Journalisten, die Desinformation aufdecken in Mali, fehlt es an allem. Zudem leben sie gefährlich. Was motiviert sie?
Wenn Abdoulaye Guindo auf sein Handy guckt oder seinen Laptop aufklappt, hat er häufig Angst. Er fürchtet Beschimpfungen, Beleidigungen, sogar Drohungen mit dem Tod. Der 42-Jährige lebt in der malischen Hauptstadt Bamako und koordiniert die von ihm mitgegründete Organisation Benbere, die online und offline gegen Falschinformationen kämpft: mit Faktenchecks, die online veröffentlicht werden, sowie mit Schulungen, die Journalisten und Internetnutzern helfen, Desinformation zu erkennen und sie im besten Fall zu bekämpfen.
Dass der Ton im Internet rau geworden ist, dass Menschen beschimpft, beleidigt und bedroht werden, ist nicht nur im westafrikanischen Mali so, sondern beispielsweise auch in der Schweiz. Aber Mali ist ein Land im Krieg, da ist der Umgang noch skrupelloser. Seit rund 13 Jahren kämpfen wechselnde Regierungen gegen islamistische Terrorgruppen und gegen Aufständische aus dem Volk der Tuareg. In den vergangenen Jahren wurden Tausende Zivilisten getötet, Hunderttausende Menschen flohen vor der Gewalt. Eine französische Anti-Terror-Mission (die Opération Barkhane) und eine Stabilisierungsmission der Uno (die Minusma) konnten das Morden nicht verhindern.
Dieses Scheitern und die lang andauernde Sicherheitskrise lösten politische Verwerfungen aus, die auch internationale Folgen hatten: 2020 und 2021 putschte die Armee, bejubelt von einem Grossteil der Bevölkerung. Nach dem Putsch vollzogen die Militärs einen radikalen Kurswechsel: Sie beendeten die Uno-Mission und überwarfen sich mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Stattdessen sind seit Ende 2021 russische Bewaffnete im Land, um Mali im Anti-Terror-Kampf zu unterstützen.
Falschmeldungen zeigen, woher der Wind politisch gerade weht
Guindo und seine Kollegen der Organisation Benbere konnten anhand der Falschmeldungen über die Jahre ablesen, zu wessen Gunsten oder Ungunsten politisch sich der Wind gerade drehte. So habe mit dem ersten Militärputsch von 2020 die Zahl der Falschmeldungen über Frankreich, andere europäische Staaten, die USA und die Uno stark zugenommen. 80 Prozent der falschen Informationen hätten sich von da an gegen diese traditionellen Partner Malis gewandt.
Wer solche falschen Informationen in die Welt setzt, können die malischen Faktenchecker nicht überprüfen, dafür fehlt ihnen laut Guindo die erforderliche, teure technische Ausstattung. Er und sein Team können nur verfolgen, wer die Videos teilt und weiterverbreitet. Von Russland ist bekannt, dass es Desinformationskampagnen bewusst als Waffen einsetzt. Auch in Mali, das haben die Faktenchecker von Benbere beobachtet, habe die Zahl der Falschinformationen zugunsten Russlands seit Ende 2021 drastisch zugenommen – also seit russische Kämpfer im Land sind.
Sie gehörten zunächst zur berüchtigten Söldnergruppe Wagner. Nach dem Tod ihres Gründers Prigoschin im August 2023 wurde die Wagner-Gruppe dem russischen Verteidigungsministerium unterstellt und in Afrika-Korps umbenannt. «Stecken die russischen Kräfte hinter den falschen Informationen? Oder ist die malische Übergangsregierung dafür verantwortlich? Wir haben weder für das eine noch für das andere Beweise», stellt Guindo klar. «Wir wissen nur, dass die Desinformationskampagnen die Stimmung zugunsten Russlands beeinflussen.»
Nach dem Abzug der Uno-Mission Minusma Ende 2023 habe «die Desinformation das Lager» gewechselt, wie Guindo sich ausdrückt: Vorher sei oft die Uno das Opfer solcher Kampagnen gewesen, seitdem stehe häufig die malische Armee im Fokus. Verbreitet würden diese Kampagnen vermutlich von Anhängern der islamistischen Gruppen und der aufständischen Tuareg. Insgesamt bleibe in Mali niemand mehr verschont – schon gar nicht die Faktenchecker selbst.
Einer aus dem Benbere-Team sei bereits vor anderthalb Jahren ins Ausland geflohen, nachdem er von Unbekannten im Auto angegriffen worden sei. Der Vorfall habe allen andern den Preis ihrer Arbeit klar vor Augen geführt, sagt Guindo: «Sobald wir bemerken, dass uns jemand über 200 oder 300 Meter folgt, fangen wir an, uns Sorgen zu machen.» Der Gedanke an einen möglichen Angreifer sei immer präsent. «Das ist ein ständiger Stress.»
Hinzu kommt die Angst vor einer Verhaftung, etliche Kritiker der malischen Militärregierung wurden schon festgenommen. «Wenn wir eine Falschmeldung richtigstellen, könnte uns vorgeworfen werden, dass wir den Präsidenten oder die Armee verunglimpfen», sagt er. Der Faktenchecker räumt ein, dass sie aus Sorge um ihre Freiheit nie alle Informationen veröffentlichten, selbst wenn sie richtig seien. Seiner Frau aber reiche diese Selbstzensur zum Selbstschutz nicht mehr, sie bitte ihn immer wieder, sich eine andere Arbeit zu suchen. «Aber mein Beruf ist mehr als der Gelderwerb», sagt der Vater von vier Kindern. «Ich sehe darin eher eine Berufung.»
Vor Bedrohungen ins Exil geflohen
Andere zögern nicht länger und gehen ins Exil. Der Journalist Malicki Sadibou Coulibaly – aus Sicherheitsgründen möchte er nur unter einem Pseudonym Auskunft geben – hat sich zu diesem Schritt entschlossen, als er vor einigen Monaten zu Übergriffen der malischen Armee und russischer Söldner gegen Zivilisten recherchierte. «Noch bevor der Bericht erschienen war, bin ich am Telefon sehr konkret bedroht worden», sagt Coulibaly bei einem digital geführten Interview. «Die anonymen Anrufer sagten beispielsweise: ‹Wir wissen, woran du gerade arbeitest›, und: ‹Wir wissen, wo du wohnst.›» Er habe das sehr ernst genommen und sei zehn Tage vor der geplanten Veröffentlichung mit seiner Familie ins Exil gegangen.
Während die Flut der Desinformationen und die Drohungen gegen Journalisten und Faktenchecker zunehmen, werden ihre Budgets immer kleiner. Der Verein Benbere lebt von Spenden, und er bewirbt sich auf Ausschreibungen, beispielsweise für Schulungen zum Umgang mit Falschinformationen. Doch solche Möglichkeiten bieten sich immer seltener: In diesem Bereich war Frankreich früher ein wichtiger Geldgeber, doch die malische Militärregierung hat die Verwendung französischer Mittel im November 2022 verboten. Ein anderer wichtiger Geber war die amerikanische Entwicklungsagentur USAID, die nach dem Machtwechsel in Washington im Januar weitgehend zerschlagen wurde.
Der Faktenprüfer Abdoulaye Guindo hat den Eindruck, dass die Arbeit seines Teams immer wichtiger werde. Und Angst, dass er das Überprüfen von Informationen schon bald nicht mehr bezahlen kann.