Die Regierung von Robert Fico hat den öffentlichrechtlichen Sender aufgelöst, um nach der Neugründung besser Einfluss nehmen zu können. Auch «andere Sichtweisen» sollen künftig zu Wort kommen, darunter abstruse Verschwörungstheorien.
Noch deutet praktisch nichts darauf hin, dass es den öffentlichrechtlichen Sender der Slowakei, RTVS, nicht mehr gibt. Aus der «umgekehrten Pyramide», einem der architektonischen Wahrzeichen der Hauptstadt Bratislava, werden seit bald vierzig Jahren diverse Radioprogramme ausgestrahlt. Das Logo am Eingang ist noch dasselbe, obwohl der Sender jetzt STVR heisst – Slowakisches Fernsehen und Radio anstatt Radio und Fernsehen der Slowakei. Einzig am ganz rechten Flügel einer Glastür, durch die man die Empfangshalle verlässt, klebt als Zeichen des Protests ein einem Verbotsschild nachempfundener Sticker. Umgeben von einem roten Kreis, stehen darauf «Zensur» und «Selbstzensur». Das soll in den Büros und Studios nicht zulässig sein.
Am 1. Juli ist das Gesetz in Kraft getreten, mit dem die slowakische Regierung RTVS aufgelöst hat. Am Vorabend um 22 Uhr unterschrieb der neue Staatspräsident Peter Pellegrini die Vorlage, und sie wurde sogleich im Amtsblatt publiziert, was üblicherweise ein paar Tage dauert. Als STVR wurde der Sender neu gegründet. Die alte Bezeichnung habe die Nation zu einer Region degradiert, erklärte die zuständige Kulturministerin Martina Simkovicova zur Namensänderung. Steuerrechtlich registriert wurde STVR aber noch nicht, und auch die Sendungen, Jingles, Websites und E-Mail-Adressen sind noch die alten.
Täglich muss eine Stunde die Nationalhymne gespielt werden
«Alles funktioniert, als ob sich nichts geändert hätte», sagt Sona Weissova, die seit 2009 für das öffentlichrechtliche Radio arbeitet. Einzig am Ende der Berichte stehe nun nach dem Namen des Journalisten Slowakisches Radio statt RTVS. Auch die Nationalhymne wird nachts noch nicht gespielt, wie es das neue Gesetz täglich für eine ganze Stunde zwischen 23 Uhr 30 und 0 Uhr 30 verlangt. «Wer soll sich das denn anhören?», fragt die 35-jährige Journalistin spöttisch.
Dennoch spüre man die Verunsicherung, erzählt Weissova. Seit dem Regierungswechsel im vergangenen Herbst sei das aus dem Staatshaushalt finanzierte Budget des Senders unklar und seit dem Beschluss der Reform im Frühling auch die künftige Führung. Deshalb wage niemand, Entscheidungen zu treffen. Sie selbst arbeitet als Teamleiterin im Auslandressort, aber weiss noch nicht, ob sie für die Wahlen im Herbst jemanden in die USA schicken kann. Mit der Auflösung von RTVS wurde die Amtszeit des früheren Generaldirektors Lubos Machaj beendet, die Nachfolge soll im Herbst bestimmt werden.
Machaj war erst 2022 ernannt worden, seine Amtszeit hätte noch bis 2027 gedauert. Nur der radikale Schritt einer Neugründung ermöglichte eine vorzeitige Absetzung. Der Politologe Radoslav Stefancik von der Wirtschaftsuniversität Bratislava sieht darin das eigentliche Ziel der Reform. Mit einer ihr genehmen Person an der Spitze hoffe die Regierung, die Berichterstattung unter ihre Kontrolle zu bringen, erklärt Stefancik.
Das ist in der Slowakei zwar üblich: Das 2011 mit der Zusammenlegung von Radio und Fernsehen entstandene RTVS hatte in seiner dreizehnjährigen Geschichte sechs Direktoren, die immer unter dem Einfluss der Politik standen. Dieser verstärkte sich noch, als vor einem Jahr durch die Vorgängerregierung die Finanzierung aus Gebühren durch eine aus dem Staatshaushalt ersetzt wurde. Anders als etwa in Tschechien werde der öffentlichrechtliche Sender in der Slowakei nicht als Eigentum der Gesellschaft gesehen, sagt Stefancik.
Doch der im Herbst wieder an die Macht gekommene Linkspopulist Robert Fico hat die Medien zu einem besonderen Gegner auserkoren –als «dreckige, antislowakische Huren» beschimpfte er Journalisten schon vor Jahren. Verschärft hat sich das noch, als der Investigativjournalist Jan Kuciak über korrupte Machenschaften bis ins Umfeld Ficos recherchierte und 2018 mutmasslich deswegen ermordet wurde. Der Regierungschef musste im Zuge der öffentlichen Empörung zurücktreten.
