Die Privatbank überwindet die Benko-Delle. Doch noch stimmt die Effizienz nicht, die Untersuchungen gehen weiter und Hoffnungen auf ein Aktienrückkaufprogramm sind vorerst geplatzt.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Julius Bär hat den Gewinn im vergangenen Jahr auf 1022 Mio. Fr. mehr als verdoppelt. Damit hat die Schweizer Privatbank die Erwartungen der Analysten klar übertroffen – der Aktienkurs reagiert dennoch mit einem Minus von mehr als 10%.
Zur Erinnerung: Im Herbst 2023 erschütterte der Skandal rund um den gescheiterten österreichischen Immobilieninvestor René Benko auch Julius Bär. Der erlittene Kreditausfall liess den Gewinn für das Gesamtjahr um die Hälfte einbrechen. Der nun erfolgte Gewinnsprung erklärt sich primär damit. Das ist immerhin Ausdruck davon, dass das Geschäftsmodell intakt ist – aber auch kaum mehr als das.
Neugeld fliesst wieder
Positiv hervor sticht der Neugeldfluss, der, nach einem äusserst zaghaften Jahresbeginn mit einem Wachstum von lediglich 1,7%, in der zweiten Jahreshälfte deutlich auf ein Plus von 4,4% beschleunigt hat.
Erstens dürfte das Ausdruck davon sein, dass nach dem Reputationsschaden, den Bär mit dem gegen 600 Mio. Fr. schweren Kreditausfall wegen René Benko erlitten hat, das Kundenvertrauen langsam zurückkehrt. Zweitens trägt mittlerweile auch die nach dem Untergang der Credit Suisse forcierte Neuanstellung von Kundenberatern Früchte. Mehr als 150 Relationship Manager hat Bär seit 2023 zu sich geholt.
Insgesamt trugen die Kunden 2024 netto 14,2 Mrd. Fr. Neugeld zur Bank. Dank einer starken Marktperformance sowie günstigen Währungseffekten stieg das verwaltete Vermögen im Jahresverlauf von 427 Mrd. auf 497 Mrd. Fr.
Effizienz stimmt nicht
Doch trotz der – zumindest in der zweiten Jahreshälfte – über erwarten stark gewachsenen Kundenbasis haben die Einnahmen enttäuscht. Die bereinigte Bruttomarge gab um 5 Basispunkte nach und blieb mit 83% hinter den Erwartungen zurück, ebenso der Ertrag. Dank etwas geringer als erwarteten Kosten bewegte sich die Kosten-Ertrags-Relation immerhin im Bereich der Schätzungen. Mit 71% liegt sie aber weiterhin massiv über dem Zielwert von unter 64% – auch wenn diese Vorgabe des alten Managements nach dem CEO-Wechsel zu Stefan Bollinger in der heutigen Präsentation nicht mehr aufgeführt ist.
Dennoch verschärft Bollinger, der Anfang Jahr den Chefposten übernommen hat, den Sparkurs: Nachdem 2024 bereits Einsparungen von brutto 140 Mio. Fr. erreicht wurden – 10 Mio. mehr als in Aussicht gestellt – kommt für das laufende Jahr ein neues Kostenprogramm über 110 Mio. Fr. hinzu.
Die Analysten von Citi merken an, dass diese Einsparung basierend auf dem heutigen Stand die Kosten-Ertrags-Relation in Richtung 64% bringen könnte. Das Problem dabei ist allerdings, dass zur Erreichung der Einsparungen zuerst 55 Mio. an zusätzlichen Restrukturierungskosten anfallen.
2025 dürfte damit noch nicht das Jahr der schnellen Effizienzverbesserung werden. Dies, zumal der Fall Benko die Risikofreude der Bären wohl weiter hemmt, womit rasante Ertragssteigerungen unwahrscheinlich sind.
Diese Effizienzprobleme sowie der 2024 erlittene Margendruck – insbesondere der Zinserfolg ging rapide zurück – haben auf Stufe Vorsteuergewinn bereits beim heute vorgelegten Jahresabschluss für eine Enttäuschung gesorgt. Dass unter dem Strich der ausgewiesene Gewinn dennoch die Erwartung übertraf, lag einzig an der Auflösung einer hohen Steuerrückstellung. Das ist nicht die Gewinnqualität, die Investoren schätzen.
