Der argentinische Präsident macht seinem Landsmann Jorge Mario Bergoglio alias Papst Franziskus seine Aufwartung. Eine Begegnung der besonderen Art.
Ja, was denn nun? Ist der Papst nun der «Dummkopf», als den ihn Javier Milei im argentinischen Wahlkampf bezeichnet hatte? Einer, der mit den «mörderischen Kommunisten» liebäugelt? Der «Vertreter des Bösen auf Erden» schlechthin? Oder vielleicht eher doch der «wichtigste Argentinier der Geschichte», wie es Milei am Sonntag in Rom wesentlich freundlicher formulierte?
Als Papst Franziskus seinen Landsmann anlässlich der Messe zur Heiligsprechung von «Mama Antula», einer aus Buenos Aires stammenden Ordensschwester aus dem 18. Jahrhundert, begrüsste, standen die Zeichen jedenfalls auf Entspannung. «Haben Sie sich die Haare geschnitten?», scherzte Franziskus laut den anwesenden Berichterstattern und fügte an: «Schön, Sie zu sehen! Gott möge Sie segnen.» Die Bilder aus dem Petersdom belegen die zur Schau gestellte Herzlichkeit. Sie zeigen, wie Milei seinen Landsmann umarmt – nachdem er ihn zuvor gefragt hat: «Darf ich Sie küssen?»
Dass der Besuch Mileis in Rom nicht eine der unzähligen Routine-Visiten von Staatsoberhäuptern aus aller Welt in Rom war, zeigte sich auch am Montag. Die offizielle Audienz bei Franziskus dauerte eine ganze Stunde, unüblich lange für vatikanische Verhältnisse, zumal wenn man bedenkt, dass in diesem Fall auf die Dienste eines Dolmetschers verzichtet werden konnte. Offensichtlich hatten sich die beiden etwas zu sagen.
Dabei dürfte es nicht nur um Mileis verbale Ohrfeigen gegangen sein. Der Papst seinerseits hatte wohl einiges klarzustellen. Kurz vor der Wahl des anarcho-kapitalistischen Politikers hatte der Pontifex seine Landsleute davor gewarnt, «magischen Rattenfängern» und «Clowns des Messianismus» zu folgen – ein kaum versteckter Hinweis auf seine politischen Präferenzen. Allerdings hatte er auch Mileis Gegner im Wahlkampf, Sergio Massa, nicht unterstützt. Dieser zählt zum Umfeld von Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner und damit zu einem Milieu, mit dem Franziskus seit seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires über Kreuz liegt.
Beidseitige Interessen
In Rom wird die neue Herzlichkeit der beiden damit erklärt, dass Javier Milei den in seiner Heimat beliebten Papst nicht weiter brüskieren kann, wenn er seine harten Reformpläne zum Um- und Abbau des argentinischen Staates umsetzen will. Es gilt mindestens zu verhindern, dass Franziskus offen auf Konfrontationskurs geht.
Ob der Papst hier mitspielt, ist allerdings ungewiss. In seiner Predigt zu Ehren von «Mama Antula», der ersten argentinischen Heiligen, sprach er am Sonntag über Armut und Ausgrenzung und bezeichnete den grassierenden Individualismus unserer Zeit als ein Virus, das es zu besiegen gelte. Es tönte wie eine freundlich warnende Aufforderung an die Adresse Mileis, mit seinen Plänen nicht zu weit zu gehen.
Franziskus seinerseits möchte während seiner Amtszeit in Rom unbedingt eine apostolische Reise in seine Heimat unternehmen. Er hat diesen Wunsch mehrfach geäussert, das Vorhaben aber schliesslich immer wieder hinausgeschoben. Nun drängt allerdings die Zeit, sein Gesundheitszustand ist prekär. Auch dies könnte ein Grund dafür sein, warum er es sich mit Milei nicht komplett verscherzen möchte. Milei hat die Einladung an den Pontifex nun erneuert. Die Visite könnte noch dieses Jahr stattfinden.
Keine Zeichen von Mässigung
Auch auf der anderen Seite des Tibers wurde der Gast aus Buenos Aires, dessen Vorfahren aus Italien stammen, mit Spannung erwartet. Am Montagnachmittag stattete der «Mann mit der Kettensäge» Regierungschefin Giorgia Meloni im Palazzo Chigi einen Besuch ab. Bei dem Gespräch ging es unter anderem um die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Ausserdem wurde über das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur gesprochen.
Darüber hinaus galt das Interesse vor allem auch der Frage, ob Milei dereinst einen ähnlichen Weg zurücklegen könnte wie Giorgia Meloni – denjenigen der Mässigung nach einem harten und derben Wahlkampf – und ob dafür just in Rom erste Anzeichen zu sehen wären.
Nimmt man ein Interview mit dem argentinischen Präsidenten zum Massstab, das am Montagabend auf dem Berlusconi-Sender «Rete 4» ausgestrahlt worden ist, dürfte dies derzeit nicht der Fall sein. Nach allem, was am späten Nachmittag von dem Gespräch vorab durchgesickert ist, hat Milei auf seiner bekannten Klaviatur gespielt: Er empfinde eine tiefe Verachtung für den Staat; dieser sei eine kriminelle Vereinigung, die den Leuten das Geld aus der Tasche ziehe; der Sozialismus sei eine mentale Krankheit, die, als sie konsequent angewendet worden sei, sechs Millionen Menschenleben gefordert habe.
Eine Bekehrung Javier Mileis scheint in Rom jedenfalls nicht stattgefunden zu haben – päpstlicher Segen hin oder her.