Ihre Kunst gehöre zum Schlechtesten, was er je gesehen habe, sagte der Professor zu ihrer Abschlussarbeit. Zweifel hatte Pamela Rosenkranz dennoch nicht. Spätestens seit die Künstlerin die Schweiz 2015 an der Biennale vertreten hat, ist sie ein Star. Ein Gespräch über falsche Darstellungen in den Medien, abstossende Schönheit und ihre Roboterschlange «Healer».
Frau Rosenkranz, Sie sind auf dem Land aufgewachsen, im Kanton Uri und dann in Spiez. Hat das eine Bedeutung?
Ich wurde in Altdorf geboren und war dann nur ein Jahr in Flüelen, aber Uri ist schon ein Mittelpunkt meiner Familie geblieben. Wir sind viel umgezogen. Waren zwischendurch auch in Zürich zu Hause, wohin ich später nach Stationen in Amsterdam und New York auch zurückgekehrt bin. Meine liebe Grossmutter ist erst kürzlich in Flüelen verstorben, und sie lebte bis zuletzt da, wo sie auch geboren wurde. Ich finde es eine wunderschöne und spannende Gegend.
Warum?
Wegen der Geschichte, des Wandels und der Mythen. Uri hat sich von einem sehr armen, einfachen Kanton zu einem Ort auch für Wohlhabende verwandelt, die durch die Steuerpolitik angezogen werden. Dazu kommen die speziellen Lichtverhältnisse. Es ist sehr visuell. Eng und schattig, dann aber kommt der Föhn und reisst den Himmel auf, und alles glänzt wieder.
Ihre Mutter ist Physiotherapeutin, der Vater Anwalt. Woran denken Sie bei Ihrer Kindheit?
Meine Kindheit war recht ungezwungen und nicht geprägt von Kunst. Meine Mutter ist sehr naturorientiert und hat ein grosses Wissen über den Körper. Das prägt mich und meine Kunst bis heute. Als Kind habe ich oft gezeichnet und gelesen. Meine Eltern hatten viele Bücher, aber ich wusste gar nicht wirklich, was Kunst ist. Das ist wohl eher untypisch für eine mittelständische Familie, aber meine Eltern haben viel gearbeitet. Wir waren kaum in Museen, eher in der Natur und in den Bergen unterwegs. Meine Mutter erzählte irgendwann, dass ich im Kindergarten in einer Klee-Ausstellung gewesen sei. Was lustig ist, weil ich ein ambivalentes Verhältnis zu Klee hatte. Seine Bilder haben mir lange nicht gefallen, erst spät habe ich die Emotionalität und Offenheit in seiner Kunst verstanden.
Das heisst, Sie können sich an die Ausstellung nicht erinnern.
Nein. Aber vielleicht wirkte das im Unbewussten. Heute finde ich ihn grossartig.
Welche Bücher haben starke Eindrücke bei Ihnen hinterlassen?
Ich lese jetzt leider nicht mehr so viel Literatur wie früher. Als Jugendliche las ich alles Mögliche: Romane, Biografien, gern auch Klassiker. Bei Kafka muss ich oft lachen, obwohl er natürlich auch tragisch ist. Ich glaube, als Künstlerin hatte ich zu Geschichten einen anderen Zugang. Bei mir geht es immer auch um die Bilder. Während des Studiums wurde auch die Philosophie wichtig: Arendt, Nietzsche, Sontag und vor allem aber Deleuze und Guattari, das «rhizome». Mein Lesen ist dann auch immer mehr zur rhizomatischen Recherche geworden, je umfangreicher und dichter das Internet geworden ist.
Sind Sie strategisch unterwegs im Internet, oder verirren Sie sich auch?
Beides, das gehört dazu. Als Künstlerin will ich auch das Erlebnis spüren: Was macht das Internet mit uns, wie verändert es den Menschen? Das blauwellige Licht des Screens beeinflusst uns, es lässt uns länger wach bleiben. Das habe ich auch in meiner Arbeit «Alien Blue» thematisiert.
Das Internet wird auch als Verdummungsmaschine für Kinder gesehen. Mein Eindruck ist, dass Sie einen positiven Zugang haben.
Bei den Kindern bin ich auch sehr kritisch. Das Internet hat grosses Potenzial, aber es ist auch gefährlich.
