Die türkische Regierung hat den Druck auf Medienschaffende stark erhöht. Fast täglich gibt es Berichte über Verhaftungen und andere Repressalien gegen Journalisten.
Um die Pressefreiheit in der Türkei ist es schon in ruhigeren Zeiten nicht gut bestellt. Im aufgeheizten Klima, das seit der Verhaftung von Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu im Land herrscht, hat der Druck auf Medienschaffende aber noch zugenommen.
«Teilnahme an unerlaubter Veranstaltung»
Am frühen Freitagmorgen wurden in Istanbul zwei Journalistinnen in Polizeigewahrsam genommen. Die beiden Frauen sind für regierungskritische, weit links stehende Publikationen tätig: die Tageszeitung «Evrensel» und die Agentur ETHA.
Was ihnen konkret vorgeworfen wird, ist bisher nicht bekannt. Die beiden Medienhäuser teilten mit, dass ihre Mitarbeiterinnen nach der Festnahme zur Abteilung für Terrorbekämpfung der Istanbuler Polizei gebracht wurden.
Anfang der Woche waren in Istanbul und Izmir bereits zehn türkische Journalisten festgenommen worden, unter ihnen ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP. Sie hatten über die grossen Demonstrationen am Sonntag berichtet. Dies wird ihnen als Teilnahme an einer unerlaubten Veranstaltung ausgelegt. In beiden Städten herrschte ein Versammlungsverbot.
Der Vorsitzende der türkischen Journalisten-Gewerkschaft Gökhan Durmus schreibt von einem offensichtlichen Einschüchterungsversuch. Es seien gezielt Medienschaffende ins Visier genommen worden, die während der Proteste die Polizeigewalt dokumentiert hätten. Mit einer Ausnahme sind die Festgenommenen mittlerweile wieder auf freiem Fuss. Gegen sieben von ihnen wurde jedoch ein Strafverfahren eröffnet.
Insgesamt wurden seit Beginn der Proteste etwa 1900 Personen vorübergehend festgenommen.
Hohe Bussen und Sendeverbote für TV-Stationen
Konsequenzen für ihre journalistische Arbeit bekommen auch mehrere Fernsehstationen zu spüren. Die Rundfunkbehörde RTÜK hat am Donnerstag gegen fünf Sender hohe Strafen verhängt. Der oppositionsnahe Sender Sözcü TV muss seine Arbeit für zehn Tage einstellen und könnte die Lizenz ganz verlieren.
Halk TV und Tele 1 dürfen gewisse Programme vorerst nicht ausstrahlen. Hinzu kommen hohe Bussen. Begründet werden die Massnahmen mit einer Berichterstattung, die «die Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit aufstachele». Auch die Übertragung kritischer Äusserungen des Oppositionsführers an die Adresse von Staatspräsident Erdogan wurden als strafwürdig betrachtet.
Mit Ausnahme von Halk TV, der als der letzte grosse unabhängige Sender im Land gilt und gegen dessen Mitarbeiter unabhängig von den jüngsten Ereignissen bereits mehrere Gerichtsverfahren laufen, handelt es sich um relativ unbedeutende Fernsehstationen.
Die Medienlandschaft in der Türkei wird von regierungsnahen Konzernen dominiert. Weil sie die Unzufriedenheit im Land über Imamoglus Verhaftung nicht in ihrer Breite darstellen, rief der Vorsitzende der grössten Oppositionspartei diese Woche zum Boykott dieser Medien auf.
Vermeintlicher Kampf gegen Desinformation
Die Regierung weist alle Vorwürfe, sie beschneide die Pressefreiheit, zurück. Es werde lediglich der geltende Rechtsrahmen umgesetzt, heisst es routinemässig. Um die offizielle Sicht der Dinge darzulegen, rief die Kommunikationsabteilung von Präsident Recep Tayyip Erdogan bereits vor einiger Zeit das «Zentrum für den Kampf gegen Desinformation» ins Leben. Dieses weist alle akkreditierten Journalisten im Land mit deutlichem Fingerzeig auf Narrative hin, bei denen es sich in den Augen der Regierung um Falschmeldungen handelt.
Am Tag nach Imamoglus Verhaftung wurde eine Mitteilung des Justizministers versandt, wonach es «eine Dreistigkeit und ein Akt der Verantwortungslosigkeit» sei, die Ermittlungen gegen den Oppositionspolitiker mit Präsident Erdogan in Verbindung zu bringen. In der jüngsten Botschaft wird nun darauf hingewiesen, dass die Ausweisung des BBC-Journalisten Mark Lowen nichts mit dessen Berichterstattung zu tun habe. Behauptungen, die der Manipulation der öffentlichen Meinung dienten, dürfe man keinen Glauben schenken.
Lowen war am Mittwoch unter dem Vorwurf, eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung darzustellen, festgenommen und danach des Landes verwiesen worden. Er war von 2014 bis 2019 Korrespondent in Istanbul. Für den Einsatz während der vergangenen Tage verfügte er laut Ankara jedoch über keine Akkreditierung. Dies stelle einen Verstoss gegen geltendes Recht dar.
Am Freitag teilte der Chefredaktor der schwedischen Tageszeitung «Dagens ETC» mit, dass der freie Mitarbeiter Damit Joakim am Donnerstag kurz nach der Einreise in die Türkei zum Verhör mitgenommen worden sei. Seither habe er nichts mehr von ihm gehört.
Türkei bei Pressefreiheit auf dem 158. Platz
Massnahmen gegen ausländische Journalisten erregen naturgemäss mehr internationale Aufmerksamkeit. Die grosse Mehrheit der Repressalien richtet sich aber gegen einheimische Medienschaffende. Ohne den Schutz einer Botschaft und eines ausländischen Passes ist ihre Situation um ein Vielfaches prekärer.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt die Türkei den 158. von 180 Plätzen. Im kommenden Jahr dürfte das Land noch schlechter abschneiden.