Wenn der aufgebaute Immunschutz weitere Corona-Ansteckungen nicht wirksam verhindert, hiess es bisher immer, das liege an der Verbreitung neuer Virusvarianten. Dies ist nicht die einzige Ursache.
Ständig tauchen neue Corona-Varianten auf. Und jede führt wieder zu einer weiteren Infektion. Aber warum verleihen weder die Impfungen noch frühere Infektionen einen robusten Schutz vor einer weiteren Ansteckung? Neue Studien liefern Hinweise, dass neben den genetischen Veränderungen im Virus auch seine Oberfläche beziehungsweise die Funktionsweise der Vakzine die Ursachen sind, warum wir nicht besser gewappnet in die nächste Erkältungssaison gehen.
Es fehlen langlebige Gedächtniszellen
Wenn ein Erreger in unseren Körper gelangt, vermehrt das Immunsystem schnell und in grossem Ausmass jene Immunzellen, die spezifische Antikörper gegen den jeweiligen Eindringling bilden. Diese Zellen werden B-Zellen genannt. Auch nach einer Corona-Infektion oder -Impfung wird die Produktion angeworfen. Diese Antikörper neutralisieren dann im Körper herumschwirrende Viren.
Damit wir nicht ständig an demselben Erreger erkranken, hat sich im Lauf der Evolution ein weiterer Schutzmechanismus entwickelt. Nach einer Infektion werden langlebige Gedächtniszellen gebildet. Gelangt ein Virus zum zweiten Mal in unseren Körper, steht bereits eine spezifische Abwehrtruppe parat.
Die Gedächtniszellen, die spezifisch gegen einen Erreger gerichtete Antikörper bilden, ziehen sich in ein kuscheliges Nest im Knochenmark zurück. Hier werden sie mit Nährstoffen versorgt und können so sogar mehrere Jahrzehnte überleben. Sie produzieren kontinuierlich eine kleine Menge an Antikörpern.
Doch offenbar bilden sich diese langlebigen Antikörper-Gedächtniszellen weder nach einer Corona-Infektion noch nach einer Impfung mit einem mRNA-Vakzin. Das zeigen Analysen des Knochenmarks von Personen nach einer oder mehreren Infektionen beziehungsweise Impfungen.
Da das Absaugen von Knochenmark eine schmerzhafte Prozedur ist, konnten solche Untersuchungen bisher nur an wenigen Probanden durchgeführt werden. So hat das Team um Mohammad Sajadi von der University of Maryland in Baltimore das Knochenmark von 20 ungeimpften Personen nach einer Corona-Infektion analysiert. Die Forschergruppe um Eun-Hyung Lee von der Emory University in Atlanta hat diese Untersuchungen bei 19 Menschen nach mehreren Impfungen mit einem mRNA-Vakzin durchgeführt.
Noch ist zwar die Datenbasis klein. Aber die Ergebnisse der beiden Teams stimmen gut überein. Und sie liefern eine stichhaltige Erklärung, warum sowohl nach einer Corona-Infektion als auch nach einer mRNA-Impfung nur für einige Monate spezifische Antikörper im Blut nachweisbar sind: Der Nachschub fehlt, weil keine langlebigen Gedächtniszellen im Knochenmark existieren.
Das Problem ist die Anordnung der Stachelproteine
Für den Immunologen Martin Bachmann von der Universität Bern ist die Struktur des Coronavirus beziehungsweise die Funktionsweise der mRNA-Vakzine der Grund für den Mangel. Auch die Autoren der erwähnten Knochenmarkanalysen sehen das so.
«Damit die langlebigen Antikörper-produzierenden Zellen entstehen können, muss eine noch relativ unreife B-Zelle ein bestimmtes Signal erhalten», erklärt Bachmann im Gespräch. Jede B-Zelle besitze spezielle Antennen auf ihrer Oberfläche. Nur wenn 10 bis 15 dieser Antennen gleichzeitig an Proteine auf demselben Virus- oder Impfstoffpartikel andocken könnten, werde das Reifesignal ausgelöst.