Was finden Sie gefährlich?
Das Internet ist voll von falschen Wahrheiten. Es ermöglicht Geschäfte mit unserer Naivität. Und Kinder sind da noch viel verletzlicher als wir. Die Frage ist ausserdem, wie das Internet unsere Denkfähigkeit verändert, unsere Erinnerungsfähigkeit und Kreativität. Kinder können heute kaum mehr gut von Hand schreiben, haben dadurch oft eine schlechte Rechtschreibung. Da gehen Fähigkeiten verloren, die ich wichtig finde. Zum Glück hat mein Sohn jetzt schon selber gemerkt, dass er Fremdwörter schneller lernt, wenn er sie händisch aufschreibt.
Wann haben Sie entdeckt, dass das, was Sie machen, Kunst ist?
Das kam mit dem vielen Zeichnen und eigentlich wohl einfach auch mit der Begabung. Irgendwann habe ich realisiert, dass es einen Vorkurs für Gestaltung gibt, und den habe ich dann gemacht. Das war ein grossartiges Jahr, weil ich da nur am Zeichnen und Malen war und alle künstlerischen Disziplinen ausprobieren konnte. All das wurde in meiner Schule kaum gefördert. Von da an war mir klar, dass es nur einen Weg gibt.
Zu Ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule der Künste in Bern sagte Ihr Professor: «Diese Kunst gehört zum Schlechtesten, was ich je gesehen habe!» – Was haben Sie da gedacht?
Vielleicht war die Selbstinszenierung in jenem Moment grösser als die inhaltliche Kunstbeurteilung. Diesem Votum ist eine Art Streit vorangegangen über meine Arbeit, und dann folgte diese recht deutsche, dramatische Form der Beurteilung. Also für mich war die Situation erstaunlich, leicht erschütternd, aber schon auch einfach interessant.
Kamen keine Zweifel auf?
Nein, gar nicht. Und kurz darauf ist ebenjene Arbeit ja dann auch vom Kunstmuseum Bern angekauft worden.
2006 trafen Sie in New York die französisch-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois und sprachen später von einer prägenden Begegnung. Warum genau?
Louise Bourgeois war damals schon 96 Jahre alt, eine Ikone der Kunst. Jeden Sonntag empfing sie Künstlerinnen und Künstler zum Gespräch in ihrem Salon, dazu gab es Cognac. Man konnte sich über das Telefonbuch anmelden, die Bedingungen waren, dass man ein Kunstwerk mitbrachte und nicht erkältet war. Bourgeois ist bekannt dafür, dass sie starke Gefühle und auch Aggressionen hatte. Ich habe sie dann energisch, aber gar nicht sehr selbstbezogen erlebt. Sie blätterte durch mein Buch, das ich mitgebracht hatte, und sagte zu jeder einzelnen Seite, dass ich sehr selbstbewusst sei.
Das hat Sie überrascht?
Mir war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, wie selbstsicher ich wohl eigentlich bin. Zumindest in Bezug auf die Kunst.
Was hat sich mit dieser Begegnung verändert?
Es war für mich damals als junge Frau die wichtigste Begegnung mit einer Künstlerin. Das hatte auch atmosphärische Gründe: Ich hatte eine wirklich grosse Figur der Kunstgeschichte vor mir, und diese Energie strahlte sie auch aus. Sie hat mich konfrontiert, und das ist eine Aufmerksamkeit, die man ohnehin selten kriegt. Meistens wird man als Kunststudentin nicht gross beachtet, zumindest war das meine Erfahrung. Man ist am Arbeiten und hat kein Publikum. Sie nahm mich sehr ernst und sagte mir, ich solle mich doch nicht so ernst nehmen, währenddessen sie das aber auch anscheinend gleichzeitig bewunderte. Das war ein spezieller Moment.
Als bekanntwurde, dass Sie die Schweiz an der Biennale in Venedig 2015 vertreten, waren Sie sehr präsent in den Medien. «Pamela Rosenkranz ist der neue Stern am helvetischen Kunsthimmel», konnte man lesen. Und: «Bilderbuchkarriere einer Bilderbuchschönheit». Wie haben Sie diese Aufmerksamkeit erlebt?
