Donald Trump war am Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft naturgemäss nicht dabei – und doch omnipräsent. Der Kontinent müsse enger zusammenrücken, so der Tenor.
Viktor Orban hatte schon immer einen Sinn für den aufsehenerregenden Auftritt. Budapest ist voll von pittoresken Gebäuden, in denen das Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPC) hätte abgehalten werden können. Der ungarische Ministerpräsident aber entschied sich, die 42 Staats- und Regierungschefs – darunter die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd – sowie die Vertreter von europäischen Gemeinschaften und Organisationen in die Puskas-Arena am Stadtrand zu bitten. Zwar sassen dort keine 67 000 Fussballfans, aber die Bilder waren gleichwohl ungewöhnlicher und darum einprägsamer als auf einer Marmortreppe im Regierungspalast.
Der notorische Gambler Orban war dabei vom Glück gesegnet: Es wäre gut möglich gewesen, dass das Resultat der US-Wahlen am Donnerstag noch nicht festgestanden hätte. Dass am Abend zuvor gleich auch noch die Regierung in der grössten Volkswirtschaft Europas implodieren könnte, war erst recht unvorhersehbar. So aber waren – zumindest bei den informellen Gesprächen zwischen den Leadern – die beiden wichtigsten Gesprächsthemen für diesen fünften Gipfel der EPC gesetzt und die Aufmerksamkeit maximal: Wie muss sich Europa auf Trumps Rückkehr ins Weisse Haus vorbereiten? Und was bedeutet die deutsche Regierungskrise für den Kontinent?
Dass mit Ausnahme von Orban und seinen wenigen Verbündeten praktisch alle europäischen Regierungen auf einen anderen Ausgang der US-Wahlen gehofft hatten, ist kein Geheimnis. Zu unberechenbar ist Trump 2.0. Nun aber bemühten sie sich merklich, kaum mehr ein kritisches Wort über den Republikaner zu verlieren.
Deutschlands Krise nicht dramatisiert
«Ich freue mich, mit ihm zusammenzuarbeiten und unsere enge Bindung weiter zu festigen», sagte etwa die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen. Nato-Generalsekretär Mark Rutte wollte Trump ungefragt und zum wiederholten Male «herzlich gratulieren». Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani sagte, sie sei «nicht beunruhigt, ganz im Gegenteil». Trumps Wahl sei eine Gelegenheit, die Beziehung weiterzuentwickeln. Am skeptischsten zeigte sich noch der luxemburgische Premierminister Luc Frieden: Der frisch gewählte US-Präsident sei ja bekannt für «eine gewisse Unvorhersehbarkeit und Sprunghaftigkeit», aber genau deshalb brauche es Dialog.
Auch die Regierungskrise in Deutschland, immerhin dem wirtschaftlichen Motor der EU, wollte niemand über Gebühr dramatisieren. Tenor der EPC, die im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ins Leben gerufen wurde: Demokratien unterlägen Zyklen, was in Berlin geschehe, sei ein Prozess, wie er immer wieder einmal vorkomme. Der luxemburgische Premierminister bemerkte immerhin spitz, dass es derzeit in sämtlichen Nachbarstaaten seines Landes – Deutschland, Frankreich, Belgien – keine stabile Regierung gebe. Für die Entschlussfähigkeit in geopolitisch schwierigen Zeiten sei dies kein gutes Signal.
Europa braucht mehr Autonomie
Zahlreiche europäische Regierungsvorsteher betonten, dass Trumps Wahl in Europa zu einem Umdenken führen sollte. Der Kontinent müsse zusammenrücken, sich auf seine Stärken besinnen und selbstbewusst auftreten – ähnlich wie damals nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Der vehementeste Verfechter dieser Lesart ist der französische Präsident Emmanuel Macron. Gerade in der Sicherheitspolitik oder bei technologischen Fragen brauche der Kontinent mehr Autonomie und dürfe seine Verantwortung nicht einfach an die USA delegieren.
Dies gilt notabene in Bezug auf die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine, weil unklar ist, wie aktiv die USA künftig noch sein werden. In Bezug auf Russlands aggressives Gebaren sagte Macron, dass die Welt aus Pflanzen- und Fleischfressern bestehe. Das bedeute, dass man geeignete Verteidigungskapazitäten aufbauen müsse. «Ich will nicht, dass Europa ein Paradies für Pflanzenfresser wird, die einfach so von den Fleischfressern geschluckt werden», sagte er mit gewohntem Pathos.
Orban will Frieden – aber zu welchem Preis?
Auch der Gastgeber Orban sprach über den Ukraine-Krieg und dessen Folgen – wie gewohnt allerdings aus einer ganz anderen Perspektive. Wegen seiner Nähe zu Russland liegt er seit Jahren über Kreuz mit den meisten anderen Staaten Europas. Orban will am Gipfeltreffen vernommen haben, dass eine «wachsende Zahl» von Ländern auf ein baldiges Ende des Konflikts dränge.
Der Punkt ist allerdings: Zu welchem Preis? Anlässlich der abschliessenden Pressekonferenz sagte der ungarische Ministerpräsident, dass dies die falsche Frage sei, und wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äussern, ob die Ukraine einen Teil ihres Staatsgebiets abzugeben hätte. In einem ersten Schritt sei wichtig, dass es zu einem baldigen Waffenstillstand komme. Die Verhandlungen über einen Frieden folgten danach.
Viel lieber als über den Ukraine-Krieg sprach er ohnehin über sein Lieblingsthema: die illegale Migration. Orban nutzte die Gelegenheit, vor Hunderten angereisten Journalisten gegen die europäischen Institutionen – insbesondere den Europäischen Gerichtshof, der Ungarn wegen dessen Asylpolitik kürzlich verurteilt hat – vom Leder zu ziehen. «Wir müssen gegen den bürokratischen Dschungel revoltieren», rief er in den Saal, dass man es fast noch auf den Zuschauerrängen des Puskas-Stadions gehört hätte.