Stagnierende Dividende und kein Aktienrückkaufprogramm
Die grösste Enttäuschung ist aber sicherlich der Blick auf die Kapitalquote und die Ausschüttung. Das Jahr begonnen hatte die Bank mit einer Kernkapitalquote (CET-1) von 14,6%, auf die sie nach dem Verlust der Benko-Millionen geschrumpft war. Im ersten Halbjahr bewies Bär, wie schnell sie Kapital generieren kann; per Ende Juni lag die Quote bereits auf 16,3%. Noch besser sah es zum Jahresende 2024 aus: Nun lautete der Wert 17,8%.
Das ist nicht nur eine robuste Kapitalisierung, sondern übersteigt klar die Schwelle von 14%, ab der Julius Bär planmässig überschüssiges Kapital an die Anteilseigner zurückführt. Analysten hatten mit dieser Perspektive Ausschüttungen von mindestens 200 Mio. Fr. erwartet. Doch heute ist klar: Die werden nicht fliessen.
Das hat zwei Gründe: Erstens greift in der Schweiz seit dem 1. Januar 2025 die Finalisierung des Regelwerks Basel 3. Die Kapitalanforderungen wurden verschärft – und bei Bär wirkt sich das aus hauseigenen Gründen deutlich stärker aus als erwartet.
Wegen Verfehlungen in der Vergangenheit büsst die Privatbank mit einem massiven Aufschlag auf ihren operationellen Risikogewichten.
Statt einer CET-1-Quote von hohen 17,8% per Ende Jahr, resultiert so am 1. Januar nur noch ein Wert von 14,2%. Für die Investoren bedeutet das, dass das Überschusskapital um rund 700 Mio. Fr. geschmälert worden ist – und dem Verwaltungsrat ist das noch verbleibende Plus offenbar zu knapp, um es in Form eines Aktienrückkaufs an die Aktionäre zurückzuführen.
Auch einen Strich durch die Rechnung gemacht hat Julius Bär der Steuerstreit mit den USA, wo es Ende 2015 zu einer Einigung kam. Da in die regulatorische Berechnung die operationellen Risiken der vergangenen zehn Jahre einfliessen, erhöht das deren Risikogewicht 2025 vorübergehend um zusätzliche 1,7 Mrd. Fr. Ab 2026 wird dieser Aufschlag aus der Rechnung ausscheiden.
Es ist allerdings noch offen, wie viel Überschusskapital dann zur Verfügung stehen wird. Das führt zum zweiten Erklärungsgrund.
Finma untersucht weiter
Wegen Benko hat die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma ein Enforcement-Verfahren gegen Bär eröffnet. Diese Ermittlungen sind entgegen den ursprünglichen Erwartungen noch nicht abgeschlossen. Das dürfte mit ein Grund sein, weshalb der Verwaltungsrat darauf verzichtet hat, ein neues Aktienrückkaufprogramm aufzulegen.
Dasselbe dürfte auf die Ausschüttung zutreffen: Trotz der massiven Gewinnerholung liegt die Dividende das vierte Jahr in Folge unverändert bei 2.60 Fr. je Aktie. Auch hier hatten die Analysten auf eine zumindest kleine Erhöhung gehofft.
Kursrückschlag und neues Potenzial
Zusammengefasst überwiegen heute klar die Enttäuschungen, was den erwähnten Kursrückschlag verständlich macht – zumal die Aktien in den vergangenen Wochen einen sehr starken Erholungslauf hingelegt haben.
Der neue CEO Bollinger verspricht allerdings, dass er noch vor dem Sommer ein Strategieupdate einschliesslich neuer Mittelfristziele präsentieren wird. Dann dürfte die heutige Verunsicherung neuer Klarheit weichen. Ich gehe davon aus, dass Bollinger heute bewusst zurückhaltend kommuniziert hat, um die Erwartungen tief zu halten.
Eine weitere Unsicherheit wird schon bald ausgeräumt werden: VR-Präsident Romeo Lacher hat letzte Woche angekündigt, an der Generalversammlung im Frühling nicht mehr zur Wiederwahl anzutreten. Seine Nachfolge soll im März vorgestellt werden.
Aber grundsätzlich gilt: Die Kapitalgenerierung von Bär ist so stark, dass nach Rückschlägen wie Benko oder nun einer deutlich stärker als erwarteten regulatorischen Zurückbindung jeweils erneut Überschusskapital aufgebaut wird, das an die Anteilseigner zurückgeführt werden kann. Diesmal dauert es einfach etwas länger als erhofft.
Der heutige Rückschlag ist eine Kaufgelegenheit.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Ruedi Keller