Erschreckend oft heisst es, das Attentat komme nicht überraschend. Kein Politiker hat die Slowakei in den letzten zwanzig Jahren mehr geprägt als der langjährige Ministerpräsident Fico.
Nach dem Attentat auf den Regierungschef Robert Fico ist die politisch tief gespaltene Slowakei vereint im Schock. In Kommentaren von Politikern und Journalisten aller Lager wird betont, dass es sich nicht nur um einen Anschlag auf den Ministerpräsidenten handelte, sondern um einen auf die Demokratie und damit die gesamte Nation. Eine rote Linie sei überschritten, schrieb etwa die Chefredaktorin der Zeitung «SME» in ihrem Kommentar. Die scheidende Staatspräsidentin Zuzana Caputova mahnte, der hasserfüllte politische Diskurs müsse enden.
Eine beunruhigende Serie von politischer Gewalt
Erschreckend oft heisst es aber auch, die Tat komme nicht überraschend. Sie ist auch nicht der erste Fall von politischer Gewalt in letzter Zeit, sondern vielmehr der Höhepunkt einer beunruhigenden Serie von Ereignissen. 2018 erschütterte der Mord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten das Land in seinen Grundfesten. Es bestehen wenig Zweifel daran, dass das Motiv seine Recherchen zu Verbindungen der politischen Elite zur Mafia waren.
Auch die Tötung von zwei queeren Personen vor einer LGBTQ-Bar in Bratislava vor anderthalb Jahren durch einen Rechtsextremen wurde als politisches Verbrechen eingestuft. Caputova schliesslich verzichtete trotz ihrer Popularität in der Bevölkerung auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit, weil der Hass und die Drohungen gegen sie und ihre Familie sie zermürbt hatten.
Geradezu prophetisch wirkt heute auch ein Facebook-Video von Fico selbst, das er vor fünf Wochen postete. Darin äusserte er die Befürchtung, dass die «obszöne Beschimpfung» von Politikern seines Lagers in den Strassen und die Frustration der Opposition zur Ermordung eines Regierungsmitglieds führen könnten.
Wie konnte es so weit kommen? In dem Video wies Fico die Schuld für das vergiftete Klima unter anderen dem Oppositionsführer Michal Simecka und zwei regierungskritischen Medien zu. Man kämpfe gegen gefährliche Menschen, die keine abweichenden Meinungen tolerierten, schrieb er dazu.
Das sind indes Vorwürfe, die von verschiedener Seite vor allem gegen Fico selbst, das Opfer der Gewalt vom Mittwoch, erhoben werden. Er ist einer der am meisten polarisierenden Politiker des Landes – und zudem derjenige, der die Slowakei seit zwanzig Jahren prägt. Allein deshalb kommt ihm eine Mitverantwortung für die innenpolitische Lage zu.
Ein überraschendes Comeback, begünstigt durch Krisen
Der Jurist Fico begann seine Karriere bei der Kommunistischen Partei der damaligen Tschechoslowakei. Nach der Wende politisierte er bei den Postkommunisten, für die er ins slowakische Parlament einzog. 1999 spaltete er sich aber im Streit ab und gründete die sich selbst als sozialdemokratisch verstehende Partei Smer (Richtung), die indes schon bald als populistisch und nationalistisch eingeordnet wurde. Mit Kritik an der Korruption der konservativ-liberalen Regierung und sozialpolitischen Versprechungen gewann Fico die Wahl 2006 klar und wurde Regierungschef – ein Amt, das er bis 2018 mit nur zweijährigem Unterbruch innehatte.
Smer wurde in jener Zeit zur dominierenden Kraft im Land – bei der Nationalratswahl 2012 war sie fast fünf Mal so stark wie die zweitgrösste Partei. Sie führte die Slowakei durchaus erfolgreich: Der Wohlstand wuchs stetig, und die Westintegration wurde gefestigt. Fico machte sich allerdings auch im Ausland Gegner, etwa mit seiner migrationsfeindlichen Rhetorik während der Flüchtlingskrise 2015. Die lange Regierungszeit führte zudem zu engen Verflechtungen mit der Wirtschaft. Dem einstigen Kämpfer gegen die Korruption im Land wurden selbst Filz und Bereicherung vorgeworfen.
