Der 33-Jährige könnte Bürgermeister von New York werden. Sein Aufstieg spiegelt die Entwicklung einer privilegierten Klasse, die sich ihr gutes Leben nicht mehr leisten kann. Und aus Angst vor dem sozialen Tod Selbstmord begeht.
New York ist ein Drecksloch. Sagt der Mann, der Bürgermeister von New York werden will. Jeder vierte New Yorker beklage sich bei seinem Vermieter über Mäuse oder Ratten, schreibt Zohran Mamdani auf seiner Website. Aber die Vermieter täten nichts. Allesamt Halsabschneider. Nicht nur wegen des Rattenbefalls sagt er ihnen den Kampf an.
«Cracking down on bad landlords», so nennt er das Wahlversprechen, das auf seiner Website weit oben steht. Konkret stellt der Jungpolitiker eine «aufgemotzte 311» in Aussicht. Bedeutet: Mamdani möchte die Service-Hotline ausbauen. Man ruft bei der Stadt einen Inspektor, der sich die mutmassliche Schrottimmobilie anschaut. Findet er etwas, wird der Vermieter zur Kasse gebeten. Und wenn er nicht spurt, gehört das Gebäude bald den Behörden.
Denn der Staat kann alles besser, davon ist der selbsterklärte Sozialist überzeugt. Enteignung ist nur eine Möglichkeit. Mieten einzufrieren, ist Mamdanis Hauptanliegen, Gratis-ÖV schwebt ihm auch vor. Supermärkte sind noch so ein Thema. Die Stadt soll Lebensmittelläden betreiben. «Food prices are out of control», konstatiert der Bewerber für das Bürgermeisteramt in der Acht-Millionen-Metropole. «City-owned grocery stores» würden die Lebensmittelkosten drücken, meint Mamdani. Wie, das muss er noch ausführen.
Weg mit den Reichen
Hinweise darauf, dass staatliche Lebensmittelgeschäfte keine so gute Idee sind, gibt es von der DDR bis zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Venezuela genug. Die «Washington Post» erinnert daran, dass der Detailhandel einer der kompetitivsten Märkte überhaupt ist. Die Gewinnmargen sind so klein, dass sogar der Logistikweltmeister Amazon Mühe hat, im Lebensmittelgeschäft auf einen grünen Zweig zu kommen. Dass es einem staatlichen Anbieter gelingen soll, tiefere Preise anzubieten, erschliesst sich nicht. Ausser natürlich, wenn er hemmungslos Verluste einfahren darf, da er komfortabel subventioniert wird.
So stellt sich das Mamdani vermutlich vor. Sein Rezept ist einfach: höhere Steuern für Reiche und Unternehmen. Umverteilen also. Ein Problem ergibt sich höchstens daraus, dass er gleichzeitig die Milliardäre aus der Welt schaffen möchte. «I don’t think we should have billionaires», antwortete er gegenüber NBC News auf die Frage, ob Milliardäre existieren dürften. Weg mit den Reichen. Aber sie sollen bezahlen. Es ist etwas verwirrend.
Doch davon lassen sich die Mamdani-Fans die Party nicht vermiesen. Über 430 000 New Yorker haben dem demokratischen Kandidaten bei den Vorwahlen ihre Stimme gegeben. Jetzt geht er im November als Favorit ins Rennen. Mit seiner Graswurzelbewegung liess der 33-Jährige den Konkurrenten Andrew Cuomo, 67, uralt aussehen. Und nicht zuletzt in Europa sind viele Medien in Ekstase.
Ein «Trump-sicheres» New York
«Der neue linke Star», schreibt «Die Zeit»: «Seine Gegner reagieren mit Panik. Kann er sich durchsetzen?» Auch laut den Tamedia-Zeitungen ist womöglich «das Rezept gegen Donald Trump gefunden». Alle sind hingerissen vom jugendlichen Elan des Sohnes indischstämmiger Einwanderer aus Uganda, der sich als Drachentöter empfiehlt. «Trump-Proofing NYC» nennt er ein Wahlversprechen auf seiner Website. Die Stadt «Trump-sicher» machen.
«You Don’t Mess with the Zohran»: Legt euch nicht mit Zohran an. So könnte man in Anlehnung an einen Film mit Adam Sandler sagen. Oder vielleicht besser nicht. Denn in der Komödie spielt Sandler einen israelischen Supersoldaten. Und auf Israel reagiert Mamdani allergisch. Kommt das Gespräch auf den jüdischen Staat, antwortet er mit «Genozid». «Globalize the Intifada» findet Mamdani als Schlachtruf auch nicht ganz verkehrt, wie er bei NBC erklärte. Seine Sprache sei das zwar nicht. Aber eine Anstiftung zur Gewalt will er im Begriff «Intifada» nicht erkennen.
Oder dann gilt der Boykottbewegung BDS seine volle Unterstützung. Jüngst bekräftigte er sie sogar bei einer Veranstaltung der UJA-Federation, der grössten Organisation, die sich für Juden weltweit (auch in Israel) einsetzt. Das hat Chuzpe, könnte man Mamdani attestieren. Oder der Mann ist einfach ein Opportunist.
