Das Wort «hey» ist in der Deutschschweiz sehr beliebt. Wir brauchen es, um andere Personen anzusprechen. Aber auch, um Antworten auf Fragen einzuleiten. Wieso eigentlich? Hey, wir erklären es.
Wie oft haben wir es schon gebraucht? Das Wort «hey» hört man in der Deutschschweiz überall und in verschiedensten Tonlagen, zigmal täglich. Was wie Jugendslang klingt, ist es allerdings nicht. Auch bei Mittvierzigern ist das Wort weit verbreitet. Sie nutzen es selber nicht? Hey, da wären wir nicht so sicher.
«Hey» ist in unserem Sprachgebrauch so sehr verankert, dass wir es fast unbemerkt aussprechen. Treffen wir endlich wieder eine Freundin, die wir lange nicht gesehen haben, ziehen wir die drei Buchstaben liebevoll in die Länge. «Heeey, schön dich zu sehen.» Resoluter sagen wir es abends dem trödelnden Nachwuchs, um ihn zum Zähneputzen zu motivieren: «Hey, mach jetzt endlich!» Gar schroff wird das «Hey» auf dem Fussballplatz gebellt. «Hey! Spinnst du eigentlich!? Das war ein klares Foul.»
Verändert wie «huere»
So nutzen wir das «Hey» in unserem Alltag: begrüssend, fordernd, schimpfend. Und das wohl seit Jahrhunderten. Denn auch wenn im allgegenwärtigen Englisch das «Hey» genauso präsent ist, haben wir Deutschschweizer nicht zwingend den x-ten Anglizismus übernommen.
Christa Schneider ist Soziolinguistin an der Universität Bern und Teil des Fachbereichs Digital Humanities. Sie sagt: «Das ‹Hei› gab es schon im Mittelhochdeutschen als Ausruf, etwa wenn man angerempelt wurde.» Im etymologischen Wörterbuch ist es zudem als «Ausdruck der Freude, Trauer oder Verwunderung» aus dem Mittelhochdeutschen überliefert.
«Hey» ist also schon immer eine Interaktion, ein Wort, mit dem wir in Kontakt mit einer anderen Person treten. Vom Mittelalter bis heute hat es sich jedoch gewandelt: Zwar brauchen wir es wie damals als Ausruf, inzwischen ist es zugleich eine Ansprache.
Das sei eine naheliegende Verschiebung, sagt Schneider. Ohnehin verändere sich die Bedeutung von Wörtern. Als Beispiel nennt sie das schweizerdeutsche Wort «huere», das als Synonym von «sehr» oder «extrem» genutzt wird und in dieser Funktion nichts mit einer Prostituierten zu tun hat.
Das Gespräch auf sich lenken
Seit geraumer Zeit fällt das «Hey» aber auch in einem anderen Kontext auf. Der neue Trend im Schweizerdeutschen funktioniert wie eine Ansage. Wenn jemand eine Frage stellt, kann es gut sein, dass sein Gegenüber die Antwort mit einem «Hey» einleitet. «Wie geht es dir?» «Hey, gar nicht so schlecht.»
Zwischen «hey» und der eigentlichen Antwort wird bewusst eine Pause gesetzt. Man merkt: Jetzt kommt etwas. Das gibt der Antwort ein gewisses Gewicht. Sprachwissenschafter nennen ein solches Wort Diskursmarker, weil es einen Sprecherwechsel moderiert. «Mit einem Begriff wie ‹hey› zeige ich an, dass ich kommunizieren will, und lenke die Aufmerksamkeit auf mich. Ich signalisiere, die Frage verstanden zu haben, und übernehme das Gespräch», sagt Schneider.
«Alte, schliifts!?»
Die Diskursmarker an sich sind kein neues Phänomen. «Es hat sie schon immer gegeben», sagt Schneider. Wir kennen viele solche Äusserungen, um das Wort zu übernehmen. Etwa das zögernde «Ähm», das ankündigende «Also» oder die Wendung «Ich denke . . . », die so gefasst und wohlüberlegt klingt. Etwas hemdsärmlig wirkt das sehr schweizerdeutsche «Imfall», bevor mit erhobenem Zeigefinger die ganz grosse Weisheit über den Stammtisch gepoltert wird.
Die Millennials haben in ihren Jugendjahren den Diskursmarker «Alte» eingeführt – als Anrede, um genug Spannung aufzubauen, bevor sie eine «krasse Story» erzählten. Oder schlicht, um sich zu empören: «Alte, schliifts!?»
Die Gen Z spricht sich hingegen gern mit «Bro» an. Und beide Generationen nutzen eine Wendung besonders gern, wenn sie jemandem zustimmen: «Ja, voll!» Erst dann folgt der eigene Standpunkt. Es gibt immer wieder neue Diskursmarker, die in unseren Sprachgebrauch finden, sie koexistieren, lösen sich ab.
