Das Oberhaupt einer kriminellen Familie will Deutscher werden und braucht dafür eine Wohnanschrift. Im mecklenburgischen Grabowhöfe geht man von einer Scheinadresse aus. Die Einwohner sind aufgebracht.
Am Ortseingang lockt ein kleiner Zoo, der sogar Safaris durch die mecklenburgische Seenlandschaft anbietet. Früher, zu DDR-Zeiten, stand hier eine Schweinemastanlage. Jetzt werden Touristen willkommen geheissen. Die Müritz ist nicht weit, ein beliebtes Wassersportgebiet.
In den Vorgärten des langgezogenen Dorfes sind die Sträucher mit Ostereiern geschmückt. Das mecklenburgische Grabowhöfe ist durchaus ein idyllischer Ort. Doch die ländliche Ruhe wird gerade durch ein neues Gemeindemitglied gestört.
Das Oberhaupt eines der bekanntesten kriminellen Clans in Deutschland, Issa Remmo, hat sich das tausend Einwohner zählende Dorf als neuen Wohnsitz ausgesucht – zumindest sollen die Behörden das denken. Hier ist er seit einiger Zeit offiziell gemeldet. Allerdings glaubt auch in Grabowhöfe keiner wirklich an einen Umzug des Clan-Chefs von Berlin aufs Land. Hintergrund ist, dass der bislang staatenlose Issa Remmo den deutschen Pass haben will. Auf dem Amt hat er ein Einbürgerungsgesuch gestellt, das Verfahren läuft bereits. Zuerst hatte das Onlineportal «Wir sind Müritzer» über den Fall berichtet.
Das Haus, in dem Remmo gemeldet ist, liegt am Dorfrand und wirkt alles andere als wohnlich, eher renovierungsbedürftig und ungepflegt. Ein Schild warnt vor einem bissigen Hund, am Briefkasten steht handgeschrieben «I. Remmo». Ein weisser Holzzaun versperrt den Blick auf das Grundstück. Vor dem Haus ist eine Haltestelle, zweimal am Tag kommt der Bus vorbei. Ringsherum sind Felder. Der neue Mieter ist nicht zu sehen und wurde im Ort auch noch nicht gesichtet.
Die Aufregung ist trotzdem gross. Einen schwer kriminellen Familien-Clan will man im Dorf natürlich nicht haben. Der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde, Enrico Malow, versucht, am Rande der Versammlung der Gemeindevertreter die Wogen zu glätten. Er habe von dem Fall auch aus den Medien erfahren, sagt er. Für Meldeangelegenheiten sei schliesslich nicht die Gemeinde zuständig.
«Vielleicht will der Herr nur seine Ruhe haben»
Kennengelernt hat der Bürgermeister Issa Remmo noch nicht. «Mehr kann ich nicht sagen», meint Malow, der schon seit fünfzehn Jahren Bürgermeister ist. Warum sich Remmo gerade das Dorf ausgesucht habe – keine Ahnung. Malow gibt aber eine «gewisse Unruhe» bei den Bürgern zu. Vor allem nach der spektakulären Räumung der Remmo-Villa vor ein paar Tagen in Berlin sei der Fall «extrem ein Thema» geworden. In der Villa soll auch Issa Remmo gewohnt haben.
Mehrfach versichert der Bürgermeister, Sicherheit und Ordnung in der Gemeinde seien zu jeder Zeit gewährleistet. Auf empörte Einwohner bei der Versammlung hatte sich die Gemeinde aber offensichtlich dennoch vorbereitet. Vorsorglich wurde der Polizei Bescheid gesagt, die sich in der Nähe postierte.
Ob Remmo denn in Grabowhöfe willkommen sei, wird der Bürgermeister gefragt. «Tja», sagt Malow nach einer Weile. «Wir haben Gesetze, die gelten. Ich habe einen Eid auf die Verfassung geschworen.» Dann meint der Bürgermeister noch wohlwollend: «Vielleicht will der Herr ja nur seine Ruhe haben.» Die Gemeindeversammlung geht weiter. Es wird über eine Brückensanierung, das anstehende Osterfeuer und schlecht geschnittene Hecken diskutiert.
Clan-Kriminalität ist hier an der Mecklenburger Seenplatte weit weg. In dem beschaulichen Grabowhöfe, etwa zehn Kilometer von Waren an der Müritz entfernt, säumen gepflegte Einfamilienhäuser, ein Fussballplatz und eine Kita die Dorfstrasse. Viel mehr gibt es hier nicht.
Manche Dorfbewohner können mit dem Namen Remmo nichts anfangen, zücken ihre Handys und staunen über die lange Liste von schwersten Straftaten, die Familienmitgliedern zur Last gelegt werden. Auf das Konto des Clans gehen unter anderem der Diebstahl der 100-Kilo-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum und der Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden. Davon hat man auch in Grabowhöfe gehört.
Behörden versuchen sich in Schadensbegrenzung
«Die sind pfiffig, kennen die Gesetzeslage und wissen, wie sie dem Staat ein Schnippchen schlagen können», meint Frank Poschau, der vor ein paar Jahren in das Dorf zog. Die Gemeinde könne aber nichts machen, sagt er achselzuckend.
Sicher ist man sich aber, dass Grabowhöfe nur eine Scheinadresse für das Clan-Oberhaupt ist. «Der will hier nicht wohnen, nur in Ruhe seine Geschäfte machen», sagt ein junger Mann, der bei der freiwilligen Feuerwehr mitmacht. Andere Bürger sind da zugeknöpfter, schütteln nur den Kopf, wenn sie auf das neue Gemeindemitglied angesprochen werden. Und dass die Medien jetzt über das Dorf berichten, ist ihnen auch nicht recht.
Remmo soll das Haus schon vor einer Weile von einem Unternehmer angemietet haben. Der NDR berichtet, der Mietvertrag bestehe seit etwa drei Jahren. Bestätigt wurde, dass Remmo die Meldebescheinigung wieder entzogen worden sei. Denn die Behörden hätten nachgeforscht. In dem Haus soll es weder Strom noch Wasser gegeben haben. Remmo hätte dem widersprochen und sei vor etwas mehr als zwei Wochen in Waren persönlich auf dem Amt erschienen, um sich wieder anzumelden. Er hat dann eine offizielle Meldebescheinigung bekommen, die er für seine Einbürgerung braucht.
Die formalen Voraussetzungen für die deutsche Staatsangehörigkeit erfüllt der 56-jährige Remmo damit: Er ist trotz diversen Ermittlungen gegen ihn nicht vorbestraft, er lebt schon seit Jahrzehnten in Deutschland und verdient seinen Lebensunterhalt offiziell als Unternehmer. Nachdem die offensichtlichen Tricksereien von Issa Remmo deutschlandweit für Erregung gesorgt hatten, gingen aber auch in Waren an der Müritz die Alarmglocken an.
Die Behörden versuchen sich jetzt in Schadensbegrenzung. Es seien weitere Unterlagen von Remmo, wie Stromrechnungen, angefordert worden, hiess es. Offiziell will sich aber niemand äussern. Der Fall bleibt nebulös, ist in Berlin aber längst zum Politikum geworden. «Es kann nicht sein, dass kriminelle Clans dem deutschen Staat auf der Nase herumtanzen», empörte sich der CSU-Generalsekretär Martin Huber.