Die Flugtage in Hausen am Albis sind das grösste Treffen für Modellflugzeuge in der Schweiz. Zu den Lieblingen des Publikums am Wochenende zählte eine alte Bekannte.
Die MD-11 der Swissair macht Probleme. Das Fahrwerk der «Obwalden» lässt sich nicht einklappen. Die Maschine steht am Samstagmittag auf dem Flugplatz in Hausen am Albis, die Mechaniker sind ratlos, und die Zeit drängt. In wenigen Minuten soll der Dreistrahler mit dem markanten dritten Triebwerk am Heck abheben. Vor Hunderten von Zuschauern.
«Hei, ich glaub’s nicht. Willst du mich verarschen?!»
Hans Messmer, der Pilot und Besitzer des Flugzeugs, versteht die Welt nicht mehr. Eben noch hat alles funktioniert. Und jetzt streikt das Fahrwerk. So kann die «Obwalden» nicht starten. Die Swissair war der Stolz einer ganzen Nation. Und jetzt droht ihr nach dem Grounding vom 2. Oktober 2001, als die Flotte der zahlungsunfähigen Airline am Boden blieb und die Maschinen mit dem Schweizerkreuz am Flughafen Zürich zwangsparkiert wurden, eine weitere Blamage.
Doch dann ertastet Messmer im Rumpf des Flugzeugs die Ursache des Problems: Ein Schläuchlein hatte sich gelöst. Die Verbindung wieder zusammenstecken, mit dem Kompressor Druckluft ins pneumatische System geben, dann kann das Fahrwerk per Fernsteuerung erneut getestet werden. Und siehe da: Jetzt verschwinden die Räder wie vorgesehen im Bauch der Maschine. Auch die Landeklappen schliessen einwandfrei.
Hans Messmer besitzt ein knapp vier Meter langes Modell einer MD-11 der Swissair. Der Pilot sagt: «Es ist ein faszinierendes Hobby.»
Die MD-11 ist startklar. Die Helfer von Messmer heben das knapp vier Meter lange Modell der «Obwalden» vom Gestell und schieben es zur Startbahn. Messmer startet das Triebwerk. Die Heckturbine der Maschine macht einen Lärm wie ein echter Passagierjet. Auch der Kraftstoff ist derselbe: Das Modellflugzeug fliegt mit Kerosin.
Die Maschine rollt langsam die Startbahn hinunter. Dann wendet sie, der Pilot mit der Fernsteuerung auf dem Schoss gibt Schub. Die MD-11 beschleunigt, zieht am Publikum vorbei und hebt ab. Das Flugzeug zieht weite Kreise am Himmel. Die Swissair fliegt wieder!
Zumindest an den (Modell-)Flugtagen Hausen am Albis.
Loopings, Rollen, Sturzflüge
Der Anlass hat Tradition. Jedes Jahr am ersten Oktoberwochenende treffen sich Modellflugpiloten mit ihren beeindruckenden Maschinen auf dem Flugplatz Hausen Oberamt. Bei gutem Wetter verfolgen bis zu 10 000 Zuschauerinnen und Zuschauer die Manöver der ferngesteuerten Flugzeuge und Helikopter. Es ist der grösste Event dieser Art in der Schweiz.
Wolfgang Auth, der langjährige Pressesprecher der Veranstaltung, sagt: «Wir sind zu einer Marke geworden.» An der Generalversammlung des Weltverbands der Modellflieger und anderer Luftsportarten in der saudiarabischen Hauptstadt Riad im November werden die Flugtage eine Auszeichnung erhalten, wie die Verantwortlichen vor kurzem erfahren haben. Der Anlass gehört damit offiziell zu einem der besten ehrenamtlich organisierten Fliegertreffen überhaupt.
Die Modellflugtage in Hausen am Albis sind ein Fest für die ganze Familie.
45 Piloten, 60 Starts pro Tag, 100 freiwillige Helferinnen und Helfer auf dem Gelände sorgen für ein Spektakel und ein kleines Volksfest, an dem alles glattgehen und vor allem nichts passieren soll: Der «Linienflug» von Messmers Swissair-Maschine gehört zu den ruhigen Darbietungen am Himmel über dem Knonauer Amt. Bei den tollkühnen Figuren der Kunstflieger allerdings kann einem beim Zuschauen etwas mulmig werden: Loopings, Rollen, Sturzflüge, Seitwärts- und Kopfüber-Manöver, Durchstarten knapp über Boden – das gehört zwar bei einer Flugshow dazu.
