Nichts spricht dagegen, wenn Journalisten die Identität eines erfolgreichen Meinungsmachers lüften und sich mit seiner Arbeit auseinandersetzen. Bei «Zeit» und ZDF ging es kürzlich jedoch um etwas anderes.
Pseudonyme sind in der Literatur keine Seltenheit. Manche nutzen sie aus Eitelkeit, andere wie der Schriftsteller B. Traven, um ihre Identität zu verschleiern. In demokratisch verfassten Gesellschaften ist das selten ein Problem, genauso wenig wie der Jagdinstinkt von Journalisten und Wissenschaftern, das Geheimnis zu lüften.
In Diktaturen sieht das anders aus: Dort schützt die Anonymität ein nicht vorhandenes Grundrecht auf freie Meinungsäusserung. In solchen Staatsformen wird die andere Meinung als staatsfeindlich verfolgt, wobei die inhaltliche Begründung keine Rolle spielt. Die herrschende Meinung muss sich nicht vor einer kritischen Öffentlichkeit legitimieren. Der Bürger ist ein Untertan.
«Klammheimliche Freude über den Abschuss von Buback»
Deutschland gilt als eine westliche Demokratie mit Meinungsfreiheit. So gab es im Jahr 1977 eine harte Debatte über den Artikel «Buback. Ein Nachruf» in einer Göttinger Studentenzeitschrift. Der Autor nannte sich Mescalero und «konnte seine klammheimliche Freude über den Abschuss von Buback nicht verhehlen». Es fand sich aber auch folgender Satz: «Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden.» Es war zugleich eine Auseinandersetzung mit dem moralischen und politischen Abgrund, in dem die RAF gelandet war. Eine Enttarnung hätte strafrechtliche Verfolgung und für den Rest seines Lebens soziale Brandmarkung bedeutet.
Viele Menschen kannten den Namen des Autors, niemand verriet ihn, bis er sich 2001 selbst offenbarte. Zum Glück musste der Mescalero nicht den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann und den Investigativjournalisten der «Zeit» Christian Fuchs zu seinem sozialen Umfeld zählen. Zusammen veröffentlichten Böhmermann und die «Zeit» vor knapp drei Wochen ein vieldiskutiertes Stück über einen politischen Aktivisten namens «Clownswelt», der sich unter diesem Pseudonym mit der deutschen Innenpolitik beschäftigt.
Schlagworte statt kritische Auseinandersetzung
«Clownswelt» hat mit seinen Videos auf Youtube eine enorme Reichweite, mehr Follower als «TV Spielfilm» und die «FAZ» zusammen, wie Böhmermann in seiner Sendung vom 9. Mai feststellte. «Clownswelt» hat mit seinem Kanal ein einträgliches Geschäftsmodell entwickelt, wie er freimütig eingesteht. Er nennt sich politisch rechts, hat nichts gegen seine Verortung in der Nähe der AfD einzuwenden.
Unter normalen Umständen müsste er einen Preis für die Etablierung seines Formats in einer Medienbranche im Umbruch bekommen. Insofern ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Betreiber und Autor eines solchen professionellen Medienunternehmens enttarnt wird. Gleichzeitig könnte man sich kritisch mit dessen Inhalten auseinandersetzen. Aber davon ist keine Zeile zu lesen oder zu hören.
In dem als Investigativjournalismus deklarierten Elaborat der «Zeit» bescheidet sich der Autor mit Werturteilen wie «rechtsextrem» und ähnlichen Verdikten. Da sich «Clownswelt» als «Vorfeld der AfD» bezeichnet, folgen die gestanzten Formulierungen aus dem Kosmos der Verfassungsschutz-Bürokraten: Die AfD werde «seit vergangener Woche als gesichert rechtsextrem eingestuft, dagegen klagt die Partei nun. Bis zur endgültigen Entscheidung führt der Verfassungsschutz die Partei öffentlich nur als rechtsextremen Verdachtsfall.» Klappe zu, Affe tot.