Das sind so Zuschreibungen, mit denen ich wenig anfangen kann. Die Zeit um die Biennale war sehr intensiv. Ich wollte eine unheimlich grosse und herausfordernde Installation realisieren und hätte gleichzeitig den Medien Material liefern sollen. Es kamen sogar Anfragen für Homestorys und so. Manche Artikel hatten mich dann ein bisschen enttäuscht. Die «Zeit» etwa hat nach einer Begegnung mit mir einen Text publiziert, in dem einiges nicht gestimmt hat. Die Karriereleiter, die da skizziert wurde, hatte nicht viel damit zu tun, wie es wirklich war. Aber damals war es ja auch noch suspekt, wenn man als junge Frau einen solchen Erfolg hatte. Ich hätte da wohl manche Facts berichtigen lassen müssen.
Das ist fast zehn Jahre her. Warum haben Sie es nicht gemacht?
Es gab dann auch andere Texte, die das Bild wieder etwas ausgeglichen haben, und gleichzeitig war der Artikel da schon vielfach neu abgeschrieben.
Sie scheinen Zuschreibungen generell nicht zu mögen und haben sich auch schon als «unpathetisch Identitätslose» bezeichnet. Gibt es das überhaupt?
Nein, aber man kann sich dies als Ideal setzen. Ich will frei sein von Begrenzungen, Beurteilungen und Glaubenssätzen. Ich möchte darüber nachdenken, was ein Mensch jenseits gängiger Zuschreibungen ist. Das Menschliche an und für sich interessiert mich nämlich, und das ist oft sehr komplex.
Das heisst, Sie mögen es schon nicht, wenn man Sie als Frau, Schweizerin oder Mutter bezeichnet?
Wenn ich Kunst mache, arbeite ich mit Erfahrung, Gefühl und Intellekt. Und natürlich habe ich eine Prägung. Aber das heisst nicht, dass ich limitiert und erfassbar bin.
Was sich in der Berichterstattung über Sie durchzieht, ist das Bild einer hochbegabten Künstlerin, die ihren Aufstieg mit kühler Strategie, Intelligenz, Begabung und Networking geplant hat. Sehen Sie sich darin?
Nein, diese Beschreibung trifft nicht zu. Ich glaube eher, ich stand mir einfach nicht im Weg, weil ich Kunst zeigen wollte.
Wie wichtig ist Ihnen die Bewertung durch den Kunstmarkt?
Das hat keine Bedeutung.
Können Sie leicht sagen, da es bei Ihnen nicht mehr ums Existenzielle geht.
Das würde ich nicht einmal sagen. Es bleibt spannend. Grosse Installationen zu stemmen, ist immer noch eine Herausforderung.
Das heisst, Sie sind noch nicht reich geworden mit Kunst.
Nein. Ich müsste vielleicht mehr malen.
Malen gibt Sicherheit?
Ich glaube, es wäre einfacher. Ich bin nicht nicht Malerin. Aber es war für mich anfangs schwierig, die Malerei anzunehmen, weil sie so klassisch, so selbstverständlich ist und allen gefällt. Heute sehe ich darin viel mehr eine spannende Auseinandersetzung als früher.
Ihr künstlerischer Ansatz wird häufig im Kontext des spekulativen Realismus diskutiert. Sind Sie damit einverstanden?
Es ist nicht falsch. Für mich ist die Erkenntnis zentral, wie physische und biologische Prozesse das Denken und die Kunst beeinflussen und dass diese Art des kreativen, freien Denkens Raum haben muss. Spekulation ist eine Strategie, die ich auch fahre. Letztlich geht es um die künstlerische Freiheit. Was ich mache, muss nicht stimmen. Ich kann fragen: Was wäre, wenn? Vielleicht finden wir etwas heraus, was neu und wichtig ist oder zumindest interessant.
In diesem Geist haben Sie zusammen mit einem Forscher der EPF Lausanne eine Roboterschlange entwickelt, die «Healer» heisst. Können wir die Schlange hier besichtigen?
Nein, «Healer» ist leider nicht hier. Eigentlich gibt es die Schlange dreimal. Jede hat eine andere Haut, je nachdem, wo sie entstanden ist, trägt sie eine andere Farbe und Durchsichtigkeit.
Wie kamen Sie auf die Idee?
