Immer mehr Menschen halten sich exotische Ameisen als Haustiere. Sie bezahlen viel Geld dafür. Sind Ameisen das neue Elfenbein?
Der kleine Gerichtssaal beim Flughafen der kenyanischen Hauptstadt Nairobi quillt an diesem Morgen über. Staatsanwälte, Verteidigerinnen, Journalisten und Angehörige drängen sich, nicht alle finden auf den Holzbänken Platz. Manche stehen, andere schauen durch die offenen Fenster herein.
Ein ungewöhnlicher Fall wird verhandelt, der über Kenya hinaus für Schlagzeilen sorgt. Das liegt an zwei bleichen Belgiern, die auf der Anklagebank sitzen. Sie blicken verloren in den Saal, tragen T-Shirt und Trainerhose, der eine hat einen Wuschelkopf, der andere einen dünnen Schnurrbart. Sie sind 19 und 18 Jahre alt.
Der Staatsanwalt hat eine Mappe vor sich, darauf steht: «Handel mit lebenden Wildarten». Er wirft den Angeklagten vor, sie hätten rund 5000 Ameisen aus dem Land schmuggeln wollen.
Die Belgier wurden Anfang April in einem Gästehaus in der Stadt Naivasha festgenommen, eineinhalb Stunden von Nairobi entfernt, in der Nähe eines Nationalparks. In ihrem Zimmer befanden sich Tausende lebender Ameisen in 2200 Reagenzröhrchen und Spritzenzylindern. Die Ameisen gehören zur Art Messor cephalotes, zur grossköpfigen Ernteameise, die nur in Ostafrika vorkommt. Ihr Export ohne Bewilligung ist verboten. Die Ermittler sagen, sie hätten ausschliesslich Königinnen gefunden. Diese können bis zu zweieinhalb Zentimeter gross werden.
Verkaufswert der Ameisen: eine Million Euro
Der Vorwurf lautet auf illegalen Besitz und versuchten Schmuggel. Die Belgier haben sich schuldig bekannt, ebenso ein Kenyaner und ein Vietnamese, denen in einem gleichzeitig verhandelten Fall vorgeworfen wird, dass sie mehrere hundert Ameisen derselben Art schmuggeln wollten.
Einer der Belgier sagt vor der Verhandlung: «Wir hatten nie die Absicht, ohne Papiere zu exportieren.»
Doch die kenyanischen Behörden sagen, die Teenager hätten die Ameisen nach Europa schmuggeln wollen, um sie dort auf einem zunehmend lukrativen Markt zu verkaufen. 5000 Königinnen vom Typ Messor cephalotes haben in Europa einen Verkaufswert von bis zu einer Million Franken.
Die Behörden sagen auch, der Fall werfe Licht auf einen neuen Trend im Wildtierschmuggel. Die kenyanische Wildtierbehörde, die für den Artenschutz und den Kampf gegen die Wilderei zuständig ist, schreibt in einer Mitteilung: «Dieser Fall signalisiert eine Veränderung beim Schmuggel von Wildarten – von ikonischen grossen Säugetieren hin zu weniger bekannten, aber ökologisch wichtigen Arten.»
Sind Ameisen das neue Elfenbein?
Selbst Naturschützer sind überrascht. Mikala Lauridsen ist Programmdirektorin für Ostafrika bei der Nichtregierungsorganisation Traffic. Sie kämpft gegen den Schmuggel von wilden Tieren und Pflanzen. Sie sagt: «Der Fokus lag bisher auf Nashörnern und Elefanten. Möglich, dass andere Arten übersehen wurden.» Es sei noch unklar, ob der Schmuggel von Ameisen und anderen Insekten stark zunehme oder ob eher die Aufmerksamkeit der Behörden für das Problem steige. So oder so handle es sich auch beim Schmuggel von Ameisen um eine Form des organisierten Verbrechens.