Fundamentaler Eingriff in die Privatsphäre
Jan Böhmermann hat «Clownswelt» in seiner ZDF-Sendung marktschreierisch mit Vornamen genannt, er war leicht identifizierbar. In der «Zeit» erscheint der junge Mann mit Vornamen Marc-Philipp und einem hinterhergeschobenen «L.». Die inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Thesen erinnert an die dürftigsten Einlassungen des rechtskonservativen Spektrums in der Mescalero-Affäre: Von einem Linksextremisten und Terrorsympathisanten war damals die Rede. Klappe wieder auf, ist der Affe auch wirklich tot? Sonst ist auch der «Zeit»-Artikel nichts anderes als der Versuch, einen Menschen mit dem Etikett «rechtsextrem» sozial unmöglich zu machen.
Von Jan Böhmermann ist man diese Praxis gewohnt. Zuletzt wurde er aktenkundig mit einer Verleumdungskampagne gegen den früheren Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik Arne Schönbohm.
«Clownswelts» Leben wurde von Christian Fuchs – oder vielleicht besser: Christian F. – und einer Mitarbeiterin von Jan Böhmermann regelrecht ausgekundschaftet. Er nannte nicht nur den Namen, sondern entblösste dessen Biografie in allen Einzelheiten.
Nichts davon hat etwas mit den schlecht recherchierten Inhalten der Videos von «Clownswelt» zu tun. Der Artikel greift fundamental in die Privatsphäre des L. ein. Zur Selbstermächtigung führt der «Zeit»-Autor Christian F. an: «Die Recherche ermöglicht den seltenen Einblick in eine Welt, in der sich ein junger Mann in kurzer Zeit radikalisieren konnte. Und sie zeigt, wie eine kaum beachtete rechtsextreme Subkultur im Internet funktioniert, das sogenannte Angerverse.» Klappe noch einmal auf, jetzt muss der rechtsextreme Affe doch wirklich tot sein.
Hausbesuch bei den Eltern
Diese Radikalisierung findet aber nur im Kopf des F. statt. Im Vergleich zum Mescalero sind «Clownswelts» Einlassungen harmlos. Keine klammheimliche Freude über einen heimtückischen Mord wie damals an Siegfried Buback und dessen Fahrer Wolfgang Göbel. Der Chauffeur fand in dem Nachruf des Mescalero nicht einmal Erwähnung, was einiges über den damaligen Geisteszustand der radikalen Linken aussagt. F. will eine gescheiterte Persönlichkeit präsentieren, die zu seinen Vorstellungen über die rechte Szene passt.
Zwar hat sich F. öfter um Kontaktaufnahme mit L. bemüht, aber F. interessiert sich nicht für die Person L., sondern für das fertige Bild in seinem Kopf. Wer kommt auf die Idee, bei den Eltern des L. zu klingeln und dann noch zu erwarten, diese gäben wildfremden Personen Auskunft über ihren Sohn? Es reichte aber, um folgenden Satz zu formulieren: «Als sie erfahren, was ihr Sohn im Internet veranstaltet, wollen sie es nicht glauben», so F. Das könne nicht sein, er studiere ja noch und bekomme Geld von den Eltern. Überrascht und aufgebracht «schliessen sie die Tür. Offenbar kannten nicht einmal seine Eltern die dunkle Seite von Marc-Philipp L.»
Was würden wohl die Eltern eines Journalisten sagen, wenn jemand vor der Tür stände, um sie über die Gedankenwelt ihres Sohnes auszufragen?
Es gab keinen Anlass für diese Berichterstattung über Marc-Philipp L.s Privatleben. Weder hat er sich mit seinem Privatleben exponiert, noch hat er eine schwere Straftat begangen, die eine solche begründen könnte. Er ist auch keine Person des Zeitgeschehens, was ein öffentliches Interesse begründen könnte, um ihn auf den Richtblock medialer Scharfrichter zu legen. Christian F. beschreibt die Mentalität solcher rechter Influencer so: «Oft tarnen sie ihren Hass auf andere Lebensweisen als Satire.»
Das ist eine korrekte Beschreibung der Arbeit des Jan Böhmermann, wenn man «Lebensweise» durch «Meinungen» austauscht. Christian F. kann sich lediglich gewählter ausdrücken.