Kann diese «Frida»-Dokumentation, bei dem ganzen Kahlo-Kult, noch etwas Neues bieten?
Der Kult, der sich um Frida Kahlo rankt, ist masslos: Filme, Bücher, Ausstellungen handeln von ihrem Leben. Die Kulturindustrie produziert zahlreiche Produkte um ihre Person: Murals, Fridamojis, Augenbrauenstifte, Frida-Barbie. Kahlo wird als Künstlerin, Mexikanerin, Kommunistin, Surrealistin, Frauenrechtlerin verehrt.
Wenn Amazon Prime einen weiteren «Frida»-Film veröffentlicht, ist die Frage unvermeidlich: Was kann dieser noch Neues bieten?
Als die gleichnamige Hollywood-Verfilmung ihres Lebens 2002 in die Kinos kam, wurde Kahlo schlagartig einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Doch der Film hätte ihr wohl nicht gefallen. Die mexikanisch-amerikanische Schauspielerin Salma Hayek sprach als Titelfigur Englisch. Das hätte Kahlo verabscheut, wo sie doch die Gringos immer so gehasst habe, schrieb die mexikanische Zeitung «Reforma» damals in einer Filmkritik.
«Komplett enttäuscht von den berühmten Vereinigten Staaten» war Kahlo, als sie ihren Ehemann, den Künstler Diego Rivera, 1931 erstmals nach New York begleitete. Die New Yorker empfand sie als arrogant und prätentiös. Sie kritisierte die kapitalistischen Auswüchse der USA. Ausgerechnet diese Geschäftemacherei brachte Kahlo nach dem Tod den Ruhm ein, auf den sie ihr Leben lang vergeblich gewartet hatte.
Intime Einblicke in Kahlos Gefühlsleben
Die abermals «Frida» betitelte Doku von Carla Gutiérrez, die kürzlich bei Amazon Prime erschienen ist, überrascht tatsächlich mit einer neuen Perspektive. Statt dass Schauspielerinnen, Kunsthistoriker und Künstler ihr Leben und Werk interpretieren und erklären, spricht Kahlo in eigenen Worten.
Das heisst über intime Auszüge aus ihrem illustrierten Tagebuch, aus Briefen, Essays und gedruckten Interviews. Berührend werden sie von der mexikanischen Schauspielerin Fernanda Echevarría del Rivero auf Spanisch gelesen, mit englischen Untertiteln. Kahlo wird dabei nicht von der Schauspielerin personifiziert, die Stimme spricht aus dem Hintergrund.
Die aus den Schriften rekonstruierte Erzählstimme Kahlos spricht offen über ihr turbulentes Leben. Sie erinnert sich an ihre aufmüpfige Kindheit in Mexiko, in der sie sich bereits gegen die patriarchalische Gesellschaft stellte. Sie kleidete sich etwa wie die Jungen in Anzüge.
Sie spricht auch über das Busunglück im Alter von 18 Jahren, bei dem sich eine Stahlstange durch ihr Becken bohrte: «Es war nicht gewalttätig, es war still. Es ist eine Lüge, dass man weint. Ich hatte keine Tränen.» Sie erzählt von den Schmerzen, die sie fortan begleiten, von der Verzweiflung darüber, ans Bett gefesselt zu sein, «gefangen allein mit meiner Seele».
In Briefen an ihre Liebschaften, Männer wie Frauen, ist ihre Stimme verführerisch und leidenschaftlich. Die Tagebucheinträge über ihren Mann Diego Rivera sind einmal liebevoll und bewundernd, dann wieder eifersüchtig, gekränkt und zweifelnd: «Du liebst mich doch ein wenig. Oder nicht?» Kahlo stand nicht nur im Schatten von Rivera, der damals der grosse Künstler war, er war ihr auch ständig untreu.
Erschütternd ist eine Stelle, in der sie darüber nachdenkt, ob sie ihre Schwangerschaft abbrechen soll oder nicht. Die sonst so scharfzüngige Kahlo wirkt zerbrechlich, wenn sie sich fragt, ob ihr angeschlagener Körper eine Geburt durchsteht: «Ich bezweifle, dass das Baby gesund sein würde.» Sie überlegt, wie sich ein Kind auf die Beziehung mit Rivera auswirken könnte. Sie spricht über den Arzt, der ihr von einer Abtreibung abrät, weil sie illegal wäre. Kahlo entscheidet sich für das Kind, freut sich darauf und wird durch eine Fehlgeburt niedergeschmettert.
Animierte Gemälde
Kahlo, die für ihre Selbstbildnisse bekannt ist, sagte: «Ich male mich, weil ich sehr viel Zeit alleine verbringe und weil ich das Motiv bin, das ich am besten kenne.» Die Porträts seien der ehrlichste Ausdruck ihrer selbst.
Ähnlich einem Gang durch ein Museum zeigt «Frida» zur erzählenden Stimme im Off eine Montage von Gemälden von Kahlo und Archivmaterial aus der Zeit. Beispielsweise eine Schwarz-Weiss-Aufnahme des Busunfalls.
So kommt man Kahlos innerer Welt auch visuell näher. Das Zusammenspiel von persönlichem Text, eigenen Kunstwerken, Fotos und Videos von Kahlo verstärkt die emotionale Resonanz und macht den Film zu einer Art Selbstporträt der Künstlerin.
Gemächlich schreitet man voran, verweilt bei bestimmten Kunstwerken, um sie bis ins Detail zu studieren. Denn die Gemälde sind liebevoll animiert. Die Eingriffe stehen zwar im Widerspruch zur Authentizität, die der Film vermitteln will. Sie sind aber minim, so dass die Animation nicht ins Kitschige kippt und das Werk zu stark verändert wird: Eine Mücke bewegt ihre Flügel, Blätter wiegen sich, Tränen laufen der gemalten Frida über das Gesicht.
Die Bewegungsimpulse fügen Lebendigkeit hinzu und heben schon dagewesene Details in der Kunst hervor, die verdeutlichen, wie stark die Gemälde Ausdruck von Kahlos gelebten Erfahrungen und Emotionen sind. In «Die zerbrochene Säule» etwa, einem ihrer berühmtesten Bilder, zerbröckelt die Wirbelsäule von Kahlo, die als griechische Säule darstellt wird, die Nägel bohren sich in ihr Gesicht: «Ich zerbrach in tausend Stücke», sagt Kahlos Erzählstimme.
Viel Neues erfährt man in «Frida» nicht. Indem Gutiérrez Kahlo aber selbst sprechen lässt, hebt sie die Ikone der Pop-Kultur vom Podest, auf dem sie durch all die Waren und den Kommerz zu stehen kam. «Frida» zeigt Kahlo als Frau mit alltäglichen Problemen und Gefühlen, nahbar, sensibel, lebensfroh und trotzig gegenüber dem Schicksal. Die Frage bleibt, wie nah man der echten Frida Kahlo damit wirklich kommt.