Priyanka Gandhi gilt als führungsstark und charismatisch, so wie ihre Grossmutter Indira, die 1984 ermordete Premierministerin. Die indische Kongresspartei setzt nun ihre Hoffnung auf die jüngste Erbin der Dynastie.
Priyanka Gandhi hat lange gezögert, in die Politik zu gehen. Mit 52 Jahren hat sie sich aber nun den Wählern in Südindien gestellt und prompt einen Erdrutschsieg erzielt. Bei einer Nachwahl im Wahlkreis Wayanad erhielt sie am 23. November fast zwei Drittel der Stimmen. Fortan wird die Gandhi-Familie mit drei Mitgliedern im Parlament vertreten sein – Priyanka und ihr Bruder Rahul sitzen im Unterhaus, ihre Mutter Sonia politisiert im Oberhaus. Ob dies für ihre Kongresspartei ein Grund zum Feiern ist, darüber gehen allerdings die Meinungen auseinander.
Die linke Kongresspartei ist seit Jahrzehnten aufs Engste mit der Nehru-Gandhi-Familie verknüpft. Es war Jawaharlal Nehru, der Indien 1947 in die Unabhängigkeit führte. Nach seinem Tod 1964 übernahm seine Tochter Indira die Führung der Kongresspartei – als Dritte in der Familie. Denn schon Jawaharlal Nehrus Vater, Motilal Nehru, hatte den Parteivorsitz inne. Durch die Heirat mit Feroze Gandhi erhielt Indira den Namen Gandhi. Feroze war ein Gefährte von Mahatma Gandhi, doch bestand keine familiäre Verbindung.
Zwei Jahrzehnte lang war Indira Gandhi die dominierende Figur der indischen Politik, bis sie 1984 von zwei ihrer Sikh-Leibwächter ermordet wurde. Ihr Sohn Rajiv, der ihr an der Spitze der Regierung nachfolgte, fiel 1991 seinerseits einem Attentat der Tamil Tigers zum Opfer. Für Rajivs Kinder Rahul und Priyanka waren die Morde – erst ihre Grossmutter Indira, dann ihr Vater – traumatisch und prägend. Priyanka zeigten sie früh, welchen Preis ein Leben in der Politik fordern kann.
Priyanka scheute lange den Gang in die Politik
«Ich war wütend, nicht auf eine Person, sondern auf die ganze Welt», sagte Priyanka später. Nach dem Attentat auf ihre Grossmutter hatten ihre Eltern sie und ihren Bruder aus der Schule genommen und zu Hause unterrichtet. Über Jahre lebten die Gandhis wegen der anhaltenden Terrorgefahr unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.
Nach einem Studium der Psychologie und der buddhistischen Studien in Delhi heiratete Priyanka 1997 den indischen Geschäftsmann Robert Vadra. Über Jahre mied sie die Öffentlichkeit und widmete sich vor allem der Familie. Sie wollte ihren zwei Kindern ersparen, was sie selbst erlebt hatte. Doch der Sog der Politik war gross.
Viele Kongressanhänger hielten die Gandhis für prädestiniert, die Führung der Partei zu übernehmen. Und so gaben erst die Mutter Sonia, später ihr Bruder Rahul und jetzt auch Priyanka dem Druck der Partei nach. Nach der Niederlage der Kongresspartei bei den Wahlen 1996 stieg Sonia in die Politik ein und liess sich zur Vorsitzenden wählen. Mit einer Unterbrechung von 2017 bis 2019, als ihr Sohn Rahul vorübergehend den Vorsitz innehatte, führte sie die Partei bis 2022.
Priyanka gilt als fähigere Politikerin als ihr Bruder
Aufgrund ihrer Herkunft ist Sonia eine ungewöhnliche Politikerin für Indien. Denn die heute 77-Jährige wurde in Italien geboren. Ihren Mann Rajiv lernte sie beim Studium in Cambridge kennen. Hindi spricht sie bis heute mit Akzent. Ihre Gegner hielten ihr daher lange vor, keine echte Inderin zu sein. In den ersten Jahren an der Parteispitze schrieb Priyanka die Reden für ihre Mutter und unterstützte sie im Wahlkampf. Doch während sich ihr Bruder Rahul 2004 ins Parlament wählen liess, zögerte Priyanka weiter, selbst den Sprung in die Politik zu wagen.
