Die bekanntesten Personenschützer der USA liessen einen Anschlag auf den früheren Präsidenten Trump zu. Was ist das Problem?
Je mehr Details über den Anschlag auf den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Donald Trump bekanntwerden, desto unerklärlicher erscheint das Versagen des Secret Service, der ihn hätte schützen sollen.
Am Montag zeigten die «New York Times» und weitere Medien das auf Tiktok veröffentlichte Video eines Zuschauers, das wenige Minuten vor den Schüssen auf Trump aufgenommen wurde. Das Video wurde auch von der NZZ verifiziert.
Die Aufnahme macht deutlich, dass zahlreiche Personen den Schützen auf dem Dach bereits Minuten vor der Tat gesehen hatten und dass sie lautstark die Polizeikräfte alarmierten. Am Dienstag bestätigte der Secret Service gemäss mehreren Medien sogar, dass die Lokalpolizisten seine Agenten per Funk über Warnungen aus dem Publikum unterrichtet hatten – und zwar bereits bevor Trumps Rede begonnen hatte.
Auf weiteren Zuschauervideos sind die Scharfschützen hinter Trumps Bühne zu sehen: Auch sie scheinen auf irgendetwas zu reagieren und blicken in Richtung des Täters, noch bevor die Schüsse erfolgten. Anstatt die Veranstaltung zu unterbrechen, liess man Trump aber weiterreden.
Weiter sollen Lokalpolizisten, die den Einsatz des Secret Service unterstützten und für den äusseren Sicherheitsperimeter zuständig waren, genau dasjenige Gebäude als Besammlungsort genutzt haben, von dessen Dach aus der Attentäter seine Schüsse abfeuerte.
Bei Anlässen arbeitet der Secret Service zwar oft mit lokalen Polizeikräften zusammen; gerade für die Sicherung der äusseren Bereiche. Diese Polizisten müssen aber vom Secret Service gut instruiert und auf dem Gelände verteilt werden.
Eine lange Spur von Fehlern
Die Direktorin des Secret Service, Kimberly Cheatle, versprach am Montag eine Aufarbeitung des Vorfalls; sie muss zudem einem Kongressausschuss nächste Woche Red und Antwort stehen.
Es ist zweifellos der folgenschwerste Fehler des Secret Service seit mehr als vierzig Jahren – seit ein Attentäter 1981 Präsident Ronald Reagan anschoss. Das bedeutet aber nicht, dass in diesen Jahren alles glatt gelaufen wäre – im Gegenteil.
Die «Washington Post»-Journalistin Carol Leonnig, die seit weit über einer Dekade zum Secret Service recherchiert, hat in ihrem Buch «Zero Fail» eine Reihe schwerwiegender Probleme beschrieben, welche die Behörde seit Jahrzehnten umtreiben. Zahlreiche dieser Probleme wurden bereits 2015 benannt, als eine parlamentarische Kommission unter Leitung des damaligen Kongressabgeordneten Jason Chaffetz den Secret Service genauer unter die Lupe genommen hatte.
Während der Obama-Präsidentschaft hatten sich einige aufsehenerregende Fehler ereignet, welche diese Untersuchung anstiessen. Im November 2011 schoss ein arbeitsloser 21-Jähriger mehrfach mit einem halbautomatischen Gewehr auf das Weisse Haus. Der Secret Service wurde alarmiert und ging von einer Schiesserei aus – er entdeckte erst vier Tage später, dass das Weisse Haus selbst beschossen worden war.
Im September 2014 übersprang ein Mann den Zaun vor dem Weissen Haus, überwältigte kurz darauf einen Agenten und gelangte sogar in die Nähe der Privatzimmer des Präsidenten, bevor er gestoppt wurde. 2017 schaffte es ein Mann mit psychischen Problemen und zwei Kanistern Tränengas im Gepäck, mehrere Zäune zu überspringen und eine Viertelstunde über das Gelände des Weissen Hauses zu spazieren, bevor er entdeckt und festgenommen wurde.
Zu viele Aufgaben
Der Secret Service ist seit längerem chronisch überlastet. Er muss immer mehr Aufgaben wahrnehmen, ohne dass ihm die Politik die dafür nötigen Mittel zuspräche.