Ich habe mich mit der Symbolik von Schlangen befasst, aber auch mit der Geschichte der Schlangen im Biosystem. Die Schlange ist eines der ältesten Symbole: Sie steht für Leben und Tod, für Gesundheit. Gleichzeitig ist das am zweitmeisten verkaufte Medikament – ein Blutverdünner – aus Schlangengift hergestellt worden. Mich interessiert aber auch die Begegnung von Menschen mit einer Schlange, die eigentlich ja gar keine Schlange ist. Der «Healer» bewegt sich wie eine richtige Schlange im «Side-winding»-Modus. Diese Bewegung evoziert unseren Instinkt: Schlange, gefährlich, aufpassen! «Healer» bewegt sich aber nicht fortwährend. Sie ist programmiert wie ein echtes Tier, das sich nur in bestimmten Abständen regt. Die Leute warten dann manchmal sehr ungeduldig.
Und denken: Wann bewegt sie sich endlich?
Ja, es gab in manchen Museen sogar Reklamationen, dass die Schlange nicht mehr funktioniere. Was gar nicht stimmte. Diese Schlange liest elektromagnetische Strahlung – also auch unsere Mobiltelefone –, das beeinflusst den Algorithmus. Bei einer Version meinten die Leute aufgrund der Übersetzung des Ausstellungstextes, sie müssten mit ihren Handys Geräusche machen, zum Beispiel einen Song abspielen, dann würde sich die Schlange bewegen. Der Umgang des Publikums mit «Healer» ist dadurch noch interaktiver geworden. Es geht eben nicht nur um eine 1,20 Meter lange Roboterschlange. Sie ist nicht allein die Kunst. Es geht darum, was mit ihr, um sie herum und mit uns passiert.
Ist es Ihnen wichtig, dass das Publikum die Gedanken hinter Ihren Werken kennt?
Wenn es die Leute interessiert, finde ich es schön. Aber das Kunstwerk muss auch für sich stehen können. Es muss – sei es visuell, mit Duft oder Ton – ohne Erklärungen wirken.
Die Haut ist eines Ihrer Leitmotive. Für die Biennale haben Sie einen riesigen, mit einer hautfarbenen Flüssigkeit gefüllten Tank gebaut und die Besucher mit einem anziehenden und abstossenden Geruch beschäftigt. Was hat es mit der Haut auf sich?
Mich interessiert die Oberfläche der menschlichen Erscheinung. Die Haut ist auch eine Art Inbegriff der Menschlichkeit. In der Werbung hat man herausgefunden: Je grösser die Fläche der Hautfarbe, desto anziehender wirkt sie. Unser rotes Inneres scheint durch die Membran hindurch. Gerade befasse ich mich mit der Hautfarbe von Reptilien und Fischen, die dann wieder ganz andere Farben haben.
Marktforschung spielt auch immer wieder in Ihre Kunst rein.
Ja, genau. Generell Statistik. Aber ich nehme die Statistiken nicht als Belege, sondern als Inspiration. Unser Lebensraum ist gestaltet von Werbung, deshalb sollten wir ihn so auch als unsere neue Natur erkunden und verstehen. Dass die Haut omnipräsent ist, dafür reicht die eigene Anschauung.
Ebenfalls mit einer hautfarbenen Silikonmischung füllen Sie Wasserflaschen ab, unter anderem PET-Flaschen von Fiji. Eine ziemlich bizarre Marke, wenn man bedenkt, wie weit dieses Wasser transportiert wird.
Es ist ein Wasser, das gute Fragen aufwirft. Und deshalb habe ich es auch gewählt. Es zeigt, wie das Wirtschaftssystem funktioniert, wie wir funktionieren und wie der Mensch Bedeutung schafft. Dazu schaut man sich am besten die spannende Geschichte des Heilwassers an. Fiji verspricht ausserdem, das Wasser sei «uncompromised of the air of the 21st century». Das Wasser wird so abgefüllt, dass keine Luft reinkommt. Darum, so wird suggeriert, handle es sich um ein absolut reines Wasser. Die Flüssigkeit wird allerdings zumindest vom PET des 21st wieder verunreinigt, und schliesslich gelangen so Mikrorückstände des Plastiks in unsere Körper.
Sie haben für Malereien auch schon Viagra genommen. Hatte die Potenzpille für Männer irgendeinen nennenswerten Effekt?
