Die Sozialisten gewinnen zwar die Wahl in der Mittelmeerregion. Doch ein alter Bekannter hält nicht nur in Barcelona, sondern auch in Madrid den Schlüssel zur Regierung in seiner Hand.
Erstmals seit über zehn Jahren könnten die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien die absolute Mehrheit im Regionalparlament verlieren. Nach den ersten vom staatlichen Fernsehsender RTVE am Sonntagabend veröffentlichten Zahlen werden die Unabhängigkeitsbefürworter von der liberal-konservativen Partei Junts des im Exil lebenden Ex-Regionalpräsidenten Carles Puigdemont angeführt. Laut RTVE kommt Junts auf 35 Sitze, vor der ebenfalls separatistischen ERC des bisherigen Regionalpräsidenten Pere Aragonès mit 21 Sitzen. Selbst zusammen mit der linken Partei CUP und der als rechtsextrem geltenden Aliança Catalana könnten die Unabhängigkeitsbefürworter die absolute Mehrheit von 68 Sitzen im katalanischen Parlament aber verpassen.
Die Katalanen beschäftigt nicht nur die Unabhängigkeit
Zu wählerstärksten Partei avancierten die Sozialisten um ihren Spitzenkandidaten Salvador Illa mit 42 Sitzen. Dieser betonte im Wahlkampf stets, dass er den Unabhängigkeitsprozess hinter sich lassen und Katalonien in eine neue Ära führen wolle. Das von den Sozialisten vorangetriebene Amnestiegesetz, das den Organisatoren des verfassungswidrigen Referendums für die Unabhängigkeit Kataloniens vom 1. Oktober 2017 Straffreiheit zusichert, mache den Weg dafür frei.
Im Wahlkampf setzte Illa deshalb auch auf Themen jenseits der Abspaltung Kataloniens von Spanien. So konzentrierte er sich beispielsweise auf den Massentourismus in der Mittelmeerregion, die Wohnungsnot in den Städten und vor allem die Folgen des Klimawandels für Katalonien. Die Region leidet unter Dürre, so dass wiederholt drastische Massnahmen zur Rationierung von Wasser ergriffen werden müssen. Auch Probleme mit illegalen Hausbesetzungen, Migration und Kriminalität wurden im Wahlkampf breit diskutiert.
Nicht nur die Sozialisten, sondern auch andere Parteien reagierten damit darauf, dass immer mehr Katalanen der Debatte um die Unabhängigkeit ihrer Region von Spanien überdrüssig sind. Regelmässige Befragungen der katalanischen Bevölkerung zeigen, dass die Zahl der Befürworter eines unabhängigen Katalonien seit Anfang 2019 zurückgeht. Jüngst lehnten rund 51 Prozent der Befragten die Unabhängigkeit ab.
Barcelona und Madrid in den Händen Puigdemonts
Die Strategie der Sozialisten, mit der Amnestie für die Separatisten den Katalonien-Konflikt zu entspannen, auf andere Themen zu setzen und den Unabhängigkeitsbefürwortern so den Wind aus den Segeln zu nehmen, ging nur teilweise auf. Zwar legten die Sozialisten zu, und der Stimmenanteil der Separatisten sank, doch das Amnestiegesetz hat dem wohl prominentesten Exilpolitiker Spaniens zu einem Comeback verholfen. Carles Puigdemont wurde mit seiner Partei Junts per Catalunya bei der Wahl am Sonntag zur zweitstärksten Kraft hinter den Sozialisten.
Der 61-Jährige leitete den Wahlkampf seiner Partei aus Südfrankreich. Noch immer gibt es in Spanien einen Haftbefehl gegen ihn. Erst wenn das Amnestiegesetz voraussichtlich Anfang Juni in Kraft tritt, kann Puigdemont nach Spanien einreisen, ohne verhaftet zu werden. Der Exilpolitiker hatte vor der Wahl angekündigt, er wolle als Regierungschef nach Katalonien zurückkehren. Junts, ebenso wie die Linksrepublikaner von der ERC, hatte eine Koalition mit den Sozialisten um Salvador Illa ausgeschlossen. Zudem hat der Spitzenkandidat von Junts, Carles Puigdemont, damit gedroht, der Minderheitsregierung des Sozialisten Pedro Sánchez in Madrid die Unterstützung zu entziehen, falls in Barcelona eine Regionalregierung gebildet wird, die er nicht akzeptieren kann.
Im Verlauf der Wahlnacht zeichnete sich jedoch ab, dass das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter um Junts und die ERC die absolute Mehrheit im Parlament verpassen würde. Auch unter den verbleibenden Parteien zeichnete sich keine realistische Koalitionsmöglichkeit ab, die zu einer stabilen Regierungsmehrheit führen könnte. Einzig ein Bündnis zwischen den Sozialisten um Salvador Illa und Carles Puigdemonts Junts-Partei würde eine Mehrheit im katalanischen Parlament klar erreichen. Der Exilpolitiker hat damit einmal mehr den Schlüssel zu einer Regierungsbildung in Spanien in der Hand. Kommt sie nicht zustande, drohen Neuwahlen.