Europa braucht ein starkes Deutschland. Doch die Deutschen jammern lieber, als zu handeln. Wenigstens ist der Ampel-Spuk bald vorbei.
Fussball-Europameister werden die Deutschen 2024 nicht. Dafür ist ihnen ein anderer Titel sicher: Sie sind Weltmeister im Jammern. Zu den bevorzugten Zielscheiben des Schimpfens und Klagens gehören die Ampelkoalition und die Deutsche Bahn. Fast so schön wie die Spiele auf dem Rasen sind die Schauergeschichten von Fans, die erst zum Abpfiff im Stadion eintreffen, weil Deutschlands Stillstandsunternehmen Nummer eins wieder einmal nicht fährt.
Bei der Koalition ist es noch schlimmer. Wie die Bahn ist sie ein Sanierungsfall, aber ein hoffnungsloser. Darüber sind sich die meisten Deutschen einig. Sie müssen allerdings aufpassen, dass die Klage nicht zum Defaitismus verkommt: zur Selffulfilling Prophecy in einem Land, das vor lauter Selbstmitleid unfähig ist, die Missstände zu beseitigen.
Die Bahn kann zum Beispiel werden, wie Deutschland wieder in die Spur kommt
Die Bahn setzt sukzessive die wichtigsten Strecken instand und sperrt sie zu diesem Zweck über Monate hinweg. Hier wird alles erst einmal schlechter, bevor es besser wird. Diese Hoffnung besteht bei der Koalition nicht. In ihrer Hoffnungslosigkeit bietet die Regierung gleichwohl Tröstliches. In einem Jahr ist der Spuk vorbei. Die Koalition verliert bei der Bundestagswahl ihre Mehrheit, und Scholz scheidet aus dem Amt aus. Sofern nicht ein Wunder geschieht, geht die «Ampel» als missglücktes Experiment in die Annalen ein.
Es lohnt sich nicht mehr, allzu viele Gedanken an das Regierungsbündnis zu verschwenden. Wichtiger ist die Frage, wie Deutschland wieder aus dem Sumpf der Wachstumsschwäche und der miesen Stimmung herausfindet. Das sollte nicht nur die Deutschen selbst beschäftigen, sondern ganz Europa. Denn Deutschland wird als Wirtschaftsmotor und Führungsmacht benötigt. Umso mehr, als sich Frankreich gerade auf drei Jahre Stagnation bis zur nächsten Präsidentschaftswahl einrichtet.
«Wir schaffen das», verkündete einst Merkel. Schaffen es die Deutschen wirklich? Auch da hilft ein Blick auf die Bahn. Bei ihr ist eigentlich klar, was zu tun ist. Sie muss ihre Infrastruktur instand setzen, auf überkandidelte Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 verzichten und in den wenig glamourösen Brot-und-Butter-Betrieb investieren.
Es ist kein Naturgesetz, dass jedes Unwetter, jeder heftige Schneefall und jeder Böschungsbrand den Zugverkehr ausser Gefecht setzt. Die Schweizerischen Bundesbahnen machen vor, wie Alltagstauglichkeit geht. Mit politischem Willen und genügend Geld ist die Sanierung der Bahn beinahe ein Selbstläufer. Das erfordert Geduld und die Bereitschaft, heute in Massnahmen zu investieren, die sich erst in zehn oder zwanzig Jahren auszahlen.
Ähnlich verhält es sich mit Deutschland insgesamt. Erforderlich sind jetzt Reformen, die nur beschränkt unmittelbar Früchte tragen, aber die Zukunft sichern. Besonders offensichtlich ist dies bei der Energieversorgung. Sie ist im weltweiten Vergleich sehr teuer. Da hilft es auch nicht, dass die Regierung in den Budgetverhandlungen gerade beschlossen hat, die Umlage für die erneuerbaren Energien im regulären Etat zu verstecken.
Die Stromversorgung ist unsicher, weil Wind und Sonne Schwankungen unterworfen sind. Notwendig sind daher Speicher und zudem CO2-arme Kraftwerke für den Dauerbetrieb. Die nächste Regierung sollte die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, um die gerade abgeschalteten letzten drei Kernkraftwerke wieder ans Netz zu bringen. Langfristig liefern nur neue Atomreaktoren umweltfreundliche Bandenergie. Die Grünen haben derart abgewirtschaftet, dass jetzt die Gelegenheit besteht, die heilige Kuh des Atomausstiegs zu schlachten.
Die Energieversorgung ist für ein Industrieland wie Deutschland von existenzieller Bedeutung. Die Mischung der letzten zwanzig Jahre aus unzureichenden Massnahmen und realitätsfernen Versprechungen kann kein Rezept für die Zukunft sein. Sonst verliert Deutschland als Erstes seine Chemieunternehmen, die gerade nach China verkauft werden oder ihre Produktion dorthin verlagern. Es ist der stille Tod einer Traditionsbranche.