Dabei galt Priyanka schon früh als natürliches politisches Talent. Viele hielten sie für die fähigere Politikerin als ihr zwei Jahre älterer Bruder, der sich mit seiner Rolle als Politiker am Anfang sichtlich schwertat. Bei Auftritten wirkte Rahul lange unsicher, steif und distanziert. Priyanka dagegen fiel es schon als junge Frau leicht, einen Draht zu den Leuten herzustellen. Sie wirkt herzlich, empathisch und zugewandt, hat aber auch eine natürliche Autorität.
Ihre Grossmutter Indira soll zwei Tage vor ihrem Tod gesagt haben, Priyanka werde einst ihr Erbe antreten. «Die Leute werden mich in ihr sehen», sagte die damalige Premierministerin angeblich ihrem Sekretär. «Sie wird leuchten, und das nächste Jahrhundert wird ihr gehören.» Heute ähnelt Priyanka nicht nur äusserlich Indira, auch ihr Charakter erinnert an die eiserne Lady, die für ihre Willens- und Führungsstärke bekannt war. Für viele ihrer Anhänger ist es daher nur natürlich, dass Priyanka nun in Indiras Fussstapfen tritt.
Die Gandhis blockieren die Erneuerung der Partei
Als Priyanka Gandhi am Donnerstag im Parlament vereidigt wurde, feierte sie ihre Partei wie eine Heilsbringerin. Die Erwartungen sind gross – manche sehen sie gar als künftige Kandidatin für das Amt der Premierministerin. Ihr Wahlsieg in Wayanad hat gezeigt, dass der Name Gandhi noch immer bei den Wählern zieht. Doch auch wohlgesinnte Beobachter sehen die Dominanz der Gandhi-Dynastie als Problem für die Kongresspartei und als Hindernis für die notwendige Erneuerung.
Die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi lästert schon lange, die Kongresspartei sei unter den Gandhis zu einem Familienunternehmen verkommen. Zwar ist sie keineswegs allein damit, Posten in der Familie weiterzureichen. Die indische Politik ist voll von Familiendynastien, gerade auf lokaler und regionaler Ebene. Doch die Kongresspartei sticht heraus, da sie nun schon in fünfter Generation von derselben Familie kontrolliert wird.
Die BJP wird nun zweifellos die alten Vorwürfe gegen Priyankas Mann Robert Vadra wieder aufwärmen. Ihm wird vorgeworfen, seine Kontakte zur Kongresspartei genutzt zu haben, um sich zu bereichern. Seit 2015 läuft ein Verfahren gegen den Geschäftsmann, weil er sich illegal Land angeeignet haben soll. Es gibt Spekulationen, dass auch er in die Politik gehen wolle. Priyanka hat die Vorwürfe als Schmutzkampagne abgetan, doch den Verdacht des Nepotismus wird die Familie nicht ganz los.
Die Erbfolge widerspricht dem Leistungsgedanken
Die Gandhis erinnern gerne daran, was ihre Familie alles für das Land geopfert hat. Doch die dynastische Erbfolge widerspricht dem Leistungsgedanken, der gerade den Linken teuer ist. Sie verhindert auch, dass junge Politiker an der Spitze nachrücken. Zwar hat sich Rahul 2022 mit einem 4000 Kilometer langen Marsch durchs Land neu erfunden und an Reife und Statur gewonnen. Es bleiben aber Zweifel daran, dass er geeignet ist, den Kongress wieder an die Macht zu führen.
Bei der Parlamentswahl im Juni gelang es der Opposition unter Rahuls Führung zwar überraschend, Modis Partei viele Sitze abzunehmen. Die BJP verlor nach zehn Jahren ihre Mehrheit und war gezwungen, eine Koalition einzugehen. Doch bei den jüngsten Wahlen in den Teilstaaten konnte der Kongress diesen Erfolg nicht wiederholen. Oft wirkte die Partei desorganisiert, ideenlos und zerstritten. Im Teilstaat Maharashtra wurde sie am 20. November regelrecht dezimiert. Ob Priyanka an diesem Malaise der Partei etwas ändern kann, ist ungewiss.







