präsident Rohner kann bleiben.
Das letzte Aufgebot
Seine Ära endet erst 2021 nach zwei Tiefschlägen. Ende Februar geht ein wichtiger Partner der Credit Suisse pleite: Greensill Capital. CS-Kunden haben rund 10 Milliarden Franken in deren Fonds investiert und müssen um ihr Investment fürchten. Die CS versprach ihnen eine sichere Anlagemöglichkeit, Greensill Capital steckte aber viel Geld in hochriskante Firmenkredite. Bis heute haben die Investoren nicht alles Geld zurückerhalten.
Einen Monat später verliert die Credit Suisse mehr als 5 Milliarden Dollar in absurd riskanten Geschäften mit Archegos Capital, faktisch ein spekulativ agierender Hedge-Fund. Der von der Bankführung selbst in Auftrag gegebene Expertenbericht zu Archegos zeigt, dass die CS keine Übersicht über die enormen Risiken in ihrer Investmentbank hat, die sie mit Archegos in wenigen Monaten aufgebaut hat.
Im Sommer 2021 tritt António Horta-Osório die Nachfolge Rohners als Präsident an. Er verspricht Besserung – eine Bank, deren Mitarbeiter «in ihrem Herzen Risikomanager» sein würden. Er holt neue Risikofachleute in die Bank und will das Investment Banking der CS weiter gesundschrumpfen.
Doch Horta-Osório bringt damit einen Teil der CS-Führung gegen sich auf. Als er 2021 mehrfach die strengen Corona-Einschränkungen verletzt – unter anderem, um sich in London sowohl den Wimbledon-Final als auch den Final der Fussball-EM anzuschauen –, dauert es nicht lange, bis diese brisanten Informationen bei der Presse landen.
Der Druck auf den CS-Verwaltungsrat nimmt zu – und nach nur neun Monaten verlässt Horta-Osório die Bank wieder. Axel Lehmann, der erst Monate zuvor zum CS-Verwaltungsrat gestossen ist, übernimmt Knall auf Fall das Präsidium. Die Bank verspielt ein weiteres Jahr, das den Turnaround hätte bringen können.
Anfang 2022 schreibt die CS weiter schlechte Zahlen. Nun wird der Bankchef Thomas Gottstein durch Ulrich Körner ersetzt, den man nach Greensill als «Aufräumer» an die Spitze des CS-Asset-Managements gesetzt hat. Er und Präsident Axel Lehmann sind das letzte Aufgebot. Ihr Handlungsspielraum für einen Turnaround ist bei ihrem Antritt nur noch klein. Sie nutzen ihn nicht.
Die Märkte verschlechtern sich enorm. Im Oktober 2022 erfasst die reichen CS-Kunden eine massive Vertrauenskrise, die Bank verliert in wenigen Wochen 80 Milliarden Dollar an Kundengeldern. Eine letzte Kapitalerhöhung kommt nur haarscharf durch. Im März 2023 bricht ein zweiter Bank-Run der CS endgültig das Genick – und die UBS übernimmt den langjährigen Konkurrenten am Paradeplatz.
Dass bis heute niemand aus der langen Reihe der früheren CS-Verwaltungsräte und Spitzenmanager öffentlich eine Mitverantwortung am Untergang der Bank eingestanden hat, hat auch einen einfachen Grund: Je konkreter sich jemand für einen Fehler entschuldigt, desto eher können amerikanische Investoren einen einklagen.
Ihr Schweigen trägt aber dazu bei, dass das Band zwischen Volk und Wirtschaftselite zerschnitten ist. In Zürich ist das jeweils am Umzug der Zünfte am Sechseläuten zu erkennen. Walter Kielholz lief 2023 mit. Urs Rohner fehlte.
Dieser Artikel ist der Auftakt zu einer fünfteiligen Serie zum Ende der Credit Suisse. Der nächste Teil «Zwei Tage im März: Das Wochenende, an dem die UBS der Credit Suisse zu Hilfe eilte» erscheint am Mittwoch, 13. März, auf NZZ.ch und in der NZZ.