China bringt am Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen eine ganze Reihe hausgemachter Reformvorschläge ein. Bei vielen Schwellen- und Entwicklungsländern stossen Pekings Ideen auf Zustimmung.
Wenn sich ab diesem Sonntag in New York 130 Staats- und Regierungschefs zum mit Spannung erwarteten Zukunftsgipfel treffen, werden sie sich über einen Entwurf für ein Abschlussdokument beugen, der an manchen Stellen die Handschrift der chinesischen Regierung trägt.
China bringt seine Weltsicht unter
Unter dem Titel «Pakt für die Zukunft» listet der Entwurf 60 Punkte auf, die in ihrer Gesamtheit eine weitreichende Reform der Vereinten Nationen skizzieren. Punkt 41 etwa beschreibt, wie die «global governance» umgebaut werden könnte und das «multilaterale System mit neuem Leben gefüllt» werden soll. Unter Punkt 51 heisst es: «Wir werden die Reform der internationalen Finanzarchitektur beschleunigen.» Es sind dies Forderungen, die China schon lange erhebt.
«Die ständigen Vertretungen hier vor Ort streiten um die präzisen Formulierungen», sagt Michael Bröning, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in New York. Oft gehe es um einzelne Begriffe, Konzepte oder Worte. «Aber im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass sie sich auf einen Entwurf werden einigen können.»
Die chinesische Regierung will im Rahmen der Uno-Reformen vor allem ihre Vorstellungen von einer angeblich gerechteren Welt unterbringen, bei der an erster Stelle das Recht auf Entwicklung steht. Alles andere, etwa individuelle Freiheitsrechte, haben dahinter zurückzustehen, was sich natürlich nicht mit der Universalität der Menschenrechte deckt. Hier ist Zwist programmiert.
Chinas zweigleisiger Kurs bei der Uno
China hat im Rahmen seines Engagements bei der Uno während der vergangenen Jahre einen zweigleisigen Kurs gefahren. Auf der einen Seite bekannte sich Peking stets zum Multilateralismus und brachte etwa seine Expertise zur Armutsbekämpfung ein.
Auf der anderen Seite zeigte sich China sehr offen, teilweise sogar konfrontativ, bei der Durchsetzung seiner Vorstellung von einer Transformation der globalen Governance-Architektur. Die im Februar 2022 deklarierte «Freundschaft ohne Grenzen» mit Russland ist nur eines von vielen Beispielen für Pekings Vorgehen.
Um ihre Vorstellungen von einer neuen Weltordnung durchzusetzen, haben Pekings Machthaber in den vergangenen Jahren ein komplexes Geflecht aus Institutionen und Organisationen geschaffen. Dazu zählen unter anderem die Belt-and-Road-Initiative, die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank, das Forum für China-Afrika-Kooperation, auch das Brics-Bündnis, dem durch Pekings Bemühungen in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe weiterer Länder beigetreten sind.
Bei den Gipfeltreffen der jeweiligen Organisationen umgarnt der Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Amtskollegen aus Schwellen- und Entwicklungsländern, um ihnen seine Vorstellungen von einer neuen internationalen Ordnung schmackhaft zu machen.
«Die finden gut, was China macht»
Die Speerspitze der diplomatischen Avancen Pekings bildet allerdings die globale Entwicklungsinitiative, ein wie so oft in China vage formuliertes Konzept, das im Wesentlichen jedem Land das Recht auf Entwicklung zuspricht, sich implizit aber gegen eine liberale Weltordnung wendet, bei der die Menschenrechte einen wesentlichen Pfeiler bilden.
«Die globale Entwicklungsinitiative hat das Potenzial, einen Konsens unter allen Ländern über gemeinsame Werte herzustellen», glaubt Wang Wen von der Renmin University in Peking. Wang verweist darauf, dass die Initiative bereits von mehr als 100 Staaten unterstützt werde.
Zwar findet sich die globale Entwicklungsinitiative nicht im Entwurf für das Abschlussdokument des anstehenden Gipfels. Doch China ist in den vergangenen Jahren gezielt auf zahlreiche Länder zugegangen, um ihnen die Initiative anzudienen, oftmals mit Erfolg.
Tatsächlich fallen Pekings Angebote und Vorstellungen von einer anderen Weltordnung bei vielen Schwellen- und Entwicklungsländern auf fruchtbaren Boden. Auch aufstrebende Nationen finden daran Gefallen. Bröning von der Friedrich-Ebert-Stiftung nennt etwa Südafrika, aber auch andere Länder und sagt: «Die finden gut, was China macht.»
Eine Ordnung, in der der Westen nicht mehr so wichtig ist
In Brasilien etwa steht die neue linke Regierung unter dem Präsidenten Lula da Silva den chinesischen Konzepten durchaus offen gegenüber. «Die Regierung richtet ihre Aussenpolitik jetzt stärker auf den globalen Süden aus», sagt Maurício Santoro, Experte für die brasilianisch-chinesischen Beziehungen an der Staatlichen Universität in Rio de Janeiro.
Lulas politische Vision, sagt Santoro, gründe sich auf die Vorstellung, dass Brasilien, China, Russland, Indien, Südafrika und andere Länder eine neue internationale Ordnung bilden sollen. «Das soll eine globale Ordnung sein, bei der der Westen nicht mehr so wichtig ist, wie er es jetzt noch ist.»
Bröning von der Friedrich-Ebert-Stiftung in New York sieht bei den Vereinten Nationen denn auch die Gefahr einer Lagerbildung nach dem Muster «der Westen gegen den Rest».
Xis Motiv ist die Rivalität mit den USA
Genau das bezweckt Chinas Staats- und Parteichef Xi mit seiner Aussenpolitik. Mit seiner Rhetorik erweckt Chinas starker Mann zwar stets den Eindruck, ihm gehe es um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung aller Länder. Doch Xis Motive sind alles andere als altruistisch.
Pekings Politik ist in erster Linie darauf ausgerichtet, die von den USA und anderen westlichen Ländern geprägte Nachkriegsordnung durch eine alternative, weniger auf Freiheitsrechte fussende Ordnung abzulösen. Je mehr Länder auf die chinesischen Konzepte anspringen, desto näher kommt China seinem Ziel, seinen schärfsten Rivalen, die USA, als Weltmacht Nummer eins abzulösen und China bis zum Jahr 2049 in die Mitte der Weltbühne zu führen.
Auch deshalb setzt Peking sich vehement dafür ein, die internationalen Finanzorganisationen wie den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank umzubauen. Sicher, die internationale Finanzarchitektur spiegelt nicht mehr die globalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse wider. Doch Chinas Machthaber haben bei ihren Vorstössen stets die Geopolitik mit im Blick.