Obwohl der Fraktion der AfD der zweitgrösste Saal im Deutschen Bundestag zusteht, haben sich die anderen Parteien zusammengeschlossen, damit die Rechten ihn nicht bekommen. So darf es nicht weitergehen.
Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick am Abend», heute von Beatrice Achterberg, Redaktorin der NZZ in Berlin. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ist eindeutig: Die Stärke einer Fraktion bestimmt ihre Rechte. Nach dieser Regel ginge der Otto-Wels-Saal, den bisher die SPD beansprucht hat, in dieser Legislaturperiode an die 152 Mann starke AfD-Fraktion. Der SPD-Fraktionschef und mögliche nächste Vizekanzler Lars Klingbeil sagte bereits kurz nach der Wahl, man werde «alles dafür tun, dass der Otto-Wels-Saal fest in sozialdemokratischer Hand bleibt».
Es ist verständlich, dass Sozialdemokraten eine Vereinnahmung von Otto Wels durch eine Partei verhindern möchten, die sich seit Jahren nicht entschieden genug von rechtsradikalem Personal distanziert. Am 23. März 1933 bot der Oppositionspolitiker Wels in einer beeindruckend mutigen Rede im Deutschen Reichstag Adolf Hitler und seinen SA-Schergen die Stirn. Er verweigerte die Zustimmung der SPD zu dem Ermächtigungsgesetz, das die Machtergreifung der NSDAP zementierte.
Dass der Raum im Bundestag deshalb aber nicht an die AfD abgegeben werden könne, ist eine vorgeschobene Begründung – der Saalname kann problemlos mitgenommen werden. Stattdessen geht es einmal mehr darum, die AfD im Parlament auszugrenzen. Dabei ist es Zeit für einen neuen Umgang mit der zweitstärksten politischen Kraft im Land.
Geschäftsmodell: warnen vor der AfD
Genau das hat gerade der Unionsfraktionsvize Jens Spahn gefordert. In der «Bild am Sonntag» sagte der CDU-Politiker, mit der AfD sei in den Verfahren und Abläufen so umzugehen «wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch». Spahn forderte stattdessen, die Partei inhaltlich zu stellen. Obwohl er sinnvoll argumentiert, liess das moralistische Donnerwetter linker Parteien nicht lange auf sich warten. Der Berliner SPD-Politiker Raed Saleh mahnte, wer «Rechtsextremisten wie die AfD» mit der demokratischen Opposition gleichstelle, relativiere «die Gefahr für Gesellschaft und Demokratie».
Solche Plattitüden mögen der eigenen Wählerschaft gut gefallen. Daran, dass die AfD immer mehr Bürger von sich überzeugen kann, ändern sie rein gar nichts. Im Gegenteil: Der parlamentarische Kindergarten bestärkt Sympathisanten darin, dass es nur noch eine einzige «Alternative» gegen einen vermeintlichen Parteienblock gibt, der die Opposition von den Trögen der Macht fernhält, solange er noch kann.
Inzwischen hat sich das Warnen vor der AfD auch ausserhalb der Politik zu einem eigenen Geschäftsmodell entwickelt. Bücher mit Titeln wie «Es ist 5 vor 1933» oder «Machtübernahme: Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren» warnen im schrillen Ton vor der schleichenden Machtübernahme der rechten Partei. Ein Hauptvorwurf lautet, dass die AfD die parlamentarische Demokratie abschaffen wolle. Ob man das nun für realistisch hält oder nicht: Parteien, die sich auf solche Extremszenarien berufen, sollten selbst tunlichst darauf achten, parlamentarische Gepflogenheiten einzuhalten. Andernfalls machen sie sich angreifbar.
Als völlig ausgeschlossen gilt schliesslich die Vorstellung, dass die deutsche Demokratie stabil genug ist, einen Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses von der AfD auszuhalten – und dass ein Parlamentarier der Rechten sich womöglich angemessen verhält. So jedenfalls tönt es von verschiedenen Autoren, Journalisten und Politikern. Vielleicht steckt dahinter insgeheim auch eine Sorge: Wenn alle normal mit der AfD umgingen, könnte sie womöglich ungestört ihrer Oppositionsarbeit nachgehen. Und daran haben viele kein Interesse.