Vor fünfzig Jahren landeten türkische Truppen auf Zypern. Seither ist die Insel geteilt. Dass die Regierung in Ankara als Lösung des Konflikts die definitive Teilung der Insel propagiert, stösst auch im türkischen Norden auf Kritik.
Der Innenraum der Hala-Sultan-Moschee ist fast leer. Nur zwei Männer beten an diesem Nachmittag leise in einer Ecke des riesigen Kuppelbaus etwas ausserhalb von Nord-Nikosia, dem türkischen Teil der geteilten Hauptstadt der geteilten Insel Zypern. Platz böte das Gotteshaus für 3000 Gläubige.
«Komm am Freitag wieder. Dann ist hier mehr los», sagt Attila, einer der beiden Männer, als er sich nach dem Gebet die Schuhe anzieht. Der Freitag ist der heilige Tag der Muslime. Wer nur einmal die Woche in die Moschee geht, tut dies am Freitag zum Mittagsgebet.
Säkularer als die Türkei
Voll wird das Gotteshaus allerdings auch am Freitag nicht. Die sogenannte Türkische Republik Nordzypern, jenes Staatsgebilde im Norden der Insel, das ausser von der Türkei von keinem Land der Erde anerkannt wird, ist zwar in vieler Hinsicht eine Türkei im Kleinen.
Man spricht türkisch, kauft türkische Produkte und bezahlt mit türkischer Lira. Und natürlich sind die allermeisten der schätzungsweise 400 000 Bewohner Muslime. Dennoch gibt es Unterschiede zur Türkei, gerade bei der Religiosität. Die Gesellschaft ist deutlich säkularer als in der Türkei, erst recht, seitdem Präsident Recep Tayyip Erdogan den Islam ins öffentliche Leben zurückgeholt hat.
Der Umgang mit Alkohol ist in Nordzypern traditionell liberal, nur wenige Frauen tragen Kopftuch. Niyazi Kizilyürek, der bis zur Wahl im Juni der einzige türkischzypriotische Abgeordnete im Europaparlament war, bezeichnet seine Landsleute als die «säkularste islamische Volksgruppe der Welt». Das ist durchaus identitätsstiftend.
Ankara fördert das muslimische Leben auf Zypern
Doch viele Bewohner Nordzyperns sehen diese Identität in Gefahr, vor allem jene, die seit Generationen auf der Insel leben und nach fünfzig Jahren Teilung weiterhin auf eine Wiedervereinigung hoffen. Je ferner die Lösung des Konflikts, so die Sorge, desto schwieriger werde es, eine gewisse Eigenständigkeit zu behaupten.
Dabei geht es auch um die Hala-Sultan-Moschee. Das Gotteshaus wurde mit türkischen Geldern errichtet und 2018 von Erdogan eröffnet. Auch sonst unterstützt Ankara grosszügig das muslimische Leben auf der Insel. Koranschulen werden gebaut. Schulbücher kommen auf den Markt, in denen ein traditionelles Weltbild vermittelt wird.
Burak Mavis verfolgt dies mit Sorge. Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft in Nordzypern setzt sich gegen ideologische Einflussnahme auf den Unterricht zur Wehr. «Am Ende hat alles mit dem ungelösten Konflikt auf unserer Insel zu tun», sagt er. «Je länger dieser andauert, desto schwieriger wird es.»
Seit einem halben Jahrhundert geteilt
Am Samstag jährt sich die türkische Militärintervention auf Zypern zum 50. Mal. Das Obristenregime in Athen hatte am 15. Juli 1974 einen Putsch gegen Zyperns Präsidenten, Erzbischof Makarios, lanciert, um die Vereinigung der Insel mit Griechenland voranzutreiben. Fünf Tage später marschierten türkische Truppen auf der Insel ein. Angesichts des Putsches gab es eine gewisse Legitimation für das Eingreifen der Garantiemacht Türkei. Doch Ankara ging es nicht nur darum, den Status quo wiederherzustellen. Die türkischen Truppen lancierten eine zweite Offensive und eroberten 37 Prozent des zypriotischen Territoriums. Es kam zu Flucht und Vertreibungen auf beiden Seiten. Seither ist die Insel faktisch zweigeteilt, in einen türkischsprachigen Norden und einen griechischsprachigen Süden. Die Trennlinie verläuft mitten durch Nikosia, die letzte geteilte Stadt Europas. 1983 wurde im Norden die Türkische Republik Nordzypern ausgerufen. 2004 wurde die international anerkannte Republik Zypern Mitglied der EU. Alle Versuche, den Konflikt dauerhaft zu lösen, sind bisher gescheitert.
