Zurzeit läuft in Peking ein WTA-Turnier, als sei nichts gewesen. Doch 2021 beschuldigte Chinas prominentester Tennisstar einen hochrangigen Politiker des sexuellen Missbrauchs, was der chinesischen Regierung nicht gefiel.
Genau 20 Minuten dauerte es, bis die Behörden Peng Shuais Post auf dem chinesischen X-Pendant Weibo löschten, denn die Nachricht hatte es in sich. Chinas bis dahin gefeierter Tennisstar Peng schrieb Anfang November 2021, sie habe eine aussereheliche Beziehung mit dem früheren Vizeministerpräsidenten Zhang Gaoli unterhalten. Drei Jahre zuvor, im Jahr 2018, habe der ehemalige Top-Politiker sie im Rahmen der Beziehung auch zu sexuellen Handlungen gezwungen.
Sexuelle Affären von chinesischen Spitzenpolitikern bergen enormen sozialen Sprengstoff. Werden sie bekannt, sorgen sie oft für Häme und Kritik vonseiten gewöhnlicher Chinesinnen und Chinesen an den Machthabern in Peking. Sexueller Missbrauch durch Politiker kann gar zu Protesten gegen das Regime führen. Kein Wunder, dass Peng, kaum war ihr Weibo-Post in der Welt, in der Öffentlichkeit nicht mehr auftauchte. Die Regierung wollte die Tennisspielerin mundtot machen.
Über Pengs Schicksal wurde zunächst nichts bekannt. Als ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums am 3. November 2021 gefragt wurde, wo die frühere Nummer eins der Doppel-Weltrangliste sich aufhalte, antwortete dieser lakonisch: «Ich habe von dieser Angelegenheit nichts gehört, dies ist keine diplomatische Frage.»
Chinas Tennisverband reagiert nur knapp
Wenige Tage später schaltete sich der Frauen-Tennisverband (WTA) ein. Besorgt um Pengs Verbleiben, rief der WTA-Vorsitzende Steve Simon die chinesischen Behörden dazu auf, die Zensur zur Causa Peng Shuai zu stoppen und Pengs Anschuldigungen zu prüfen. Der staatliche chinesische Tennisverband reagierte mit einer knappen Mitteilung: Peng sei unversehrt.
Überprüfen lassen sich die Behauptungen nicht. Bis heute ist es keinem WTA-Vertreter gelungen, direkten Kontakt zu Peng aufzunehmen. Peng Shuai ist in der Öffentlichkeit bis heute nicht wieder aufgetaucht, abgesehen von wenigen offenbar inszenierten Auftritten.
Bei Skandalen wie dem um Peng Shuai, Gewinnerin zweier Grad-Slam-Titel im Doppel, verfährt die Regierung meist nach demselben Muster. Der oder die Betroffene wird dazu aufgefordert, sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Bisweilen werden die Hauptfiguren auch mit Geld ruhiggestellt.
Im Dezember 2021 entschied der Frauen-Tennisverband schliesslich, vorerst keine Turniere mehr in China abzuhalten. Der Verband begründete den Verzicht ausdrücklich mit der Ungewissheit über Peng Shuais Schicksal. «Die Angelegenheit ist grösser als das Geschäft», sagte der WTA-Chef Simon damals vollmundig.
Doch kurz nachdem China im Januar 2023 aus seiner Null-Covid-Politik ausgestiegen war, knickte der Verband ein. Zu verlockend war die Aussicht auf das grosse Geld. Vor der Pandemie lockten die WTA-Turniere in China mit Preisgeldern von 28 Millionen Dollar. Dazu kommt das wirtschaftliche Potenzial des grossen chinesischen Marktes.
Im vergangenen Jahr fand wieder ein WTA-1000-Turnier in Peking statt, auch in dieser Woche läuft dieses; kleinere Turniere gibt es in China wieder regelmässig. «Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir die Ziele niemals vollständig erreichen werden», stellte die WTA im April 2023 fest. «Und es werden unsere Spielerinnen sein, die letztlich einen ausserordentlichen Preis für ihre Opfer zahlen werden.»
Chinas Regierung wurde nervös
Bei der chinesischen Regierung kam zu den Sorgen über mögliche Proteste im Volk gegen den Umgang mit Peng schon bald nach Beginn des Falls eine gewisse Nervosität wegen Chinas Image im Ausland hinzu. Mittlerweile hatte sich auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in den Fall eingeschaltet. Im Februar 2022 sollten die Olympischen Winterspiele in Peking beginnen. China wollte sich als weltoffene Sportnation präsentieren.
Folglich musste Peng Shuai in die Öffentlichkeit gezerrt werden, denn Peking wollte sämtliche Bedenken im Ausland zerstreuen. Mitte November 2021 präsentierte der englischsprachige chinesische Staatssender CGTN eine E-Mail, die Peng angeblich an den WTA-Chef Simon geschrieben haben soll. Sie ruhe sich zu Hause aus, hiess es in der Nachricht, und an den von ihr zuvor erhobenen Vorwürfen wegen sexuellen Missbrauchs sei nichts dran.
Die Formulierung «sich zu Hause ausruhen» ist eine gängige Floskel, die die chinesische Regierung einsetzt, um das plötzliche Verschwinden von Politikern, Geschäftsleuten oder eben Sportstars zu erklären. Auch von Jack Ma, dem charismatischen Gründer und ehemaligen CEO des Tech-Konzerns Alibaba, hiess es kurz nach seinem plötzlichen Rücktritt vom Chefposten, er ruhe sich zu Hause aus.
Peking trat eine PR-Offensive los
Um die Weltöffentlichkeit im Vorfeld der Olympischen Winterspiele zu beruhigen, trat Peking eine PR-Offensive los. In den folgenden Wochen tauchten in den staatlichen Medien Fotos und Videos von Peng Shuai auf. Sie zeigen sie bei Restaurantbesuchen oder beim Spielen mit Kindern. Es folgten Interviews, unter anderem in der singapurischen Zeitung «Lianhe Zaobao» und der französischen Sportzeitung «L’Equipe». Alles sollte so normal wie möglich wirken.
Doch die Interviews waren ganz offenbar von chinesischen Behörden gesteuert, denn Peng wiederholte stets die gleichen Sätze: Es habe keinen sexuellen Missbrauch gegeben. Und es gehe ihr bestens. Wäre dem wirklich so, hätte man Peng Shuai sicherlich einmal in der Öffentlichkeit gesehen.