Bei seiner ersten grossen Rede als Trumps «Running Mate» nutzte J. D. Vance seine mächtigste Waffe: die Geschichte seines eigenen Aufstiegs. Der American Dream des Isolationisten könnte für die Ukraine zum Albtraum werden.
Der erste Eindruck ist immer der wichtigste. Für den erst 39-jährigen J. D. Vance stand am Mittwoch deshalb viel auf dem Spiel. Er musste sich am republikanischen Parteitag in Milwaukee in seiner ersten grossen Rede als Donald Trumps Kandidat für die Vizepräsidentschaft den Wählern vorstellen. Und dabei überzeugte nicht nur er, sondern auch seine indischstämmige Frau Usha Vance. In einem Satz formulierte sie die Besonderheit ihres Mannes: «Es gibt kein besseres Beispiel für den American Dream als J. D.»
Vance ist in Ohio in einer zerfallenden Industriestadt als Sohn einer drogensüchtigen Mutter aufgewachsen. Er erlebte Armut und häusliche Gewalt. Und trotzdem schaffte er es zu den Marines und danach zum Jurastudium an der Eliteuniversität Yale. Vor zwei Jahren wurde er in den Senat gewählt. In seiner Rede verknüpfte er die Geschichte seines Aufstiegs nun geschickt mit jener der USA. Der Karriere-Politiker Joe Biden habe während Jahrzehnten die Entscheidungen mitgetragen, welche Amerika schwächer machten: das Freihandelsabkommen mit Mexiko, die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation und schliesslich die Invasion im Irak 2003. Das alles habe Arbeitsplätze zerstört und Orte wie seine Heimatstadt Middletown ausgeblutet.
Keine «Freikarten» mehr für Verbündete
Trump habe eine einfache Vision, um diese Fehler wieder rückgängig zu machen, erzählte Vance. «Wir haben mit der Wall Street abgeschlossen, wir werden uns den Arbeitern verpflichten. Wir sind fertig damit, billige Arbeitskräfte zu importieren.» Künftig sollten wieder mehr Fabriken in den USA produzieren. Es gelte Chinas Kommunistische Partei daran zu hindern, «ihre Mittelklasse auf dem Rücken der Amerikaner» aufzubauen. Zudem müssten die Verbündeten der USA die Kosten für die globale Sicherheit mittragen: «Es wird keine Freikarten mehr für Länder geben, welche die Grosszügigkeit der amerikanischen Steuerzahler betrogen haben.»
Vance spielte die Rolle des Anwalts der kleinen Leute überzeugend. Auch weil er immer wieder persönliche Geschichten in seine Rede einstreute. «Unserer Bewegung liegen auch die alleinerziehenden Mütter am Herzen, solche Mütter wie meine eigene.» Dann zeigte Vance auf die Tribüne: «Meine Mutter ist hier. Sie ist seit zehn Jahren clean.» Der Stichtag für das Zehnjährige sei eigentlich erst im nächsten Januar. «Ich schlage vor, dass wir das im Weissen Haus feiern werden.»
Zum Ende seiner Rede machte Vance ein Versprechen: «Ich werde ein Vizepräsident sein, der nie vergisst, woher er kommt.»
Diese Bodenständigkeit kommt bei den Delegierten des Parteitags gut an. «Vance kann der nächsten Generation die Hoffnung geben, dass der American Dream weiterlebt», sagt etwa Judy Hon, eine pensionierte Krankenschwester aus Missouri. Sie ist überzeugt, dass Vance viele junge Wähler mobilisieren kann. «Ich bin absolut begeistert», meint auch Taffy Howard aus South Dakota. «Vance ist ein Mann aus dem Volk, nicht des Establishments.»
Auch für Tom Carroll aus Pennsylvania ist Vance der richtige Vizepräsident. «Er litt unter vielen Dingen, unter denen viele Leute wegen Bidens Wirtschaftspolitik und der Inflation nun auch leiden. Damit kann er viele Menschen erreichen.» Vance sei ein Kämpfer und werde gemeinsam mit Trump die Agenda vorantreiben, um die westliche Zivilisation zu retten. «Europa ist bereits verloren, wegen der Masseneinwanderung und der woken Kultur.» Amerika sei die letzte Hoffnung, um die westliche Zivilisation zu retten.
Die Internationalisten haben «Todesangst»
Während Trumps Delegierte in Milwaukee ihrem Kandidaten für das Vizepräsidium zujubelten, ist J. D. Vance in der eigenen Partei jedoch teilweise umstritten. Vor allem sein Hang zu einer isolationistischen Aussenpolitik sorgt für Kritik. Die monatelange Blockade der Ukraine-Hilfe im Kongress offenbarte bereits den parteiinternen Kampf zwischen Isolationisten und Internationalisten. Mit der Bewilligung neuer Milliarden für Kiew im Frühjahr setzten sich die Internationalisten schliesslich durch. Aber mit Vance als «Running Mate» signalisiert Trump nun, dass er die Isolationisten in seiner zweiten Amtszeit stärken will.
Mit dieser Entscheidung für Vance habe Trump den aussenpolitischen Grabenkampf in der eigenen Partei mit «politischem Kerosin» befeuert, schrieb «Politico» am Mittwoch. Der republikanische Kongressabgeordnete Ken Calvert meinte: «Die Ukrainer sollten sich besser beeilen und den Krieg gewinnen.» Ein anderer Abgeordneter kommentierte die Aussicht auf einen Vizepräsidenten Vance hinter vorgehaltener Hand noch drastischer: «Ich habe eine Todesangst.»
Trump hat immer noch die Chance, die Sorgen der Internationalisten zu beschwichtigen, indem er etwa Internationalisten wie seinen früheren Aussenminister Mike Pompeo, seine frühere Uno-Botschafterin Nikki Haley oder einen Falken wie den Senator Tom Cotton in seine Regierung holt. Sollten jedoch bei den Wahlen auch noch mehr republikanische Isolationisten in den Kongress gewählt werden, könnte die Machtbalance kippen. Dann wäre die Verabschiedung weiterer Hilfsgelder für Kiew noch schwieriger, als sie es ohnehin schon war.
Das neue Parteiprogramm der Republikaner erwähnt die Stärkung der internationalen Allianzen zwar als ein Ziel der amerikanischen Aussenpolitik. In dem Dokument steht aber auch, dass sich die Aussenpolitik auf «die essenziellsten nationalen Interessen» konzentrieren solle. So schön sich Vances American Dream anhört, für die Ukraine und ganz Europa könnte seine Aufsteiger-Geschichte zum Albtraum werden.