Der Impfskeptiker geht zwar gegen den Masernausbruch vor, aber lässt zugleich die Schädlichkeit von Impfstoffen untersuchen. In der Heilmittelkontrolle FDA gab es Massenentlassungen – und einen Eklat.
Seit Monaten verbreiten sich die Masern in den USA. Anfang April ist in der texanischen Stadt Lubbock ein Mädchen an der Krankheit gestorben. Die Achtjährige war nicht geimpft. Bereits Ende Februar fiel in derselben Stadt ein Kind der höchst ansteckenden Viruserkrankung zum Opfer; es handelte sich um die erste Masernerkrankung mit Todesfolge in den USA seit zehn Jahren. Anfang März starb im benachbarten Gliedstaat New Mexico ein erwachsener Patient. Der gegenwärtige Masernausbruch mit insgesamt 640 bekannten Fällen in 22 Gliedstaaten bewegt auch den umstrittenen Gesundheitsminister Robert F. Kennedy zum Umdenken.
Kennedy ist ein erklärter Impfskeptiker, der immer wieder faktenfreie Behauptungen über die Schädlichkeit von Impfungen in Umlauf setzt. Er war Vorsitzender der Nonprofit-Organisation Children’s Health Defense, die juristisch gegen die Impfpflicht vorgeht. Die NGO erlebte während der Corona-Pandemie, die Kennedy als Teil einer weltweiten Verschwörung sah, einen Boom.
In den USA besteht prinzipiell eine Pflicht zur Impfung gegen Masern, aber es ist relativ einfach, aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen von ihr befreit zu werden. Entsprechend liegt die Impfrate zum Beispiel in einigen Countys in Texas unter 70 Prozent. Auch das verstorbene Mädchen lebte in einem dieser Gebiete.
Überraschende Impfempfehlung
Nach dem ersten Masern-Todesfall spielte Kennedy den Ausbruch noch herunter und nannte Impfungen eine «persönliche Entscheidung». Doch nun sagte er gegenüber dem Sender Fox News: «Impfstoffe schützen nicht nur einzelne Kinder vor Masern, sondern tragen auch zur Immunität der Gemeinschaft bei und schützen diejenigen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können.»
Die Aussage erzürnte seine Fans und sorgte für einen «Shitstorm» in den sozialen Netzwerken. Aber Kennedy doppelte auf X nach, wo er postete, er habe die Familie des verstorbenen Mädchens in Lubbock besucht, um sie zu trösten; auch hier fügte er an, der Kombinationsimpfstoff gegen Mumps-Masern-Röteln (MMR) sei die wirksamste Massnahme gegen die Ausbreitung der Krankheit.
Der Zickzackkurs des 71-jährigen Ministers verwirrt. So behauptet er seit Jahren, Impfungen seien verantwortlich für eine wachsende Zahl an Autismus-betroffenen Kindern in den USA. Für diesen Zusammenhang gibt es keine wissenschaftlichen Belege. In Interviews verwies er auf die «natürliche Immunität», die man durch die Infektion mit Masern erlange und die nachhaltiger als diejenige durch eine Impfung sei. Auch diese Behauptung ist nicht durch die Forschung gedeckt. Er empfahl die Einnahme von Lebertran und Vitamin A, um das Immunsystem bei einer Maserninfektion zu stärken. Der Ratschlag führte in einigen Fällen zu einer gesundheitsschädlichen Überdosierung des Vitamins bei Kindern.
Hin und Her bei Kündigungen
Dasselbe Hin und Her legt Kennedy auch bei den Kündigungen an den Tag. Wie in vielen anderen Behörden wurde auch im Gesundheitsministerium massenhaft Personal entlassen. Bisher betrafen die Kündigungen etwa 10 000 Mitarbeiter, 10 000 weitere Kündigungen stehen laut Kennedy bevor.
Durch die Reduzierung des Personals von 82 000 auf 62 000 sollen jährlich 1,8 Milliarden Dollar eingespart werden, heisst es in einer Mitteilung des Ministeriums. Die Streichungen seien gemeinsam mit dem Effizienz-Gremium (Doge) des Tech-Milliardärs Elon Musk ausgearbeitet worden. Nun erklärte Kennedy jedoch, ein Fünftel der Entlassungen sei ein Fehler gewesen. Tausenden sei «aus Versehen» gekündigt worden.
«Personal, das nicht hätte abgebaut werden dürfen, wurde abgebaut», sagte Kennedy gegenüber Journalisten. «Wir stellen sie wieder ein. Das war immer der Plan: dass wir 80 Prozent der Stellen abbauen, aber 20 Prozent wieder einstellen müssen, weil wir Fehler machen.» Er gab aber auch zu, dass aufgrund der Entlassungen irrtümlich unter anderem ein Programm geschlossen worden sei, das die Bleibelastung bei Kindern überwache. Es werde nun wieder eingeführt, «glaube» er.
Ein hoher Beamter wurde gedrängt, Fake-Daten zu liefern
Durch die «Restrukturierung» des Gesundheitsministeriums mit den Tausenden von Entlassungen will Kennedy mehr Mittel für die Prävention chronischer Krankheiten frei machen. Tatsächlich wurden jedoch seit Kennedys Amtsantritt zahlreiche Programme zu Diabetes, Übergewicht, Nierenleiden und Demenz gestoppt. Und von seinem Programm gegen schädliche Nahrungsmittelzusätze und generell ungesundes Essen hat er bis jetzt wenig Konkretes umgesetzt. Dabei hatte er damit während seines Nominierungsprozesses auch viele Demokraten für sich eingenommen. Geblieben ist davon vor allem sein Slogan «Make America Healthy Again», in Anlehnung an Trumps «Make America Great Again».
Auch bei der essenziell wichtigen Arzneimittelbehörde FDA kam es zu Massenentlassungen. Sie kontrolliert die Zulassung von Medikamenten in den USA, was auch für Heilmittelkontrollen in Ländern wie der Schweiz relevant ist. Der prominenteste und beunruhigendste Abgang bei der FDA ist derjenige von Peter Marks, dem Chef der Zulassungsstelle für Impfstoffe. Gegenüber dem «Wall Street Journal» sagte Marks, er habe sich geweigert, wissenschaftlich nicht belegbare Daten zur Gefährlichkeit der Masernimpfung zu erstellen. Konkret habe man von ihm Belege zu Hirnschwellungen und Todesfällen verlangt. Er habe Kennedys Team vergeblich zu erklären versucht, dass solche Fälle schlicht nicht existierten. Als Wissenschafter könne er nicht «Verschwörungstheorien legitimieren».
Dafür hat Kennedy kürzlich David Geier, einen bekannten Impfkritiker, eingestellt, der angebliche Zusammenhänge zwischen Impfungen und Autismus erforschen soll. Geier wurde 2012 verurteilt, weil er ohne Zulassung mit seinem Vater, einem Arzt, praktizierte. Dem Vater selbst wurde die Bewilligung später entzogen.
Kennedy setzt sich laut Marks auch für eine Zulassung von Stammzellentherapien ein, deren Risiken noch kaum untersucht wurden. «Was sie versuchen, ist potenziell gefährlich», sagte Marks gegenüber dem «Wall Street Journal». