Als 1970 in Osaka die Expo eröffnet wurde, vibrierte Japan vor Aufregung: Das lange vom Krieg geschwundene Land setzte auf Fortschritt, wollte sich der Welt öffnen und von der Welt gesehen werden.
Statt 5000 nur 30 Jahre. Ein kleines Kofferradio, ein Haushaltsbuch, Getreide- und Gemüsesamen, chirurgische Instrumente, ein Tonband mit Pop-Musik und vieles andere mehr: Eine Zeitkapsel mit zahlreichen Objekten wurde 1971 neben dem Schloss von Osaka vergraben, um in 5000 Jahren über das Leben damals Auskunft zu geben. Anlass war die Weltausstellung von 1970 dortselbst, an der sich 77 Länder beteiligten und deren 64 Millionen Besucher alle Erwartungen übertrafen. Im Nachklang also die Zeitkapsel, um diesen Triumph und Zeugnisse der Gegenwart in die Zukunft zu tragen.
Allein, bis zum Jahr 6970 wollten nicht alle warten. Im April 2000 wurde die Zeitkapsel zum ersten Mal exhumiert und der Inhalt inspiziert. Diejenigen, die das taten, waren von den Fortschritten im Laufe dieser 30 Jahre zutiefst beeindruckt, vergruben die Kapsel erneut mit der Ankündigung, dass sie 2100 wieder in Augenschein genommen werden solle.
Inzwischen sind wieder 25 Jahre vergangen, und die nächste Osaka-Expo steht vor der Tür. Am 13. April 2025 wird sie eröffnet. Wie hat sich die Stadt, wie Japan in der Zwischenzeit verändert? «Fortschritt und Harmonie für die Menschheit» hiess das optimistische Motto 1970.
13 Jahre länger leben
Zeichen des Fortschritts kann man unschwer finden. 1970 fuhr der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen auf einer Strecke von rund 500 Kilometern zwischen Tokio und Osaka; heute umfasst das Netz mehr als 3000 Kilometer. Auf der Expo wurde ein Prototyp des Mobiltelefons gezeigt, sogar zum Ausprobieren. Heute beträgt die Verbreitung dieser Instrumente in der japanischen Bevölkerung 154 Prozent. Manche nennen das Fortschritt.
Links: Der ultramoderne Shinkansen, 1970. Rechts: Ein Visiophon in Osaka.
Weniger kontrovers ist die Steigerung der Lebenserwartung: 72 Jahre 1970, heute sage und schreibe 13 Jahre länger, 85. Die Kindersterblichkeit ist abgesehen von ein paar kleinen Stadtstaaten die niedrigste der Welt. Gleichzeitig ist die Bevölkerung Japans von 103 auf 123 Millionen angewachsen, obwohl die Geburtenrate von 2,1 auf 1,3 gesunken ist. Extreme soziale Alterung bedeutet das. 1970 zählte man im ganzen Land rund 500 Hundertjährige; heute sind es 90 000, die helfen, Japan zum ältesten Land der Welt zu machen. Unvermeidlich daher, wenn auch nicht populär, der Anstieg der ausländischen Bevölkerung. Kein Vergleich mit den westeuropäischen Einwanderungsländern, aber immerhin von 710 000 auf 3,5 Millionen.
Andere Fortschritte betreffen die Umwelt. 1970 war Wirtschaftswachstum wichtiger als alles andere und schien mit Umweltschutz nicht vereinbar zu sein. Die Luftverschmutzung japanischer Grossstädte machte international Schlagzeilen. In Tokio durften Polizisten im stickigen Hochsommer an Kreuzungen nur eine Stunde Dienst tun, da sie sonst umfielen. 1972 veröffentlichte die Regierung dann das erste «Umweltweissbuch».
Ein Luftkurort ist Tokio auch heute nicht, aber dank drastischen Massnahmen ist die Luft so sauber, wie sie in einer Stadt dieser Grössenordnung sein kann, nach dem World Air Quality Report sauberer als in Paris, New York, Kopenhagen, Amsterdam, Berlin oder Barcelona, von Städten wie Delhi, Karachi, Schanghai und Shenzhen ganz zu schweigen.
Wie steht es mit dem anderen Teil des Leitspruchs von 1970, Harmonie für die Menschheit? Ein frommer Wunsch nach wie vor. Vielleicht weil das so offensichtlich ist, bezieht sich das Expo-Motto 2025 nicht einmal andeutungsweise auf politische Verhältnisse. Es verspricht uns nur, dass wir dort «Zeugen einer neuen Zukunft» werden. War die Zukunft je nicht neu? Ähnlich inspirierend ist der ganze Werbetext: «Tanzen. Springen. Hüpfen. Deshalb leben wir. Neue Wissenschaft und Technologie werden Ihr Herz zum Tanzen bringen. Unterhaltung wird Sie vor Aufregung hüpfen lassen. Kunst und Kreativität werden Sie bewegen und inspirieren.»
Ob das ebenso viele Besucher inspirieren wird wie 1970, lässt sich vorab nicht sagen, gewisse Unterschiede springen aber ins Auge. 1970 vibrierte das ganze Land vor Aufregung. Die Expo war die erste in einem asiatischen Land, und Japan war stolz, die Welt zu Gast zu haben. Endlich liess man die Nachkriegszeit hinter sich. Touristen waren willkommen, und dies nicht nur, weil sie Geld ins Land brachten. Heute ist der Massentourismus vielen vor allem lästig.
Wen kümmert Tanzen?