Doch dafür müssen die Andockstationen sehr eng, nämlich nur 5 bis 10 Nanometer voneinander entfernt angeordnet sein. Das ist bei Influenza- und vielen anderen Viren auch der Fall. Ihre aus dem Viruspartikel herausragenden Proteine befinden sich so eng nebeneinander. Anders schaut es bei Sars-CoV-2 aus: Bei den Viren sind die Stacheln etwas lockerer angeordnet, sie sind 25 Nanometer voneinander entfernt.
Auf den Partikeln der mRNA-Vakzine sind gar keine Oberflächenstrukturen vorhanden. Denn die Partikel dienen dazu, dass die Virus-mRNA in eine Körperzelle gelangt, wo die Stachelproteine des Virus hergestellt und anschliessend auf der Oberfläche präsentiert werden. Doch nach einer mRNA-Impfung seien die Andockstationen auf den Zellen ungefähr 50 Nanometer entfernt, sagt Bachmann.
Sars-CoV-2 ist sozusagen doppelt clever – aus seiner Sicht gesehen. Es verändert sich ständig, und seine Struktur verhindert die Bildung von langlebigen B-Zellen. Es gibt Hinweise, dass auch jene altbekannten Coronaviren, die uns seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar Jahrhunderten mit regelmässigen Erkältungen plagen, eine ähnliche Struktur aufweisen wie Sars-CoV-2 und somit auch keine langlebigen B-Zellen entstehen können.
Haben mRNA-Vakzine ein generelles Defizit?
Wollten wir einen langanhaltenden Schutz vor einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 bekommen, müssten wir neue Vakzine entwickeln. Zwar ist eine Corona-Infektion mittlerweile in den meisten Fällen keine schwere Erkrankung mehr. Doch zum einen besteht die Gefahr von Long Covid, zum anderen sorgen die ständigen Ausfälle von Mitarbeitern für wirtschaftliche Einbussen und auch Engpässen in wichtigen Branchen wie dem Gesundheitssystem.
Dass Vakzine prinzipiell einen langlebigen Immunschutz verleihen können, zeigen diverse Beispiele: So hält der Schutz vor Masern- oder Pockenviren Jahrzehnte, jener gegen Tetanus oder auch dieselbe Influenzavariante in der Regel einige Jahre. Das passt zu den Erkenntnissen aus den neuen Untersuchungen. Es wurden nämlich im Knochenmark langlebige B-Zellen gefunden, die Antikörper gegen Influenzaviren oder das Tetanustoxin produzieren.
Offenbar weisen all diese Vakzine die richtige Struktur auf: Die Andockstationen für die Antennen der B-Zellen liegen eng genug beieinander. Das ist Zufall, denn man wusste bei der Herstellung dieser ja recht alten Impfstoffe noch gar nicht, dass dies wichtig ist. Es handelt sich bei diesen Impfstoffen um inaktivierte Viren oder virenähnliche Proteingebilde.
Es stellt sich nun die Frage, ob die Bildung der wichtigen langlebigen B-Zellen generell oder nur bei Sars-CoV-2 mit mRNA-Vakzinen nicht gelingt. Solange das nicht geklärt ist, hält Bachmann es für keine gute Idee, nun bewährte Vakzine durch mRNA-Produkte zu ersetzen.
Allerdings verleihen die verwendeten mRNA-Vakzine nach wie vor einen guten und auch anhaltenden Schutz vor einer schweren Covid-Erkrankung. Denn dafür sind nicht die langlebigen B-Zellen, sondern vor allem eine andere Sorte von Zellen verantwortlich: Immunzellen, die infizierte Zellen samt Eindringlingen vernichten. Und die werden durch die mRNA-Impfstoffe sehr gut aktiviert.