Die Amerikaner sprechen von einem Erfolg, während internationale Hilfsorganisationen Alarm schlagen.
Aus Sicht von Admiral Brad Cooper hätte die amerikanische Anlegestelle vor Gaza kein grösserer Erfolg sein können. Über den Pier habe ein «sehr hohes Volumen an Hilfsgütern» den Gazastreifen erreicht. Die maritime Mission sei erfolgreich beendet worden: «Es gibt nun keine Notwendigkeit für den Pier mehr», sagte der Admiral am Mittwoch zu Reportern in den USA.
Mit seinem Lob steht Cooper fast alleine da. Denn die Bilanz des Projekts ist dürftig. 230 Millionen Dollar gab die amerikanische Regierung für den schwimmenden Steg aus, der seit seiner Fertigstellung im Mai mehrmals wegen schlechter Witterungsverhältnisse repariert werden musste. Insgesamt war der temporäre Hafen nur 25 Tage in Betrieb, von Hilfsorganisationen wurde er wegen Sicherheitsbedenken nur etwa die Hälfte der Zeit genutzt. Laut dem amerikanischen Militär erreichten 9000 Tonnen an Hilfsgütern den Gazastreifen über den Anleger. Das entspricht etwa der Ladung von 425 Camions – so viele LKW erreichen den Gazastreifen derzeit laut israelischen Angaben an rund zwei Tagen.
Der amerikanische Pier war nur wenige Tage funktionstüchtig. Unter anderem zwischen dem 12. Juni (Bild links) und dem 15. Juni (Bild rechts) musste er für Reparaturarbeiten abgebaut werden.
Doch das heisst nicht, dass sich die Versorgungslage in dem zerstörten Küstenstreifen gebessert hat. Denn bei den Menschen kommen die Hilfsgüter oftmals nicht an.
Die Verteilung ist das grösste Problem
Am Montag veröffentlichten dreizehn internationale Hilfsorganisationen einen Brandbrief über die humanitäre Lage im Gazastreifen. Das grösste Problem sei die äusserst prekäre Sicherheitslage, die es nicht erlaube, die Hilfsgüter zu verteilen. Seit Israels Einmarsch in Rafah Anfang Mai ist zudem der Grenzübergang in der Stadt im Süden des Gazastreifens geschlossen. Vor dem Rafah-Übergang stauen sich derzeit über tausend Lastwagen. Die meisten Hilfsgüter kommen daher über den Grenzübergang Kerem Shalom im Südosten des Küstenstreifens.
Die Anzahl der Lastwagen, die den Gazastreifen erreichen, ist seit Mai stark zurückgegangen – und die gelieferten Güter können nur unzureichend verteilt werden. Bombardierungen, lange Kontrollen an Checkpoints, Treibstoffmangel und anhaltende israelische Militäroperationen sind laut im Gazastreifen tätigen Hilfsorganisationen die grössten Hindernisse, die eine effiziente Verteilung der Hilfsgüter verhindern. Der Krieg habe zudem zu einem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung geführt. Deshalb würden Hilfskonvois oft von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen geplündert.
Während die Verteilung im Süden schwierig sei, erreichten Hilfsgüter den Norden des Gazastreifens fast überhaupt nicht. Dort leidet ein Fünftel der Bevölkerung laut der Uno unter hungersnotähnlichen Zuständen. Obwohl Israel zwei Grenzübergänge im Norden geöffnet hat, passieren nur wenige LKW diese Route, da sie noch aufwendigere Kontrollen durchlaufen müssen. Zurzeit ist nur der neu geschaffene Übergang Erez-West in Betrieb. Beide Grenzübergänge im Norden waren ursprünglich nie für den Güterverkehr ausgelegt, weshalb nur wenige Lastwagen hinüberkommen.
Die Hilfsorganisationen merken an, dass die Anzahl der Lastwagen kein Indikator für die humanitäre Lage sei, da die Verteilung das primäre Problem darstelle. Doch selbst wenn allein die Anzahl der Lastwagen als Gradmesser für die Versorgungslage genommen wird, zeigt sich, dass diese katastrophal bleibt. Gemäss der israelischen Regierungsbehörde Cogat erreichten zwischen Kriegsbeginn und dem 9. Juli 41 050 Lastwagen den Gazastreifen. Durchschnittlich kommen seit dem 7. Oktober somit pro Monat weniger als halb so viele Lastwagen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Gaza wie noch vor Kriegsbeginn. Damals waren die Lebensbedingungen in dem abgeschnittenen Küstenstreifen ebenfalls prekär, doch es herrschte weitaus weniger Not.
Der Pier konnte keine Abhilfe schaffen
An der grundlegenden Problematik – der Verteilung und der unzureichenden Menge an Hilfsgütern – konnte der amerikanische Pier vor der Küste Gazas nichts ändern. Der amerikanische Anleger wird nun durch einen Pier in der südisraelischen Hafenstadt Ashdod ersetzt, über den Hilfsgüter angeliefert werden sollen. Das kündigte Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant am Mittwochabend an. Gallant liess allerdings offen, wann dieser Hafen funktionstüchtig sein wird und wie die Hilfsgüter anschliessend den Gazastreifen erreichen sollen.