Als gesunder Mensch spürt man nicht viel. Es gibt allerdings den Placeboeffekt. Die Malerei war auch eine Performance, in der ich mich als Künstlerin, die auf einem Grossformat expressiv arbeitet, viril fühlen und darstellen wollte. Die Farbe variiert in allen Tönen, die ich auf einem menschlichen Körper vorfinden könnte. Das ist meine Palette.
Und Viagra liess Sie sich tatsächlich viriler fühlen?
Es scheint so.
Grosse Aufmerksamkeit hat Ihr «Old Tree» in New York erlangt. Was war der Gedanke dahinter?
In der Stadt fehlen die Bäume. Aber ich wollte nicht einfach einen Baum hinstellen. Den «Old Tree» habe ich so gestaltet, als sei er aus menschlichem Gewebe gewachsen. Ich wollte eine Konfrontation mit einem menschlichen Baum im verstopften Verkehr einer Grossstadt schaffen. Der Baum hat eine Farbe, die auch aus dem Innern eines Menschen stammen könnte. In seinem pinken Ton soll er anziehen und abstossen, schön und gleichzeitig unheimlich sein.
Anzuziehen und abzustossen, diese Doppelwirkung ist Ihnen wichtig. Warum?
Mich interessiert Schönheit sehr. Aber nur wenn man davon gleichzeitig auch abgestossen wird, gewinnt man wieder Distanz. Das hilft beim Darübernachdenken.
Sie haben auch einen Turnschuh für On entwickelt. Hatten Sie keine Bedenken, Ihre Kunst so in den Dienst einer Marke zu stellen?
Nein, mich inspirieren Marken ja auch sehr. Sie sind wie die Wasserflaschen ein Material für mich. Der Schuh hat mich besonders interessiert: Es handelt sich um eine technische Form für unsere Füsse. Den Turnschuh habe ich im Zusammenhang mit dem «Old Tree» entworfen: Auf ihm sind Verästelungen oder Venen als Inneres unseres Körpers zu sehen.
Unterschwellig taucht in Ihrer Arbeit der Gegensatz von Künstlichkeit und Natürlichkeit auf. Gibt es einen Unterschied?
Ich finde es interessant, zu sagen, dass es diese Grenze nicht gibt, dass alles natürlich ist. Künstlichkeit suggeriert ja, es sei etwas, das ausserhalb der Natur ist. Aber das gibt es gar nicht. Wir können eigentlich nur wieder natürliche Dinge schaffen.
Überzeugt Sie die These?
Sie inspiriert mich.
Gibt es Kunst, wenn es keine Künstlichkeit gibt?
Kunst ist natürlich. Als intelligentes Wesen kann der Mensch Kunst schaffen, zumindest wenn es ihm einigermassen gutgeht.
Was hat Sie gereizt, Ihre Kunst im Kontext der NZZ zu zeigen?
Ich möchte sehen, wie sich die Bilder und die Inhalte verbinden. Ich weiss noch nicht, wie diese Tageszeitung am Tag der Publikation aussehen wird, welche Nachrichten und Schlagzeilen sie enthält. Wie funktioniert die Kunst mit der Wahrheitskraft der Zeitung? Wir werden es sehen. Die Bilder sind so ausgewählt, dass alles Mögliche passieren kann.
Lesen Sie Zeitung?
Ich versuche möglichst verschiedene Medien zu lesen und gleichzeitig so wenig wie möglich. Ich lasse mich auf das Zeitgeschehen ein, aber auch nicht zu sehr. Wenn ich mich zu stark vereinnahmen liesse, wäre das nicht produktiv. Hinzu kommt ein gewisser Zweifel, ob man Wahrheit mit Sprache produzieren kann.
Die Zeitung stellt die Gegenwart dar und bewertet sie auch. Mein Eindruck ist, Sie versuchen mit Ihrer Kunst ein Urteil zu vermeiden.
Ich hoffe, dass es so ist, ja.
Warum wollen Sie nicht werten?
Weil ich etwas Offenes schaffen möchte. Gerade darum bin ich Künstlerin geworden.
Politische Kunst ist Ihnen nicht geheuer?
Es ist ein politischer Entscheid, Künstlerin zu werden. Aber mit der Kunst selbst möchte ich keine Politik betreiben. Ich möchte frei sein und grosse Fragen stellen können. Nicht sagen, wie der Mensch sein soll, sondern fragen, was das Menschliche eigentlich ist.