Das Rassemblement national hätte ideologisch allen Grund, den Wahlsieg Trumps zu feiern. Doch die Parteiführung geht auf Distanz. Sie hat ihre Gründe dafür.
Die Rechtspopulisten in Europa sind im Hoch. Das Volk habe dem linken und woken Establishment eine dringend benötigte Niederlage zugefügt, lautet der Tenor. Das historische Comeback von Donald Trump löste bei Viktor Orban, Geert Wilders, Herbert Kickl und Gleichgesinnten eine Welle der Euphorie aus. Einer nach dem andern gratulierten sie Trump am Mittwoch zur Wahl.
Matteo Salvini, Italiens Vizeregierungschef, liess sich sogar zu einer Porträt-Collage hinreissen, mit der Überschrift «Make the west great again». Salvini inszeniert sich dabei selbst, zwischen Donald Trump und Elon Musk. Rundum sind weitere Rechtspopulisten.
Auf dem Bild ist nur eine einzige Frau. Marine Le Pen, vom französischen Rassemblement national (RN), fällt in dieser Runde nicht nur deswegen auf. Im Gegensatz zu den anderen reagierte sie geradezu zurückhaltend auf die Wahl von Trump.
Starker Kontrast zu früheren Positionierung
Die amerikanische Demokratie habe sich klar ausgedrückt und die Amerikaner hätten sich «in völliger Freiheit den Präsidenten gegeben, den sie gewählt haben», schrieb Le Pen nichtssagend in ihrer Gratulation auf X. Keine Polemik, kein Pathos.
Stattdessen reihte sie diplomatische Floskeln aneinander. Sie sprach von einer neuen politischen Ära, die «zur Stärkung der bilateralen Beziehungen, zur Fortsetzung eines konstruktiven Dialogs und einer konstruktiven Zusammenarbeit auf der internationalen Bühne» beitragen solle.
Die Äusserungen Le Pens – und des Parteivorsitzenden Jordan Bardella –zu Donald Trump sind nüchtern, diplomatisch, zurückhaltend. Sie stehen in krassem Kontrast zu jenen anderer Rechtspopulisten Europas. Und im Falle Le Pens auch zur eigenen Vergangenheit.
2016 gratulierte sie Donald Trump feierlich zur Wahl, noch bevor diese offiziell bestätigt war. Vier Jahre später anerkannte sie Trumps Wahlniederlage erst nach dem Sturm auf das Capitol, wofür sie in Frankreich heftige Kritik erntete.
Die Kernthemen der beiden scheinen indessen identisch: weniger Immigration, stärkere Kaufkraft für die Bürger, mehr Sicherheit.
Warum also die Distanz?
Trumps Gebaren bedroht die Image-Politur Le Pens
Der französische Politologe Jean-Yves Camus nennt im Gespräch mit der NZZ drei Gründe:
Marine Le Pen arbeite weiterhin an der Entdämonisierung des RN, sagt Camus: «Sie hat absolut kein Interesse daran, dass ihre Partei oder sie selbst mit jemandem in Verbindung gebracht werden, der derart frauenfeindlich ist und während seiner Wahlkampagne radikaler, extremer und unflätiger als je zuvor war.»
Laut Camus sei dem RN zudem bewusst, dass sich Trumps Wirtschaftspolitik negativ auf Frankreich auswirken könnte: «Sollte Trump Zölle auf europäische Produkte erheben, wären natürlich auch französische Arbeitsplätze betroffen. Le Pen, und andere des Rassemblement national, antworten also, dass Frankreich sich um seine und die europäischen Interessen kümmern sollte.»
Als Letztes nennt Camus die Beziehung zum Kreml. Es sei zwar noch zu früh für eine Aussage über die Beziehungen zwischen Trump und Putin, aber: «Sollten sie wieder beste Freunde werden, hat Le Pen überhaupt keine Lust, wieder als Vertreterin einer prorussischen Partei wahrgenommen zu werden.» Seit der Invasion in der Ukraine versucht sich Le Pen von der russischen Regierung zu distanzieren.
Acht von zehn Franzosen haben ein schlechtes Bild von Trump
Eine weitere Erklärung dürfte eine allgemeine Amerika-Skepsis und eine weitverbreitete Ablehnung gegenüber Trump in der französischen Gesellschaft sein. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Elabe vom 6. November ergab, dass acht von zehn Franzosen ein schlechtes bis sehr schlechtes Bild von ihm haben. Laut der Umfrage äusserte die Hälfte der befragten RN-Wähler ebenfalls diese Haltung.
Richtet sich die Reaktion von Le Pen und anderen Führungsmitgliedern des RN also nach der Stimmung ihrer Basis und ihrer Wähler?
Dazu sagt Camus: «Uns fehlen derzeit die Umfragen, um das herauszufinden. Aber es kann durchaus eine Diskrepanz geben zwischen der Strategie der Führung des RN und dem, was die Wähler denken.»
Die Wähler des RN hätten durchaus Grund, sich über Trump zu freuen. Seine Wahl verkörpert ihre Ideale: ein Sieg des Volkes über die Eliten und der nationalen Interessen über die Globalisierung.