Der brutale Angriff in Litauen vor einigen Wochen deutet auf eine veränderte Vorgehensweise des russischen Militärgeheimdienstes hin. Polen und Litauen kamen den Angreifern über einen bemerkenswerten Umweg auf die Spur.
Die Repression des Putin-Regimes hat dessen Gegner in den letzten zwei Jahren zur Flucht ins Ausland gezwungen. Wie verwundbar sie gegen Angriffe des Kremls sind, zeigte im März der brutale Angriff auf den ehemaligen Nawalny-Vertrauten Leonid Wolkow: Zwei Männer attackierten den 43-Jährigen in Litauen und schlugen 15 Mal mit einem Hammer auf ihn ein. Wolkow überlebte nur knapp.
Nun wurden die beiden polnischen Tatverdächtigen in ihrem Heimatland verhaftet. Der Zugriff erfolgte bereits am 3. April, wurde aber erst am Freitag bekannt. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda dankte dabei seinem polnischen Amtskollegen für die Zusammenarbeit der beiden Länder und warnte gleichzeitig die «Organisatoren des Verbrechens» davor, Ähnliches erneut zu versuchen. Bereits zuvor hatte der Geheimdienst in Litauen klargemacht, dass er russische Dienste als Urheber sieht. Die Innenministerin kritisierte den Präsidenten hart für seine Verlautbarung. Diese gefährde die komplexen Ermittlungen.
@CBSPolicji we współpracy z 🇱🇹 Policją, ustaliły tożsamość i miejsce pobytu podejrzanych o atak na rosyjskiego opozycjonistę 💪 Zatrzymano 2⃣ mężczyzn poszukiwanych ENA, których doprowadzono do @PK_GOV_PL Okręgowej Warszawa-Praga 🤝 https://t.co/8SRICVQxl6 https://t.co/6aqF2hnYs4 pic.twitter.com/gxcUUsZO0P
— Centralne Biuro Śledcze Policji (@CBSPolicji) April 19, 2024
Ein Video der polnischen Polizei zeigt die Verhaftung der beiden mutmasslichen Wolkow-Angreifer.
Polnische Fussball-Hooligans als Täter
Für die globale Dimension des Falls sprechen auch die Umstände seiner Aufklärung. Die Investigativjournalisten des Portals «The Insider» kamen den Tätern in Argentinien auf die Spur. Dort hatte ein Pole im letzten Sommer die Familie eines weiteren russischen Oppositionellen angegriffen. Über eine Bildsuche identifizierten die Reporter den Mann und übergaben ihre Erkenntnisse der Polizei. Diese fand heraus, dass dessen mutmasslicher Führungsoffizier im russischen Geheimdienst Kontakte zu den Wolkow-Angreifern hatte.
Wie Polens Regierungschef am Freitag verkündete, handelt es sich dabei um einen Weissrussen. Er habe die beiden Männer unter Fussball-Hooligans angeworben. Gleichzeitig hätten die Behörden einen Mann verhaftet, der ein Attentat auf Präsident Selenski in Polen geplant habe.
Ob die Fälle miteinander zusammenhängen, liess der polnische Ministerpräsident Donald Tusk offen. «Für die Kollaborateure der russischen Dienste wird es keine Nachsicht geben», schrieb er auf X (ehemals Twitter). «Wir werden jeden Verrat und jeden Destabilisierungsversuch niederbrennen.»
Ob den beiden Wolkow-Angreifern bewusst war, wen sie im Visier hatten, ist weniger klar. Die Zeitung «Rzeczpospolita» verortet sie im kriminellen Milieu. Sie seien eher Türsteher als professionelle Killer, und es sei offen, ob sie eine ideologische oder rein finanzielle Motivation zur Attacke bewegt habe. Der Leiter der Staatsanwalt in der litauischen Hauptstadt Vilnius sagte, Wolkow sei wegen seiner politischen Meinungen und Aktivitäten zum Ziel geworden.
Russlands Militärgeheimdienst im Umbruch
Widersprechen muss sich das nicht. Der im europäischen Ausland sehr aktive russische Militärgeheimdienst GRU befindet sich in einer Umbruchsphase. Seine personelle Basis ist seit der Invasion und der Ausweisung mehrerer hundert als Diplomaten getarnter Spione geschwächt. Er greift deshalb laut Experten vermehrt auf Kriminelle zurück, um Angriffe auszuüben, während seine eigenen Agenten sich auf die Auskundschaftung potenzieller Ziele beschränken.
Wie aktiv die russischen Geheimdienste ihren Schattenkrieg in Europa führen, zeigt eine Reihe von Fällen in den letzten Monaten. Manche, wie die stalinistisch anmutende Hammer-Attacke gegen Wolkow oder die brutale Ermordung eines zu den Ukrainern übergelaufenen Helikopterpiloten in Spanien, sollten wohl ein Zeichen der Abschreckung setzen. Andere, wie das Netzwerk des für Moskau spionierenden Österreichers Jan Marsalek, setzen auf höchste Geheimhaltung. Im Vergleich dazu gingen die Hooligans geradezu amateurhaft vor.