Laut dem Betriebsrat plant VW die Schliessung von drei deutschen Werken und Zehntausende Entlassungen. Der schwache Absatz und der zunehmende Wettbewerb setzen dem Unternehmen zu. Die fetten Jahre sind vorbei. Das gilt für Volkswagen und für sein Heimatland.
Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von Michael Rasch, Wirtschaftskorrespondent der NZZ in Frankfurt am Main. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Es gibt Unternehmen, die aufgrund ihrer Grösse und ihrer Geschichte so eng mit ihrem Heimatland verbunden sind, dass man sie schwerlich separat sehen kann. Der Volkswagen-Konzern gehört dazu. Er ist mit Marken wie VW, Audi oder Porsche einer der grössten privaten Arbeitgeber in der Autonation, und das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der Stimmrechte. Die Krise in Wolfsburg, besonders der Kernmarke VW, steht sinnbildlich für die Krise des Landes. VW benötigt dringend eine Restrukturierung, Deutschland auch.
Die Globalisierungsspirale dreht sich rückwärts
In Wolfsburg haben sich Betriebsräte und Mitarbeiter von VW zu lange und zu sehr an ihre Besitzstände und Pfründen geklammert, während das Geld in China und von anderen Marken verdient worden ist. Doch die Zeiten sind vorbei. Im Reich der Mitte läuft das Autogeschäft generell mässig, und bei den dort reüssierenden Elektroautos können die Produkte aus dem Konzern derzeit nicht mithalten. Im Heimatland von VW lief es ähnlich. In den Merkel-Jahren wurde dank tiefen Zinsen, schwachem Euro und hohen Steuereinnahmen zu viel umverteilt und zu wenig erarbeitet. Einige der jüngsten Massnahmen der Ampelregierung sind da nur der Endpunkt einer nicht nachhaltigen Entwicklung.
Es sollte daher niemand meinen, dass die harten Forderungen des VW-Konzernvorstands nur Säbelrasseln sind: Im Raum stehen die Schliessung von drei deutschen Werken, die Entlassung von Zehntausenden Mitarbeitern und Gehaltskürzungen mit dem Rasenmäher. Es wird wohl weniger schlimm kommen, doch tiefe Einschnitte sind absehbar – und überfällig.
Die Auto- und Exportnation Deutschland und die beeindruckende Zahl von weltweit tätigen Unternehmen haben lange vom Freihandel und von der Globalisierung profitiert. Die Gewinne im Ausland hatten in vielen Branchen gute Löhne im Inland zur Folge. Doch die steigenden Spannungen zwischen Demokratien und Diktaturen, die zunehmenden Zollstreitigkeiten sowie die Lieferkettenprobleme während der Pandemie sorgen dafür, dass sich die Globalisierungsspirale nur noch sehr langsam oder sogar rückwärts dreht. Das trifft die Autokonzerne mit ihren Werken in Europa, Nordamerika und China besonders hart.
Zu Recht wird Deutschland mit keiner Branche derart assoziiert wie mit dem Autosektor. Geht es ihm schlecht, kann es dem Land kaum gut gehen. Derzeit stehen Hersteller und Zulieferer durch den verordneten Umstieg auf E-Autos unter enormem Druck. Dazu kommen die Herausforderungen der Digitalisierung des Automobils und des teilautonomen Fahrens. Das alles erfordert von Managern Entscheidungen unter grosser Unsicherheit sowie gigantische Investitionen in alte und neue Technologien zugleich. Und natürlich passieren dabei auch Managementfehler bei Herstellern und Zulieferern. Wie könnte es anders sein?
Erodierende Standortbedingungen in Deutschland
Dazu kommen die erodierenden Standortbedingungen in Deutschland. Diese spiegeln sich auch in hohen Arbeitskosten. Das ist bei den deutschen VW-Mitarbeitern durch den üppigen Haustarifvertrag mit zahlreichen Privilegien besonders der Fall. Doch hohe Löhne müssen durch eine hohe Produktivität verdient werden, sonst läuft etwas falsch. Darüber hinaus prägen inzwischen immense Energiekosten und eine ausufernde Bürokratisierung die Bundesrepublik, in der es für Anwohner und Naturschützer exzessive Einspruchsmöglichkeiten bei der Planung und dem Bau neuer technischer Anlagen gibt.
In der Vergangenheit hat es Land und Herstellern geholfen, dass sie einigermassen am gleichen Strick zogen. Deutschland war über Jahrzehnte der Leitmarkt für (Oberklasse-)Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, auch durch staatliche Unterstützungen wie die Subventionierung von Dienstwagen. Doch das ist Vergangenheit. In der neuen Welt des E-Autos hat China die Chancen der Zeit erkannt und die Rolle des Leitmarkts an sich gerissen. Jedes zweite verkaufte Auto ist dort bereits ein New Energy Vehicle. Dieser Heimvorteil bietet den Herstellern Skalenvorteile, was zu niedrigeren Produktionskosten führt, ganz zu schweigen von den Arbeitskosten. Zudem dominiert China die Batterieproduktion.
Die Transformation zur E-Mobilität läuft in verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich schnell ab. Das macht es den Herstellern noch schwerer. Deutschland liegt dabei nur im Mittelfeld, doch es ist noch nicht zu spät, einen Aufholprozess zu starten.
Dringend nötige Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit
In Wolfsburg müssen Manager, Betriebsräte und Mitarbeiter gemeinsam tiefgreifende Reformen angehen, um die dringend nötige Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Das macht die dann noch verbleibenden Arbeitsplätze sicherer. Weil sich die Protagonisten zu lange an bestehende «Rechte» klammerten, sind die Einschnitte nun leider sehr schmerzlich. Gelänge jedoch der Befreiungsschlag, wäre das auch ein Signal an das Land.
Deutschland muss nämlich ebenfalls dringend die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, die in den letzten 15 Jahren stark gesunken ist. Dazu sind die Rückbesinnung auf eine ordoliberale Wirtschaftsordnung mit mässigem Staatseinfluss, eine Lenkung über Anreize anstatt durch Verbote sowie der Mut und die Leistungsbereitschaft jedes Einzelnen nötig.
Im Jahr 1997 forderte der damalige Bundespräsident Roman Herzog: «Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen.» Bis es endlich so weit war und die Restrukturierung einsetzte, dauerte es noch ein halbes Jahrzehnt. So viel Zeit ist diesmal nicht mehr, weder für den Volkswagen-Konzern noch für Deutschland.
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