Der Wu-Tang Clan hat die Rap-Kultur einst mit Mystik und kämpferischer Gestik belebt. Das bunte Kollektiv hat ein Album herausgebracht, das sich wie ein Abschied ausnimmt.
Schliesst sich der Vorhang für eine der einflussreichsten Formationen des Hip-Hops? Leiser als je zuvor veröffentlichte der New Yorker Wu-Tang Clan kürzlich ein Album. Und die derzeitige Welttournee soll die letzte sein. Ist das ein würdiger Abschied oder ein stilles Nachspiel? Die Formation aus Staten Island, die in den 1990er Jahren den Klang und die Attitüde des Hip-Hops neu definierte, war in den letzten Jahren vor allem eines: ein Echo ihrer selbst.
Als der Wu-Tang Clan 1993 auf der Bildfläche erschien, war dies ein Ereignis ausserhalb des Erwartbaren – ein Riss ging durch das Gewebe des Gewohnten. Die neue Ästhetik war ein Rätsel: Kung-Fu-Versatzstücke, kryptischer Mafia-Slang, Symbole aus dem Islam fügten sich zum Inner-City-Psychogramm. Vieles davon verstand man nicht auf Anhieb. Es ging auch weniger um die Botschaft als um die Atmosphäre: ein Dunkel, das glänzte.
Keine Einladung, eine Prüfung
Für Ohren, die an den Druck und die Tanzbarkeit erfolgreicher Künstler wie LL Cool J, Cypress Hill, House of Pain oder Naughty by Nature gewöhnt waren, wirkte der Clan fast brüchig. Der scheppernde, ungeschliffene Sound schien aus einem neuen akustischen Universum zu stammen. Das erste Album, «Enter the Wu-Tang (36 Chambers)», wirkte nicht wie eine Einladung, eher wie eine Prüfung. Schwerter zischten, Beats klackten, die Stimmen schienen aus schlecht isolierten Kellern zu dringen.
Der Wu-Tang Clan hatte noch eine Besonderheit: In ihrer Vielstimmigkeit war die Formation eine lebendige Antithese, ein anarchisches, raues Gegenbild zu Hochglanz-Rap. Unberechenbarkeit und Abwechslungsreichtum waren seine Stärken. Bei dem rund zehnköpfigen Rapper-Kollektiv war es ein bisschen wie bei einer Boygroup, bei der jeder sein eigenes Lieblingsmitglied hatte; die verbalen Kampfstile der Rapper waren tatsächlich sehr unterschiedlich.
RZA, der Produzent der ersten Jahre, gab dem Clan eine kämpferische Seele. Ghostface Killah, der seinerseits eine der stärksten Solokarrieren im Hip-Hop hinlegte, profilierte sich durch seine Auseinandersetzung mit Soul. In seinen besten Momenten brauchte er keinen ausgeklügelten Beat, keinen komplexen Rhythmus. Ein einfacher Loop, ein schlichtes Soul-Sample genügten, um ihn in einen Rausch zu versetzen. Die emotionale Wucht, die er mit minimalem Instrumentarium erzeugt, ist sein Markenzeichen geblieben.
Inspectah Deck wiederum ist vielleicht der technisch versierteste Rapper des Clans. Decks Fähigkeit, den Beat mit seiner präzisen, fast mathematisch perfekten Technik zu zerschneiden, blieb häufig im Schatten von Ghostface Killah, aber in vielen der besten Wu-Tang-Songs sorgte Decks Rap für den Höhepunkt. Method Man schliesslich war stets derjenige, der auf der Bühne glühte – mit Körperspannung, rhythmischer Präzision und einem Gespür für das Publikum.
Als jetzt «Black Samson, the Bastard Swordsman» erschien, das achte Studioalbum des Clans, hat das zwar kaum mehr Wellen geschlagen. Dennoch handelt es sich wieder einmal um ein ansprechendes Werk, stilistisch makellos, reduziert, dreckig, mit vielen packenden Samples – ein Album, wie es nur eine Formation mit dieser Geschichte abliefern kann. Aber es ist auch die eigene Geschichte, die dominiert. Die Dramaturgie kennt man ebenso wie die Klangfarben. Die Lyrics sind noch immer voller dunkler Anspielungen, kryptischer Verweise und mystischer Kampfrhetorik.
Wenn es um eine künstlerische Weiterentwicklung ging, so standen sich die Rapper des Clans in den letzten Jahrzehnten oft selbst im Weg. Immer wieder brachen innere Zwiste aus, immer wieder wurden neue Alben unter fragwürdigen Bedingungen und bloss um der Publicity willen veröffentlicht. Am deutlichsten zeigte sich das 2015, als das Album «Once Upon a Time in Shaolin» lediglich in Form eines einzigen physischen Exemplars erschien – und an einen Pharma-Investor verkauft wurde.
Solche Mätzchen untergruben die Verlässlichkeit des Clans. Die Musik rückte in den Hintergrund – und mit ihr die Möglichkeit, das kollektive Schaffen als fortlaufende Geschichte zu begreifen. Es wirkte zunehmend, als traue man dem eigenen Mythos mehr als der eigenen Gegenwart.
Ein Platz in der Geschichte
Wenn man zurückblickt, kann man lange darüber streiten, welches Album oder welcher Track des Wu-Tang Clans sich am besten gehalten hat. Die ersten beiden Alben, «Enter the Wu-Tang (36 Chambers)» und «Wu-Tang Forever», konnten sich jedenfalls als stilbildende Meisterwerke behaupten. Aber auch die frühen Soloalben einzelner Clan-Mitglieder sind herausragend und haben je ihre eigene, unverwechselbare Bedeutung. «Liquid Swords» von GZA und «Only Built 4 Cuban Linx . . .» von Raekwon ragen besonders hervor. Während GZA eine philosophische Tiefe in die Strassenpoesie brachte, setzte Raekwon auf Mafia-Ästhetik und cineastische Erzählweise.
Einst verstiess die Musik des Clans gegen jede Regel; heute hat sie ihren festen Platz in der Geschichte. Im Jahr 2025 erzittert niemand mehr vor dem Wu-Tang Clan. Die Revolution ist zwar vorbei, aber das musikalische Beben scheint fast zeitlos. Das Kollektiv hat über Jahrzehnte hinweg bewiesen, wie facettenreich und dringlich Hip-Hop klingen kann. Für viele Fans ist der Clan deshalb zum treuen Lebensbegleiter geworden – ein Fixpunkt, an dem sich musikalische Erinnerungen und persönliche Biografien festmachen lassen. Es bleibt ein Gefühl von Wucht und schöpferischem Chaos.