Der indische Premierminister hat einen Personenkult um sich geschaffen, behauptet gar, er sei das Werkzeug Gottes. Wer steckt hinter der gut gekleideten, strahlend leuchtenden Fassade?
Narendra Modi ist längst eine Marke. Sein Gesicht ist allgegenwärtig in Indien – nicht nur in Zeiten des Wahlkampfs. Sein Bildnis prangt auf Plakaten, Programmen und Websites staatlicher Institutionen und ist auch auf Hilfsgüter gedruckt, die der Staat an Bedürftige verteilt. Alle sollen wissen, wem sie die Wohltaten zu verdanken haben.
So ist Modi nicht nur zur Verkörperung der Regierung, sondern des indischen Staates selbst geworden. Vor der Parlamentswahl wirkte der 73-Jährige grösser als seine Partei – die Bharatiya Janata Party (BJP). Ihr Wahlkampf war ganz auf die Person Modis zugeschnitten. Doch am Ende hat seine Partei Dutzende Sitze im Parlament verloren und weit schlechter abgeschnitten als erwartet. Von der erhofften Zweidrittelmehrheit ist Modi weit entfernt.
Die Personalisierung der Politik hat unter dem BJP-Führer Züge eines Personenkults angenommen. Seine Anhänger verehren ihn als eine Art Halbgott. So tritt Modi auch auf. Unter ihm sind Religion und Politik so eng verbunden wie nie zuvor. Den Wahlkampf eröffnete er im Januar mit der Einweihung eines umstrittenen Tempels. Wiederholt behauptete er, Gott habe ihn auserwählt, seinen Auftrag zu erfüllen. Die letzten Tage verbrachte er auf einer Insel im Meer mit Meditieren.
Obwohl Modi in der Öffentlichkeit extrem präsent ist, ist über sein Leben wenig bekannt. Die wahre Person ist immer mehr hinter dem projizierten Bild zurückgetreten. Dies liegt auch daran, dass seine Partei dafür sorgt, dass alles aus der Erzählung gestrichen wird, was nicht zu seinem sorgfältig kultivierten Image passt. Dazu gehört, dass Modi immer auch einer war, der das Land nicht einte, sondern mit seinem Hindu-Nationalismus spaltete. Wer also ist Narendra Modi tatsächlich?
Vom Teeverkäufer zum Premierminister
Geboren wurde Narendra Modi am 17. September 1950 in der Kleinstadt Vadnagar im westlichen Teilstaat Gujarat als drittes von sechs Kindern Sein Vater war Teeverkäufer, seine Mutter Hausfrau. Modi betont gerne seine einfache Herkunft und erzählt oft, wie er als Junge am Teestand seines Vaters am Bahnhof aushelfen musste. Schon in jungen Jahren engagierte er sich in der Hindu-nationalistischen Freiwilligenbewegung Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), die seit den 1920er Jahren das Ziel verfolgt, aus Indien einen Staat der Hindus zu machen.
Nach der Schule wurde Modi Vollzeit-Funktionär und widmete sich ganz dem politischen Aktivismus. Wegen seiner Arbeit ging er erst spät an die Universität – seinen Master in Politikwissenschaft schloss er erst mit 33 ab. Prägend war die repressive Zeit der «Emergency», als die damalige Premierministerin Indira Gandhi die Demokratie ausser Kraft setzte. Heute werden Modi selbst autoritäre Tendenzen vorgeworfen – manche sehen Indien inzwischen gar als elektorale Autokratie.
Modi kultiviert heute gerne das Image eines asketischen, selbstlosen Patrioten, der sein Leben ganz in den Dienst von Mutter Indien gestellt hat. Viele Anhänger sehen seine Ehe- und Kinderlosigkeit als Garantie dafür, dass er sich nicht persönlich bereichern wolle. Erst 2014 wurde bekannt, dass Modi mit 18 eine arrangierte Ehe eingegangen ist, seine Ehefrau aber nach kurzer Zeit verlassen hat. Heute wohnt sie in Gujarat und lebt von einer bescheidenen Pension als Lehrerin.
Der Schatten der Unruhen lastet bis heute auf Modi
Nachdem Modi bis in die nationale Führung der BJP aufgestiegen war, wurde er im Oktober 2001 Ministerpräsident seines Heimatstaats Gujarat. Nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt brachen dort im Februar 2002 blutige Unruhen zwischen Hindus und Muslimen aus. Laut Menschenrechtlern fielen bis zu 2000 Menschen der Gewalt zum Opfer, die allermeisten von ihnen Muslime. Untersuchungen zeigten später, dass die Pogrome von Hindu-nationalistischen RSS-Kadern organisiert und von lokalen Politikern der BJP angeheizt wurden.