Je nach Ton anders
Auch bei den Diskursmarker kommt es sehr darauf an, wie wir sie betonen, mit welcher Gestik und Mimik wir sie begleiten. Zieht man das «Hey» in die Länge, so kann es Unentschlossenheit ausdrücken. «Wollen wir heute noch ins Kino?» «Heeey, eigentlich habe ich nicht wirklich Lust.» Wir signalisieren eine Stimmung oder gewinnen Zeit, um die Gedanken zu sortieren.
Kommt das «Hey» aber zackig aus dem Mund, zieht es so etwas wie eine rote Linie. «Papa, darf ich noch etwas mehr Handy-Zeit?» «Hey, sicher nicht! Du hast sie bereits überschritten.» Diskursmarker können Einigkeit oder Dissens ausdrücken, Zweifel oder Bestimmtheit. «Sie nehmen je nach Ton ganz unterschiedliche Bedeutungen an», sagt Schneider.
Auffällig ist, dass das heutige «Hey» auch bei Small-Talk-Fragen eine leicht dramatische Note ins Gespräch trägt. «Wie waren deine Ferien?» «Hey, wir hatten sehr gutes Wetter.» Manchmal kann diese Ernsthaftigkeit und Bedeutungsschwere gar deplatziert wirken, etwa wenn es um eine ganz alltägliche oder banale Frage geht. Zum Beispiel wie in dieser Szene, die sich real in einem hippen Skater-Laden mit junger Verkäuferin zugetragen hat: «Haben Sie diese Hose auch grösser?» «Hey. [Lange Pause] Leider nicht.»
Als Linguistin frage sich Schneider nie, wieso ein Ausdruck womöglich falsch klinge. «Ich frage mich: Wieso nutzt ihn diese Person auf diese Weise und in dieser Situation?» Die Kleiderverkäuferin habe sich vielleicht respektvoll zeigen wollen.
Respektvoller Umgang der Gen Z
«Hey» als Startschuss zu einer Antwort ist durchaus eine Gewohnheit der Gen Z. Schneider fällt auf, dass diese Generation sorgfältiger als andere davor kommuniziere. Sie sei sich der Kraft gewisser Aussagen bewusst und wähle daher Worte bedächtiger aus.
Theoretisch könnte auch Folgendes geschehen: dass das «Hey» am Ende dieses Jahres plötzlich in einem ganz anderen Kontext gebraucht werde, zum Beispiel, um sich zu verabschieden, sagt Schneider. Sie kenne etwa Personen, die Telefongespräche mit einem langgezogenen, tiefen «Hoooi» beenden würden. Ähnlich könnte vielleicht auch das «Hey» genutzt werden.
Vorerst ist das «Hey» aber vor allem als Diskursmarker noch fest im Gebrauch. Und das nicht nur unter Jugendlichen, sondern auch bei Leuten über 40. Wieso eigentlich? «Weil sie noch nicht so weit von den Jugendlichen entfernt sind», sagt die Soziolinguistin Schneider.
Die Ü 40 verstünden einen Grossteil der Jugendsprache. «Sie haben Anschlusspunkte zur Gen Z, haben womöglich eigene Kinder oder jüngere Arbeitskolleginnen und -kollegen, denen sie sich anpassen», sagt Schneider.
Irgendwann werden aber auch die heutigen Mittvierziger den Draht zur Jugendsprache verlieren. Die Sprachwissenschaft hat festgestellt, dass dies oft ab dem Rentenalter geschieht. Der Kontakt zu jüngeren Generationen werde dann seltener, weiss Schneider. Die Pensionäre haben mehr Zeit, verbringen diese wieder öfter mit Gleichaltrigen.
So geschieht etwas Überraschendes, vor allem für Rentner, die in der gleichen Region leben, in der sie aufgewachsen sind. «Einige nutzen dann plötzlich wieder häufiger Wörter aus ihrer einstigen Jugendsprache», sagt Schneider.
Diesen Vorgang nennen die Linguisten «Age-Grading». Vereinfacht gesagt: Unsere Sprache verändert sich im Laufe des Lebens, weil wir uns immer wieder an neue Phasen anpassen.
Lust auf Provokation nimmt ab
Keine Sorge also, falls Ihr Teenager daheim in jedem Satz einen Anglizismus nutzt. Der Gebrauch der Jugendsprache erreiche mit etwa 20 Jahren seinen Höhepunkt, weiss Schneider. Beginnt ein neuer Lebensabschnitt, sprechen die jungen Erwachsenen oft wieder anders: wenn sie in die Rekrutenschule kommen, wenn sie das Studium beginnen oder einen ersten Job annehmen.
Denn dann nimmt wohl auch die Lust auf Provokation ab, das Bedürfnis, sich von den Erwachsenen abzugrenzen. Das «Hey» hat da eine Sonderstellung. Es falle weniger in die Provokations-Kategorie, findet Schneider. Es polarisiere weniger als «Bro» oder «Alte». Auch deshalb werde es unter etwas fortgeschritteneren Semestern häufiger genutzt.
Oder wollen sich die Ü 40 damit einfach cooler fühlen? Hey, vielleicht.