New York hat die grösste jüdische Bevölkerung ausserhalb Israels. Offenkundig will es sich der Kandidat nicht komplett mit ihr verscherzen. Aber selbst am Morgen nach dem Massaker vom 7. Oktober brachte er es nicht über sich, die Hamas zu verurteilen. Stattdessen schrieb er in einem Beitrag auf X maximal unspezifisch, dass er um die Hunderte von Leuten trauere, «die in den vergangenen 36 Stunden in Israel und Palästina gestorben sind». Bevor er im nächsten Satz Netanyahus Kriegserklärung kritisierte.
Kein jüdischer Staat
Wenn er auf das Existenzrecht Israels angesprochen wird, eiert er herum. Ja, Israel dürfe auf der Landkarte bleiben. «Als jüdischer Staat?», hakt auf Fox News eine Moderatorin nach. Da wird’s schon schwammiger. Er fühle sich nicht wohl dabei, «einen Staat zu unterstützen, der eine Hierarchie der Bürgerrechte, basierend auf Religion oder sonst etwas, aufstellt». Wie es etwa um die Rechte von Juden oder auch Christen in islamischen Ländern bestellt ist, erörtert er nicht.
Denn wenn er etwas kann, dann ist es, grosse Töne von sich zu geben. Und sich auf Nachfrage als gemässigt zu präsentieren. Mit seinen Provokationen punktet er am linken Rand, mit den leiseren Voten beruhigt er Mitte-links.
Ob er wirklich mehrheitsfähig ist, muss sich noch weisen. In New York City gibt es rund 4,7 Millionen registrierte Wähler. Nicht einmal zehn Prozent von ihnen unterstützten Mamdani. Das Rennen ist nicht gelaufen. Medien, die ihn als Heilsbringer verklären, verraten ein ähnliches Wunschdenken wie damals, als sie Joe Biden gesund redeten.
Man sollte sich nichts vormachen: Mamdani ist der prototypische Jungsozialist, der in Identitätspolitik genauso geschult ist wie im Selbstmarketing auf Social Media. Er verkörpert genau die Linke, die durch ihre zunehmende, sich auf die Wokeness kaprizierende Weltfremdheit den Triumphzug der Trumpisten erst ermöglicht hat. Symptomatisch die Wahlparty, die die Democratic Socialists of America für Mamdani ausrichteten: «Trans rights = class fight» war das Motto. Ist der Kampf um Trans-Rechte der neue Klassenkampf? Was damit gemeint ist, erschliesst sich vermutlich nicht einmal dem Urheber des Spruchs. Ganz zu schweigen vom einfachen Arbeiter, der seine Anliegen nicht mehr repräsentiert sieht. Egal, ob in den USA oder in Europa, er läuft längst nach rechts über.
Die Tendenz zeigt sich auch in New York: Dass Mamdani bei den Reichen schlecht abschneiden würde, war klar. Keine Chance hatte er aber auch bei den Bedürftigen. Am meisten Stimmen erhielt er von Wählern in der Einkommensklasse von 75 000 bis 150 000 Dollar im Jahr.
Mamdani bedient die «laptop class». Die privilegierten jüngeren Leute mit guten Abschlüssen, die ihren schönen Job auch von unterwegs erledigen können – aber sich keine Wohnung leisten können, wenn sie nicht mindestens zwei Mitbewohner haben.
Aus Yuppies wurden Sozialisten
Der Politikwissenschafter Peter Turchin hat die These von einer «Überproduktion von Eliten» geprägt: Selbst die Sprösslinge der Privilegierten profitieren heutzutage nicht mehr so recht. Auch ein junger Gutverdiener kann sich in Städten wie New York kein Eigentum kaufen. Verunsicherung greift um sich bei der «professional-managerial class», wie sie die Soziologin Barbara Ehrenreich schon in den späten 1970er Jahren genannt hat.
Die Furcht vor dem Abstieg befeuert die Radikalität dieser urbanen Mittelklasse. Früher waren ihre Vertreter die Yuppies, die sich nach der Wirtschaftskrise in den 1970er Jahren gleichsam aus Trotz in der Dekadenz suhlten. Und Reagan wählten. Heute hängen sie Zohran Mamdanis seltsamer Staatsgläubigkeit nach, wie der Journalist River Page in «How the Yuppies Became Socialists» bei «The Free Press» analysiert. Der Impuls sei derselbe. Weil sie nicht mehr vorankommt, schädigt sich die Elite selbst. Es ist, als begingen die Privilegierten aus Angst vor dem sozialen Tod Selbstmord.
Sie haben alles, aber es bringt ihnen nicht viel. Mamdani weiss, wie das ist. Seine Mutter ist die sehr erfolgreiche indische Filmregisseurin Mira Nair («Monsoon Wedding»), sein Vater Professor an der Columbia-Universität. Doch trotz seiner vorteilhaften Herkunft hat Zohran Mamdani nach dem Collegeabschluss (er besuchte das Bowdoin College, eine der teuersten Universitäten der USA) schwer Tritt gefasst. Er ist in seinem Leben noch kaum einer Arbeit nachgegangen. Bevor er sich in der Politik versuchte, war sein Leistungsausweis eine erfolglose Karriere als Rapper in Uganda unter dem Namen Mr. Cardamom.
Man muss nicht gleich so giftig werden wie die rechtsextreme Influencerin Laura Loomer, die ihn ein Nepo-Baby schimpft, das im Zwei-Millionen-Dollar-Apartment seiner Mutter in Chelsea wohne. Aber wenn er die Wahl verlieren sollte, braucht man sich zumindest keine Sorgen um ihn zu machen. Von Ratten und Mäusen wird er verschont bleiben.