Nach langen Kontroversen sprach Indiens Oberstes Gericht Modi von einer direkten Mitschuld frei. Die USA und andere westliche Staaten verhängten aber eine jahrelange Einreisesperre gegen Modi. Erst nach seinem Wahlsieg 2014 wurde er im Westen rehabilitiert und zu einem international umworbenen Gesprächspartner. Auf Kritik an seiner Rolle bei den Unruhen reagiert Modi bis heute sensibel. Erst vergangenes Jahr untersagte er die Ausstrahlung einer BBC-Dokumentation dazu.
Offene Hetze überliess Modi lange meist anderen in der Partei, doch in diesem Wahlkampf machte er gezielt Stimmung gegen Muslime. Zu den Medien hat Modi ein angespanntes Verhältnis. Seit seinem Amtsantritt hat er keine einzige Pressekonferenz gegeben, und Interviews gewährt er nur regierungsfreundlichen Medien. Lieber wendet er sich in seiner wöchentlichen Radioshow direkt ans Volk, wobei er stets eine optimistische, positive Botschaft verbreitet.
Modi sieht sich als das Werkzeug Gottes
Den Wählern präsentiert er sich als Mann des Volkes, der es aus eigener Kraft bis ganz nach oben geschafft hat. Zugleich pflegt er enge Beziehungen zur heimischen Wirtschaftselite und lässt sich auf globalen Foren als liberaler Reformer feiern, der ausländische Investoren ins Land holt und entschlossen bürokratische Hemmnisse abbaut. Modi, der in der Schule bereits gerne Theater gespielt hat, hat nicht nur ein Gespür für Inszenierung, sondern auch einen Hang zu Glamour. Oft wechselt er mehrfach täglich seine Kurtas, Schals und Westen.
Modi hat es lange geschafft, den Indern Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben. Nach zwei Amtszeiten ist seine wirtschaftliche Bilanz aber durchwachsen. Viele Wähler haben vom Wachstum der Wirtschaft kaum profitiert. Angesichts anhaltender Arbeitslosigkeit und wachsender Ungleichheit klingt Modis Mantra vom Aufstieg Indiens für viele hohl. Das Wahlergebnis kann als Auftrag interpretiert werden, sich mehr auf die sozialen Probleme zu konzentrieren.
Noch denkt Modi nicht ans Aufhören
Mit 240 Sitzen ist die BJP zwar erneut stärkste Kraft im Parlament geworden. Allerdings fiel der Wahlsieg weit weniger glänzend aus als zuvor erwartet. Er wird sogar künftig auf Koalitionspartner angewiesen sein, um regieren zu können. Das ernüchternde Ergebnis kratzt an seiner Aura der Unbesiegbarkeit. Nach einem Wahlkampf, der völlig dominiert wurde von seiner Person, erscheint das schwache Resultat seiner Partei auch als seine ganz persönliche Niederlage.
Die Zeiten, da Modi über den Niederungen der Politik zu schweben schien, sind damit vorbei. Die Wahlen haben gezeigt, dass der alleinige Fokus auf Modi nicht reicht, um eine Mehrheit zu gewinnen. Auch stellt sich für seine Partei die Frage, was passiert, wenn Modi nicht mehr da ist. Vor der Wahl kam eine Diskussion auf, ob Modi mit 75 Jahren in Rente gehen werde. Das wäre nächstes Jahr. Er bestritt zwar derartige Pläne, doch die Frage nach seiner Nachfolge war gestellt.
Vorerst deutet nichts darauf hin, dass Modi nicht die vollen fünf Jahre seines Mandats im Amt bleiben wird. Trotz seinen 73 Jahren wirkt er voller Energie. Solange er nicht selbst zurücktritt, ist kaum denkbar, dass ihm in der BJP jemand die Führung streitig macht. Doch mit dem schwachen Wahlergebnis bekommt das Bild des überlebensgrossen Führers einige Dellen. Sollte er weitere Schwächen zeigen, werden seine Gegner nicht zögern, sie auszunutzen. Sein Weg, der immer nur nach oben führte, könnte den Zenit überschritten haben.