Gescheiterte Friedensbemühungen
Die letzte Initiative zur Lösung der Zypernfrage scheiterte 2017 in Crans-Montana. Die meisten Beobachter sind sich einig, dass vor allem auf griechischer Seite der Wille zum Durchbruch fehlte. Der frühere Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, sagte dies kürzlich auch in einem Interview. Im Norden argwöhnt man, dass es dem Süden an Anreiz fehle. Schliesslich sei die Republik Zypern ja schon EU-Mitglied.
Bereits 2004 war der Annan-Plan, der eine Wiedervereinigung im Rahmen eines föderalen Staates vorsah, im Norden angenommen worden, nicht aber im Süden. 2017 scheiterten die Verhandlungen von Crans-Montana unter anderem an der Frage der türkischen Militärpräsenz. Schätzungsweise 30 000 türkische Soldaten sind auf der Insel stationiert.
Ein anderer heikler Punkt betrifft jene Türken, die erst nach der Teilung auf die Insel kamen. Ankara siedelte bewusst Zehntausende Menschen aus Anatolien in Nordzypern an, die in der Mehrheit sehr konservativ eingestellt sind. Attila, der junge Mann in der Hala-Sultan-Moschee, stammt bezeichnenderweise auch vom Festland.
Welchen Status soll diese Bevölkerungsgruppe haben, die sich stärker mit der Türkei als mit der ethnisch gemischten Insel identifiziert? Das Misstrauen im Südteil der Insel ist gross, wie das Staatsbürgerschaftsrecht zeigt. Die international anerkannte Republik Zypern erhebt Anspruch auf das gesamte Territorium der Insel und betrachtet alle ursprünglichen Bewohner als Bürger. Das heisst, auch türkische Zyprioten können die Staatsbürgerschaft und damit einen EU-Pass beantragen, wenn ihre Familien bereits vor der Teilung auf der Insel lebten. Wer aber auch nur einen Elternteil vom türkischen Festland hat, bekommt den Pass nicht.
Der Anteil Zugezogener ist in den letzten Jahren stark angestiegen, wegen der vielen Universitäten in Nordzypern und dem Boom an der Küste, der neben Touristen auch Langzeitaufenthalter anlockt. Zudem gibt es auch weiterhin eine Emigration aus der Türkei. «Wir Türkischzyprioten werden zur Minderheit in der Minderheit», sagt Sami Özuslu, ein Oppositionspolitiker im nordzypriotischen Parlament. All das beeinflusse die Konfliktdynamik.
Kursänderung in Ankara
Vor allem aber hat sich Ankaras Position verändert. Präsident Recep Tayyip Erdogan trat anfänglich für eine Wiedervereinigung ein, auch aus Kalkül, um damit die eigenen Chancen auf einen EU-Beitritt zu verbessern. Die schleichende Entfremdung vom Westen, die nationalistische Verhärtung nach dem Putschversuch von 2016 und letztlich das Scheitern von Crans-Montana führten zu einer Kehrtwende.
Ankara unterstützt seither offen eine Zweistaatenlösung, also die definitive Teilung der Insel. Die Trennung vom Süden wird bewusst betont: symbolisch durch den Bau eines pompösen Regierungskomplexes, wirtschaftlich durch einen neuen, von einer türkischen Firma betriebenen Flughafen, kulturell durch die Religionspolitik. An einer zypriotischen Identität, die beide Landesteile umfasst, hat Ankara kein Interesse.
Am stärksten ist der Einfluss auf die Politik. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 übte die Türkei grossen Druck aus, um die Wahl des Erdogan-Getreuen Ersin Tatar sicherzustellen. Tatars Vorgänger Mustafa Akinci sprach von einer präzedenzlosen Einmischung aus Ankara.
Pressefreiheit gerät unter Druck
Politiker und Intellektuelle, die sich wie der Ex-Präsident Akinci weiterhin für eine Wiedervereinigung aussprechen, werden in Nordzypern zunehmend marginalisiert. «Auch die Pressefreiheit gerät unter Druck», sagt der Oppositionspolitiker Özuslu.
So schlimm wie in der Türkei sei die Lage zwar noch nicht. Doch werde die Medienlandschaft auch hier zunehmend von regierungsnahen Unternehmen dominiert, sagt Özuslu. «Unsere Regierung folgt dem Beispiel von Erdogans AK-Partei.»
Der Lehrergewerkschafter Burak Mavis spricht von einer Sandwichposition, in der sich die Türkischzyprioten wiederfänden. Die Griechen im Süden seien nicht kompromissbereit, und Ankara vereinnahme den Norden immer mehr. «Wir sind die grössten Verlierer des ungelösten Konflikts auf unserer Insel.»