Kurz nach der Rückkehr in das Amt erklärte Fico im November den grössten Privatsender, TV Markiza, die Zeitung «SME» sowie die reichweitenstarken Nachrichtenportale Aktuality und Dennik N zu Feinden, die für ihren politischen Aktivismus zur Verantwortung gezogen werden müssten.
Eine solche Rhetorik bleibt nicht ohne Folgen. Die Chefredaktorin von «SME», Beata Balogova, erklärte kürzlich an einer Veranstaltung in Wien, jeden Morgen schwappten ihr Hassbotschaften und Todeswünsche entgegen, wenn sie ihren E-Mail-Account öffne. Der Redaktion stehe inzwischen ein rund um die Uhr erreichbarer Therapeut zur Verfügung. Viele Kollegen dächten darüber nach, den Beruf zu wechseln.
Sona Weissova will dagegen für die Medienfreiheit kämpfen, wie sie sagt. Sie war im Frühling eine der Initiantinnen eines offenen Briefs, in dem 1200 Mitarbeiter die Parlamentarier aufforderten, gegen die Reform von RTVS zu stimmen. Das sei ein grosser Erfolg gewesen, an zwei Streikaktionen beteiligten sich dagegen nur noch wenige Kollegen. Auch sie sorge sich um ihre Stelle und möge es eigentlich auch gar nicht, sich zu exponieren, sagt die Journalistin. Aber jemand müsse die Stimme erheben.
Kreml-Propaganda, Impfskepsis und Antiamerikanismus
Während unter Machaj grosse redaktionelle Unabhängigkeit geherrscht habe, habe sie unter seinem von einer Fico-Regierung ernannten Vorgänger viel politische Einflussnahme erlebt, erzählt Weissova. Ihr wurde etwa ein Bericht über die neue Rangliste zur Pressefreiheit untersagt, weil die Slowakei schlecht abgeschnitten hatte. Auch Skandale in der Regierung durften kaum thematisiert werden und ebenso wenig die Gefahr eines russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – so sei man auf den Überfall im Februar 2022 schlecht vorbereitet gewesen.
Ähnliche Vorgaben befürchtet Weissova auch für STVR, zumal die bei der Reform federführende Kulturministerin Simkovicova abstrusen Verschwörungstheorien anhängt. Die von der rechtsextremen Koalitionspartei SNS in die Regierung entsandte frühere Fernsehmoderatorin arbeitete viele Jahre für TV Markiza, bis sie wegen rassistischer und homophober Facebook-Postings entlassen wurde. Seither betreibt sie einen eigenen Desinformations-Kanal auf Youtube, der mit Kreml-Propaganda, Impfskepsis und Antiamerikanismus auffällt.
RTVS genoss regelmässig die höchsten Vertrauenswerte aller slowakischen Medien. Doch die Kulturministerin verlangt, der neue Sender müsse objektiver werden und auch «andere Sichtweisen» berücksichtigen. Es sollen etwa auch Vertreter zu Wort kommen, die glaubten, die Erde sei eine Scheibe, wie ihr Stabschef in einem Interview im April sagte. «Ist bewiesen, dass es nicht so ist?», fragte er. Der Putin-Bewunderer meint auch, eine «jüdische Mafia» wolle die Weltherrschaft übernehmen. Er gilt als einer der Kandidaten für den Chefposten im neuen Sender.
«Es ist bizarr. Wir wollen professionell arbeiten», sagt Sona Weissova dazu. Sie befürchtet eine «Orbanisierung» der Medien in der Slowakei – in Anspielung auf das Nachbarland, wo der öffentlichrechtliche Sender zu einem Propagandakanal verkommen ist. Tatsächlich deuten sich bereits Entwicklungen an, die an Ungarn erinnern. TV Markiza setzte etwa die populärste Polit-Talkshow des Landes, «Na Telo», vorerst ab, nachdem der Moderator auf Sendung von Druck sowohl des eigenen Managements als auch der Politik auf die Journalisten berichtet hatte.
Der Sender gehört dem tschechischen Investmentkonzern PPF, dessen Tochtergesellschaft das slowakische Mautsystem betreibt. Mit der Regierung will er es sich wohl nicht verscherzen. Die Führung von TV Markiza setzt deshalb mehr auf Unterhaltung als auf politische Berichterstattung.
Diese Selbstzensur privater Medien aus wirtschaftlichen Gründen bereitet dem Politologen Radoslav Stefancik denn auch Sorgen. Dennoch sieht er bedeutende Unterschiede zur Situation in Ungarn. Ficos Mehrheit im Parlament sei viel kleiner, und einer seiner Koalitionspartner positioniere sich eigentlich prodemokratisch. Zudem sei die Zivilgesellschaft immer noch stark. Weissova gibt indes zu bedenken, dass die Regierung in wenigen Monaten schon Änderungen angestossen hat, für die Viktor Orban in Ungarn Jahre brauchte.