Auch Terroristen machen beim Wildtierschmuggel mit
Der Schmuggel mit Wildtieren ist ein gigantisches Geschäft, nach dem Drogenschmuggel, Warenfälschungen und dem Menschenhandel ist es der viertgrösste illegale Handel weltweit. Die Polizeiorganisation Interpol schätzt das Volumen des Handels mit illegalen Wildtierprodukten auf jährlich bis zu 20 Milliarden Dollar. Es sei eines der grössten und profitabelsten Verbrechensfelder.
Der Handel wird von internationalen Verbrechersyndikaten betrieben. Manchmal beteiligen sich auch bewaffnete Organisationen, etwa im Amazonasgebiet, oder die islamistische Terrororganisation al-Shabaab in Somalia. Geld machen die Organisationen mit Elfenbein, Nashornhörnern oder Schuppentieren, dem am häufigsten geschmuggelten Säugetier der Welt. Ihr Fleisch gilt in manchen asiatischen Ländern als Delikatesse, ihre Schuppen als Heilmittel.
Aber Ameisen?
Liebhaber beobachten die Ameisen in Glaskästen
Ameisen wie die im Hotelzimmer der beiden Belgier sichergestellten werden nicht zum Verzehr geschmuggelt oder weil ihnen Heilkräfte zugeschrieben würden. Ihre Käufer sind Ameisenliebhaber. Sie halten die Insekten als Haustiere, in sogenannten Formicarien oder Ameisenfarmen. Sie beobachten, wie die Ameisen in den transparenten Kästen Kolonien bauen und Tunnels graben. Manche stellen Videos vom Leben ihrer Ameisenkolonie auf Youtube.
Der Handel mit Ameisen wächst. Ameisen seien weltweit zunehmend beliebte Haustiere, heisst es in einem Artikel in der Wissenschaftszeitschrift «Biological Conservation» aus dem Jahr 2023. Sammler kaufen Ameisen in Online-Shops, diese haben Namen wie Antsrus oder Antshq. Die Websites beschreiben Messor cephalotes, die bei den belgischen Teenagern festgestellte Art, als die «Traumspezies von vielen Leuten». Oder als «extrem selten, gebürtig in Afrika, die grösste Ernteameise der Welt».
Eine Königin kostet in den Online-Shops oft mehr als 200 Euro. Und die Nachfrage scheint das Angebot zu übersteigen; in vielen Shops heisst es, die Messor cephalotes seien gerade vergriffen.
Ohne Ameisen kollabiert die Savanne
Der Handel mit Ameisen hat etwas Verschrobenes, aber er ist nicht harmlos. Er kann Ökosysteme destabilisieren. Messor cephalotes verbreiten in Kenya zum Beispiel Grassamen und sorgen für deren Durchmischung. Einer von Kenyas führenden Insektenexperten, Dino Martins, sagte der Nachrichtenagentur Reuters: «Wenn wir alle Elefanten in Afrika verlieren würden, wären wir erschüttert, aber die Savanne würde weiter bestehen. Würden wir aber alle Ernteameisen verlieren, würde die Savanne kollabieren.»
Der Verlust von Königinnen, wie sie die angeklagten Belgier gesammelt hatten, ist besonders schlimm. Denn nur Königinnen können Eier legen, aus denen dann Soldaten, Arbeiter oder neue Königinnen schlüpfen.
Der Ameisenhandel birgt auch Risiken für die Länder, in die die Insekten exportiert werden. Wissenschaftliche Artikel bezeichnen die mögliche Verbreitung von Ameisen als invasiven Arten als «ein globales Naturschutzproblem».
Mikala Lauridsen von der NGO Traffic schätzt das Gerichtsverfahren gegen die belgischen Teenager deshalb als einen sehr wichtigen Fall ein. «Wir müssen wachsam bleiben und uns bewusst sein, dass ständig neue Trends entstehen können. Wir können uns nicht auf Nashörner und Elefanten allein fokussieren.»
Das Urteil gegen die Angeklagten wird am 7. Mai bekanntgegeben. Ihnen drohen bis zu fünf Jahre Haft.