Aber was ist, wenn eine dieser stattlichen Maschinen abstürzen sollte?
Die Tragödie von Samaden
Auth sagt: «Wir sind viel professioneller geworden in den vergangenen Jahren.» Flüge übers Publikum etwa sind in Hausen strikt verboten. Die Piloten dürfen den Rand entlang der Landebahn, hinter dem sich die Zuschauer befinden, nicht überfliegen. Abdrehen müssen sie immer in die andere Richtung. Wer sich nicht daran hält, wird abgemahnt oder zur Landung gezwungen und von der Veranstaltung ausgeschlossen.
Fehler wie vor vierzehn Jahren an einer Modellflugschau in Samaden im Oberengadin will man in Hausen tunlichst vermeiden. Damals liess ein Pilot seine Propellermaschine mit einer Flügelspannweite von drei Metern überm Publikum kreisen. Dann setzte der Motor aus, das Flugzeug geriet ins Trudeln und stürzte in die Menge. Ein Familienvater wurde vom Propeller am Kopf getroffen und erlitt tödliche Verletzungen.
Die Flugtage im Knonauer Amt indes gehen auch dieses Jahr ohne Zwischenfälle über die Bühne. Die MD-11 dreht bedächtig ihre Runden, der Speaker lässt die gute alte Swissair-Zeit noch einmal aufleben. «Damals waren die Ticketpreise einiges höher als heute!», lässt er das Publikum wissen. Und: «Spüren Sie den Seitenwind? Da muss der Pilot immer wieder überlegen: ‹Was mache ich damit?›, vor allem bei der Landung.»
Hans Messmer lässt sich von den ruppigen Bedingungen nicht aus der Ruhe bringen. Mit 67 Jahren gehört der Aargauer zu den Routiniers. Nach etwas mehr als fünf Minuten setzt seine MD-11 sanft auf der Landebahn auf. Der Speaker freut sich: «Wunderbar!» Das Publikum applaudiert. «Ding-Dong. Meine Damen und Herren, Sie dürfen nun wieder Ihre elektronischen Geräte benutzen», klingt es aus den Lautsprechern. Die Macher der Flugtage haben an alles gedacht.
Grosse Modellflugzeuge brauchen eine Bewilligung
Messmer, ein pensionierter Mechaniker, fliegt Modellflugzeuge, seit er ein Kind war. Seit einem Arbeitsunfall Mitte der achtziger Jahre sitzt er im Rollstuhl. Seine MD-11, eine glasfaserverstärkte Kunststoffkonstruktion, hat er vor Jahren einem Freund abgekauft. «Aber dann habe ich das Flugzeug fast komplett umgebaut.» Die Elektronik, die Steuerung, die Rudersysteme: All das stammt von ihm.
Dann touchierte er bei einem Formationsflug ein anderes Flugzeug, die MD-11 stürzte ab. Messmer verbrachte Jahre damit, die schwerbeschädigte Maschine wieder flugtauglich zu machen.
Wie viel Geld er investiert habe? «Das wollen Sie nicht wissen», antwortet Messmer und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Dann sagt er: «Viel, mehrere zehntausend Franken.»
Bei Modellflugzeugen dieser Grösse ist das nicht unüblich. Die MD-11 von Hans Messmer wiegt mehr als dreissig Kilogramm. Das bedeutet: Er braucht eine Bewilligung vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl). Seine Swissair-Maschine musste eine technische Prüfung am Boden bestehen, und der Pilot musste innert sechs Monaten mindestens zehn Flüge durchführen, um die Flugtauglichkeit seines Modells auch in der Luft zu belegen.
Eine aufwendige Sache also. Aber was will man machen?
Messmer sagt: «Es ist ein faszinierendes Hobby. Man ist an der frischen Luft und viel mit Freunden unterwegs.» So wie er denken viele Menschen. Laut Bazl gibt es rund 15 000 Modellflugpiloten und -pilotinnen in der Schweiz. Etwas mehr als die Hälfte sind über einen Verein im nationalen Verband dabei.
Mit am Start in Hausen am Albis ist auch ein «Papierflieger» aus Holz, der von einem Schleppflugzeug in die Luft gezogen wird.