Nichtregierungsorganisationen klagten gegen die Regierung, weil sie die Folgen für die Bevölkerung im Gazastreifen zu wenig in Betracht ziehe.
Viele von Israels Verbündeten äusserten jüngst ihre Sorge darüber, wie sehr die Zivilbevölkerung im palästinensischen Gazastreifen unter den Kämpfen leidet. Israel will die Terrororganisation Hamas auslöschen, doch unter der Zivilbevölkerung gibt es Zehntausende von Toten. Die Wohnquartiere und die zivile Infrastruktur sind mittlerweile schwer beschädigt.
Nun hat sich auch ein niederländisches Gericht in die Kontroverse eingeschaltet, ob Israel gegenüber der Zivilbevölkerung genügend Rücksicht nehme. Am Montag entschied das Appellationsgericht in Den Haag (Gerechtshof Den Haag), dass fortan vom Luftwaffenstützpunkt Woensdrecht keine Ersatzteile mehr für den Kampfjet F-35 nach Israel geliefert werden dürfen. Innerhalb von sieben Tagen seien die Sendungen einzustellen.
Die Regierung der Niederlande, so das Gericht, ziehe nicht ausreichend in Betracht, welche Folgen die Angriffe für die Bevölkerung in Gaza hätten, urteilten die Richter. Es bestehe ein grosses Risiko, dass mit dem Einsatz von F-35-Flugzeugen im Gazastreifen das Kriegsvölkerrecht verletzt werde. «Die Angriffe Israels haben eine unverhältnismässige Anzahl Opfer gefordert, unter ihnen Tausende von Kindern», schreibt das Gericht.
Die Richter berufen sich auch auf Ausfuhrregeln der EU. Sie sehen etwa vor, dass eine Exportgenehmigung für Militärgüter verweigert werden muss, falls eindeutig das Risiko besteht, dass mit ihnen schwere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht begangen werden. Die Klage in Den Haag hatten die Nichtregierungsorganisationen Oxfam Novib, Pax und The Rights Form eingereicht.
Für die Regierung handelt es sich um eine politische Frage
In Woensdrecht im Südwesten der Niederlande befindet sich ein militärisches Logistikzentrum, von wo Verbündete der USA mit Ersatzteilen beliefert werden. Unmittelbare Konsequenzen wird das niederländische Urteil für Israel nicht haben. Der F-35 benötigt zwar eine intensive Wartung und ist in Israel kriegsbedingt oft im Einsatz. Die USA können als Teilelieferant aber in die Lücke springen.
Der Jet ist eines der modernsten Kampfflugzeuge, und die Auslieferung an die Kunden der USA ist nach Jahren der Entwicklung erst am Anlaufen. Viele westliche Länder planen, den F-16 durch den F-35 zu ersetzen.
Die niederländische Regierung muss jetzt die Ausfuhren nach Israel zwar stoppen, sie will das Urteil aber nicht akzeptieren und es an das Höchstgericht weiterziehen. Es handle sich bei den Ausfuhren um eine politische Frage, welche die Regierung zu entscheiden habe und nicht ein Gericht, sagte Geoffrey van Leeuwen, der niederländische Handelsminister.
Das militärische Verteilzentrum in Woensdrecht ist zumindest für den Südwesten der Niederlande auch ein Wirtschaftsfaktor. Die Regierung des Landes befürchtet, dass es an Bedeutung verliert, falls die USA die Niederlande in militärischen Konflikten nicht mehr als verlässlichen Partner wahrnehmen. Sie machte laut der niederländischen Zeitung «NCR» auch Andeutungen, dass die USA die Niederlande aus dem F-35-Programm werfen könnten. An der Entwicklung des Kampfjets waren mehrere Staaten beteiligt, darunter auch die Niederlande.
Josep Borrell fordert Joe Biden heraus
Die Mitgliedsländer der EU und auch die Kommission sind sich in der Positionierung im Nahostkonflikt selten einig. Die Niederlande, Österreich oder Ungarn unterstützen Israel verbal stark, andere Länder aber, etwa Spanien, Belgien und Irland, sind kritischer.
Mehr Härte gegenüber Israel fordert auch Josep Borrell, der Aussenbeauftragte der EU. Wer wie der amerikanische Präsident Joe Biden glaube, dass im Gazastreifen zu viele Menschen getötet würden, solle weniger Waffen dorthin liefern, sagte er am Montag. Biden hatte Israel zuvor ungewöhnlich scharf kritisiert: Die Militäraktion im Gazastreifen sei übertrieben («over the top»).