Stets muss der Secret Service darum kämpfen, dass er seine alternde Fahrzeugflotte oder die Kameras und Sensoren am Weissen Haus auf Vordermann bringen kann.
Auch auf Entschädigung für ihre geleistete Überzeit mussten die Beamten oft lange warten, weil zu wenig Mittel vorhanden waren. Das drückt auf die Moral: Zur Arbeit als Personenschützer für den Präsidenten gehören sehr unregelmässige und kurzfristig anberaumte Einsätze.
Über Jahre ist es der Behörde deshalb schwergefallen, genügend qualifiziertes Personal zu rekrutieren und die vielen Abgänge zu kompensieren. Geld- und Personalmangel führten gemäss Chaffetz’ Bericht und Leonnigs Buch auch dazu, dass der Secret Service permanent im Krisenmodus arbeitet und keine richtige strategische Planung vornimmt.
Besonders prekär soll die Lage gemäss Leonnig unter Trump gewesen sein, der mit seinen (Golf)reisen gerade zu Beginn seiner Präsidentschaft das Budget seiner Sicherheitsleute strapazierte. Zudem musste der Dienst mit dem Trump Tower in Manhattan plötzlich ein riesiges Hochhaus sichern. Das Grundproblem des Secret Service hat aber nichts mit Trump zu tun: mehr Aufgaben, aber nicht mehr Budget.
Gegründet wurde der Dienst eigentlich, um Geldfälscher zu bekämpfen, daher war er lange dem Finanzministerium unterstellt. Erst nach dem tödlichen Attentat auf Präsident William McKinley 1901 übernahm der Secret Service die Aufgabe, den Präsidenten zu schützen; später auch weitere wichtige Personen. Inzwischen müssen die Agenten auch noch Online-Drohungen auswerten und diesen nachgehen.
Der Secret Service beschäftigt inzwischen weit mehr als 7000 Personen, die Hälfte von ihnen als Agenten. Der Riesenapparat neigt, zumindest gemäss Kritikern, denn auch zu bürokratischen Abläufen und internen Machtkämpfen.
Fast an Kennedy verzweifelt
Ein Problem wird der Secret Service nie aus der Welt schaffen können. Während er den Präsidenten vor Gefahren schützen muss, will dieser nahbar wirken, um wiedergewählt zu werden. An John F. Kennedy waren die Personenschützer fast verzweifelt, denn er wollte an seinen Paraden und Reden nahe und unmittelbar mit den Zuschauern interagieren.
Kennedy warf dabei regelmässig den Sicherheitsplan über den Haufen und trieb mit sehr eng getakteten Reisen seine Agenten bis zur kompletten Erschöpfung. Der Demokrat prägte mit seiner Art jedoch auch die Präsidentschaft an sich und inspirierte seine Nachfolger dazu, sich ebenfalls nahbar zu zeigen.
Der Secret Service muss zudem einerseits ein gutes Verhältnis zum Präsidenten und zu dessen Familie pflegen. Nur so kann er diesen Personenkreis effizient schützen. In der Tendenz versucht der Dienst daher, sämtliche Wünsche des Präsidenten irgendwie möglich zu machen. Andererseits muss die Behörde politisch neutral bleiben.
Beim Sturm aufs Capitol am 6. Januar 2021 fiel es dem Secret Service sehr schwer, diese Balance zu halten, was nun vor allem die Demokraten auf den Plan rief. Der Vorwurf stand etwa im Raum, die Behörde habe sich von Trump instrumentalisieren lassen. Präsident Joe Biden ersetzte einen Teil des Spitzenpersonals, unter anderem den Direktor, und ernannte mit Kimberly Cheatle eine frühere Agentin zur Chefin, die er aus seiner Zeit als Vizepräsident persönlich kannte.
In gewisser Weise wiederholte Biden damit die Fehler, die dem Secret Service schon unter seinen Vorgängern Probleme verursachten. Personalentscheide werden in Reaktion auf konkrete Vorfälle durchgesetzt, ohne dass zugleich eine langfristige Strategie definiert und implementiert würde.
Nun steht wiederum «seine» Direktorin im Fokus der Untersuchungen, und manche Republikaner richten ihre Vorwürfe direkt an sie. Ob die Politik die grundlegenden Widersprüche im Mandat des Secret Service je beheben wird, bleibt fraglich.