Der Mord an Kuciak wurde deshalb zu einer Zäsur in mehrfacher Hinsicht. Dass das Leben eines jungen Paares brutal ausgelöscht wurde, weil der Journalist kriminelle Machenschaften bis in höchste politische Kreise aufgedeckt hatte, akzeptierte eine Mehrheit der Slowaken nicht. Wochenlange Massenproteste zwangen Fico zum Rücktritt, auch wenn über seine Involvierung in das Verbrechen nur spekuliert wurde.
Die Tat radikalisierte zudem die Debatte – und Fico selbst. Er machte seine Gegner, die Justiz und vor allem auch die Medien verantwortlich für sein politisches Ende, das endgültig schien. Die Krisen der vergangenen Jahre nutzte der geschickte Stratege jedoch für ein unerwartetes Comeback: Während der Pandemie positionierte er sich als Massnahmengegner, und den Krieg in der benachbarten Ukraine nutzte er zu nationalistischer Stimmungsmache. So vereinigte er die Stimmen der Gegner einer zerstrittenen Regierung auf sich und gewann die Wahl im letzten Herbst.
Allerdings erreichte seine Smer mit 23 Prozent nur das zweitschlechteste Ergebnis der letzten zwei Jahrzehnte – zur Rückkehr ins Amt verhalf ihm eine heterogene Dreierkoalition. Dass Fico dieses im Vergleich zur Vergangenheit schwache Mandat in den letzten Monaten zu einer «Orbanisierung» der Slowakei nutzte, wie ihm seine Gegner vorwerfen, trägt zur Polarisierung bei.
Ein Umbau nach dem Drehbuch Viktor Orbans
Nach dem Drehbuch seines Verbündeten Viktor Orban in Ungarn reformierte seine Regierung zunächst die Justiz, indem sie die auf Korruptionsdelikte spezialisierte Sonderstaatsanwaltschaft abschaffte und Strafen für Wirtschaftskriminalität senkte. Eine derzeit im Parlament debattierte Vorlage sieht zudem die Auflösung des öffentlichrechtlichen Senders RTVS vor, stattdessen soll ein staatlicher Kanal unter grösserem Einfluss der Regierung entstehen. Ebenfalls nach ungarischem Vorbild sollen sich Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 5000 Euro pro Jahr aus dem Ausland erhalten, als «vom Ausland unterstützt» bezeichnen müssen.
Weniger klar ist Ficos Kurs in der Aussenpolitik. Zwar fällt er mit ausgeprägt prorussischer Rhetorik auf und kündigte den Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine an. Die slowakischen Bestände waren aber ohnehin erschöpft, und Rüstungsgeschäfte privater slowakischer Unternehmen behindert die Regierung entgegen Ficos Ankündigungen im Wahlkampf nicht. Anders als Orban blockierte er auch EU-Beschlüsse zur Ukraine bisher nicht.
Dennoch ist die Sorge vor einem illiberalen Umbau wie in Ungarn bei vielen Slowaken gross, und sie brachte in den vergangenen Monaten Zehntausende auf die Strassen. Es war die grösste Protestbewegung seit dem Mord an Kuciak – und die Folgen des Attentats auf Fico könnten nun ebenso einschneidend sein. Noch ist offen, ob und wie schnell sich der Regierungschef erholt. Laut den Ärzten galt sein Zustand am Donnerstag als stabil, aber ernst.
Beobachter befürchten, dass die nach dem Anschlag bekundete Einigkeit und Einsicht nicht lange währen wird. Schuldzuweisungen aus dem Regierungslager an die Opposition deuten darauf bereits hin. So machte der Smer-Vizechef Lubos Blaha linke Parteien und Medien schon für die Tat verantwortlich, bevor etwas über den Attentäter bekannt war. Andrej Danko, der Vorsitzende der kleinsten Regierungspartei SNS, wertete diese sogar als Kriegserklärung, auf die mit einem schärferen Vorgehen gegen Opposition und Medien zu reagieren sei.
So könnte der Anschlag nicht als Weckruf für eine politische Mässigung dienen, sondern im Gegenteil das Klima weiter vergiften – ähnlich wie der Mord an Kuciak.