Die Koalition spart gegenüber dem Vorjahr läppische 8 Milliarden Euro – und das bei einem Haushaltsvolumen von knapp 500 Milliarden. Dennoch fand sie nicht die Mittel, um die Bundeswehr in Kriegszeiten substanziell zu stärken. Stattdessen wachsen die Sozialausgaben weiter, weil man immer eine angeblich unterversorgte Anspruchsgruppe findet: ein echtes Perpetuum mobile.
Will Deutschland zurück in die Spur finden, braucht es eine Sozialreform wie vor zwei Jahrzehnten. Hier liegt das grösste Sparpotenzial, zumal viele der Leistungen Deutschland nicht sozialer machen, sondern nur der Profilierung einzelner Parteien dienen. Der offensichtlichste Kandidat ist das Bürgergeld, das sich zu einem wahren Monstrum ausgewachsen hat.
Eine überfällige Korrektur entlastet den Haushalt und stärkt die soziale Gerechtigkeit. Denn die untere Mittelschicht fühlt sich betrogen, wenn sie jeden Tag arbeitet und dennoch nicht viel besser dasteht als die aus dem Sozialhaushalt alimentierten Lieblingsbürger des Staates. Zudem geht die Sozialhilfe zur Hälfte an Nichtdeutsche. Diese war gedacht als Solidarität zwischen allen permanent im Land lebenden Bedürftigen. Heute ist sie der Hauptgewinn für alle, die es nach Deutschland schaffen. Die grösste Gruppe der ausländischen Empfänger sind Personen aus Ländern wie Afghanistan und Syrien.
Wird die Asylmigration eingedämmt, macht das nicht nur Mittel frei für Investitionen wie in die Verteidigung. Eine Rückführung des Asylrechts auf den Kerngedanken des vorläufigen Schutzes würde auch die Aversion gegen jede Form von Einwanderung dämpfen. Denn die Bundesrepublik braucht ausländische Fachkräfte, findet diese aber kaum. Nichts zeigt das besser als der hilflose Versuch der «Ampel», mit Steuererleichterungen Arbeitskräfte in die Steuerhölle Deutschland zu locken.
Statt dem Berliner Interventionismus: Der Staat soll endlich weniger machen
Energie, Sicherheit, Soziales und Migration: vier Bereiche, in denen eine handlungsfähige Regierung Deutschland eine wirksame Kur gegen die schlechte Stimmung verschreiben kann. Als fünfter Bereich kommt die Europapolitik hinzu.
Früher kämpfte Deutschland gemeinsam mit Grossbritannien für Wettbewerb und gegen französischen Merkantilismus. Dann kam der Brexit, und etatistischer Mehltau legte sich auf die EU. Jetzt öffnet sich wieder ein zeitliches Fenster für eine marktwirtschaftliche Renaissance. Frankreich ist mit sich selbst beschäftigt; Die Kommissionspräsidentin von der Leyen verliert ihren Ziehvater Macron. In Brüssel beginnt wirtschaftliche Vernunft grünes Eiferertum zu ersetzen.
Es ist der deutsche Moment, wenn Berlin die Gelegenheit nutzt. Ausgerechnet der letzte CDU-Wirtschaftsminister betrieb eifrig Industriepolitik, und sein grüner Nachfolger setzte sie mit Gusto fort. In Brüssel, dem Mekka der Planwirtschaft, kam das gut an. Es ist Zeit für eine Kehrtwende – erst in Deutschland, dann wird die EU folgen. Statt Milliarden in die Ansiedlung von Unternehmen zu pumpen, sollte die Union unterstützen, was sie schon hat: beispielsweise die Automobilindustrie durch den Verzicht auf das Verbrenner-Aus. Das Schöne daran ist, dass dafür kein staatliches Geld erforderlich ist, sondern nur staatliches Nichthandeln: weniger Regulierung, weniger interventionistische Bevormundung.
Ein Schutzzoll für Elektroautos ist so überflüssig wie das Lieferkettengesetz, das im Namen der Moral nur die Verwaltung aufbläht. Der grösste Hebel für die Entbürokratisierung liegt in Brüssel. Die EU ist in ihrem Kern eine Wirtschaftsgemeinschaft, und davon profitiert vor allem Deutschland. Stirbt die wirtschaftliche Dynamik, stirbt irgendwann die EU. Denn ihr zentrales Versprechen lautet noch immer Wohlstand für ganz Europa.
Was zu tun ist, liegt auf der Hand. Aber welche Regierung in Berlin soll das angehen? Der nächsten Exekutive gehören voraussichtlich Union und SPD an, vielleicht garniert mit einem liberalen Feigenblatt. Beweist diese Koalition nicht den Mut zu Reformen, gilt das einzigartige Versprechen der Demokratie: neue Wahl, neues Glück. Immer wieder gelangten Kanzler ins Amt, die das Notwendige durchgesetzt haben: Adenauer und die Westbindung, Brandt und die Ostpolitik, Kohl und die Wiedervereinigung, Schröder und die Agenda 2010. Es wird sich auch eine Regierung finden, die den drohenden Abstieg und die Deindustrialisierung verhindert. Für Defaitismus besteht kein Anlass. Die Deutschen schaffen das, wenn sie es wollen.