1970 war Japan durch den Aufschwung des Wiederaufbaus ebenso wie Westdeutschland zu einer der grössten Volkswirtschaften der Welt geworden. Auch die japanische Kultur erfreute sich weltweit zunehmender Beliebtheit, was aber noch keine Selbstverständlichkeit war. Wie Sushi: damals ein Geheimtipp, heute ein kulinarischer Genuss rund um den Globus. Die Expo war eine grosse Chance für das Renommee Japans in der Welt. Daran denken heute sehr viel weniger Menschen: Tanzen, Springen, Hüpfen – wen kümmert das?!
Japan ist saturiert. Daran hat man sich gewöhnt, und eine ganze Generation ist in diesem Bewusstsein aufgewachsen. Aber, und das ist ein grosses Aber, auf der Weltrangliste der Staatsverschuldung pro Kopf rangiert Japan dank der demografischen Entwicklung auf dem stolzen Platz 1 (dreimal so hoch wie in Griechenland, doppelt so hoch wie in Deutschland).
Da muss etwas geschehen. Wer zahlt die Renten nicht nur der Hundertjährigen? 30 Prozent der Bevölkerung sind über 65. Die Automatisierung von Produktionsvorgängen ist in Japan zwar weit fortgeschritten, und auf der Expo soll gezeigt werden, wie «das Leben durch Technologie unterstützt und von Technologie gestaltet wird». Ob das zur Reduktion der Staatsschulden beitragen wird, ist jedoch eine offene Frage. Vorläufig ist keine Entspannung in Sicht. Kann die Expo 2025 da von Nutzen sein?
Wie 1970 findet sie wieder in Osaka statt, Japans zweitgrösster Stadt; das Ausstellungsgelände ist aber nicht dasselbe wie damals. 1970 war es in Suita, einem Vorort im Norden der Stadt. Die Pavillons der teilnehmenden Länder und japanischen Firmen wurden fast alle abgerissen. Übrig geblieben ist nur der «Turm der Sonne» von Taro Okamoto, das imposante Wahrzeichen der Weltausstellung, in einem weitläufigen Park mit vielen Freizeitanlagen. Hier will niemand noch einmal eine Expo haben.
Kontrastprogramm 2025 deshalb: Den neuen Ausstellungsort gab es 1970 noch nicht, denn er ist eine künstliche Insel. Platzmangel auf den engen Küstenstreifen herrscht in Japan überall. Da es Osaka an Entsorgungsplätzen für Bauschutt und Abfall mangelte, wurde 1991 damit begonnen, zu diesem Zweck in der Bucht vor der Stadt eine Insel aufzuschütten.
In der realen Welt
Als sie 2018 den Zuschlag für die Expo 2025 bekam, wurde die Insel weiter ausgebaut und erhielt den schönen Namen Yumeshima, die «Insel der Träume». Die Regierung investierte dann viele Milliarden in die Träume, um einen riesigen Resortkomplex mit Fährhafen, Hotels, Museum, Einkaufszentrum und Konferenzhallen entstehen zu lassen. Expo auf der Müllhalde, auch ein Zeichen der Zeit. Von der dadurch bewirkten Stimulierung der Wirtschaft sowie der Stärkung kleiner und mittlerer Unternehmen erhoffen sich die Regierung in Tokio und die Stadt Osaka Wachstumsimpulse, die weit über die Region hinausgehen.
Helfen soll dabei noch eine Besonderheit, die manche Expo-Gegner als einen Stein des Anstosses betrachten. Auf der Insel der Träume wird es ein Spielkasino geben.
Glücksspiel war in Japan bisher verboten. Ausnahmen waren Wetten bei Pferde- und Motorboot-Rennen. Kasinos gab es nicht, jedenfalls keine legalen. Aber warum sollen reiche, spielversessene Japanerinnen und Japaner nach Macau, Singapur oder in die Philippinen reisen, um ihr Geld zu verschleudern, statt zu Hause zu helfen, die Staatskasse aufzufüllen?
Diese Frage bringen manche Politiker schon lange immer wieder auf die Tagesordnung. Gleichzeitig mit dem Beginn der Vorbereitungen für die Expo setzten sie sich endlich mit einem Gesetzentwurf durch, der dafür zugelassenen Unternehmen das Glücksspiel an bestimmten Standorten erlaubt. Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bürger dagegen ist, aber es sollen hier ja nicht nur die eigenen Betuchten zur Kasse gebeten werden, sondern auch wohlhabende Touristen. Das hoffen jedenfalls die Kasino-Befürworter.
Die Expo, so heisst es im offiziellen Werbetext, «wird ein Ort werden, der vor Lebensfreude strotzt und wo unterschiedlichste Persönlichkeiten zusammenkommen und voller Aufregung Beziehungen anknüpfen».
Von Vorfreude darauf ist in Japan heute freilich wenig zu spüren. Fragt man die Menschen danach, antworten sie gelangweilt: «Ach ja . . .», oder sie sagen, dass es wichtigere Probleme gebe. Sich über neue Technologien zu informieren und Menschen aus aller Welt zu begegnen, waren 1970 Gründe, die Expo zu besuchen. Heute werden wissenschaftliche und technische Neuerungen praktisch täglich online bekannt gemacht oder aktualisiert. Die Insel der Träume in der Offline-Welt ist dafür kaum ein Anziehungspunkt. Tatsächlich wirbt die Expo selber damit, dass Besucher sich die Ausstellung als ihr eigener Avatar auf der für sie eingerichteten visuellen Website ansehen können.
Also Tanzen, Springen, Hüpfen? Haben Weltausstellungen im digitalen Zeitalter noch einen Platz?