Die neue britische Regierung will die Migrationskrise im Ärmelkanal bekämpfen – und sucht eine neue Vereinbarung mit Paris und Brüssel.
Der prächtige Blenheim Palace in der Nähe von Oxford gehört zu den bekanntesten Schlössern Englands. Erbaut wurde er im 18. Jahrhundert für den ersten Herzog von Marlborough, dessen Nachfahre Winston Churchill hier im Jahr 1874 das Licht der Welt erblickte. Am Donnerstag stellte der Palast eine ebenso imposante wie symbolhafte Kulisse für Keir Starmers Feuerprobe auf dem diplomatischen Parkett dar. Der seit zwei Wochen amtierende britische Premierminister hatte zum Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPC) geladen, jenem gesamteuropäischen Forum, dem sowohl Mitglieder wie Nichtmitglieder der Europäischen Union angehören.
«Nicht Teil der EU, aber Europas»
Starmer nutzte seine Eröffnungsrede, um nach den Brexit-Streitigkeiten die Wiederannäherung Grossbritanniens an den europäischen Kontinent zu proklamieren. «Wir sind nicht Teil der EU, aber sehr wohl Teil Europas», erklärte er. Mit Blick auf den russischen Imperialismus und womöglich auch auf die Unsicherheit über den künftigen Kurs Washingtons betonte er, über Europa braue sich ein Sturm zusammen.
Starmer unterstrich nicht nur seinen Willen, mit der EU einen Sicherheitspakt abzuschliessen. Im Gegensatz zur konservativen Vorgängerregierung bekannte er sich auch zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – mit dem Verweis auf Churchill, der für Freiheit und Demokratie gekämpft und zu den wichtigsten Architekten der EMRK gehört habe.
Initiiert hatte die EPC der französische Präsident Emmanuel Macron 2022 mit der Idee, die europäische Wertegemeinschaft angesichts der russischen Aggressionspolitik über die starren Strukturen der EU hinaus zu stärken und zu erweitern. Teil der der EPC sind daher neben Grossbritannien, Norwegen oder der Schweiz auch die Ukraine und Länder des Westbalkans.
Amherd hofft auf neue Konferenz
Starmer sass bei der Eröffnung neben dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, dem er auch nach dem Machtwechsel in London die unerschütterliche britische Unterstützung im Krieg gegen Russland zusicherte. Neue militärische Zusagen gab es von den 43 an der Konferenz vertretenen Staats- und Regierungschefs nicht. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte aber, dass das neue Kommando zur Koordinierung der westlichen Militärhilfen im September einsatzbereit sein werde.
Diese Botschaften waren für Selenski umso wichtiger, nachdem in den USA Donald Trump mit J. D. Vance einen Isolationisten zum Vizepräsidentschaftskandidaten erkoren hatte und die Zukunft der amerikanischen Militärhilfen ungewiss scheint. Der ukrainische Präsident setzte auf Durchhalteparolen und betonte, Putin sei es weder gelungen, die Europäer zu spalten, noch den ukrainischen Widerstand zu brechen. Zudem bedankte er sich bei der Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd für die Ausrichtung der Konferenz auf dem Bürgenstock und erklärte, es liefen Vorbereitungen für eine Nachfolge-Konferenz.
Amherd war von den Briten eingeladen worden, nach Starmer und Selenski als Dritte das Wort zu ergreifen. Sie erklärte, die Bürgenstock-Erklärung sei auf grosses Interesse gestossen, und die Schweiz versuche, auch mit Skeptikern des Prozesses das Gespräch zu suchen und diese Länder an Bord zu holen.
Starmer wünscht Migrationskooperation
Eine von der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni präsidierte Arbeitsgruppe befasste sich mit der Migration. Auch Starmer nahm an diesen Gesprächen teil, da er dringend nach Möglichkeiten sucht, um der irregulären Einwanderung Einhalt zu gebieten. Bis Mitte Juli des laufenden Jahres hatten gut 14 000 Migranten in Booten den Ärmelkanal überquert – hält der Trend an, könnte die irreguläre Migration 2024 einen neuen Rekordwert erreichen.
Starmer hat den nie in die Praxis umgesetzten Plan seines Vorgängers Rishi Sunak beerdigt, Asylsuchende nach Rwanda auszuschaffen. Teil des am Mittwoch von König Charles III. verlesenen Regierungsprogramms ist dafür ein Gesetz zur Schaffung einer verstärkten Grenzwache. Im Blenheim Palace äusserte Starmer den Willen, mit den Europäern eine Migrationspartnerschaft zur Zusammenarbeit der Grenzbehörden abzuschliessen. «Wir müssen unsere Ressourcen vereinen, um die Schlepper-Routen zu schliessen und die Banden zu zerstören», erklärte er.
Beim Wunsch nach mehr Kooperation bei der Bekämpfung von Schlepperbanden stiess Starmer auf Gehör. Allerdings prüft er laut britischen Medien auch eine Vereinbarung mit der EU, wonach Frankreich die nach England gelangten Migranten konsequent wieder zurücknähme. Im Gegenzug könnte sich London bereit erklären, eine gewisse Zahl von Asylsuchenden aus der EU aufzunehmen. Starmer betonte vor den Medien aber, sein Land werde an keinem EU-Programm zur Verteilung von Asylsuchenden teilnehmen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron gab sich zurückhaltend und sagte, es gebe in der Migrationskrise «kein Patentrezept».







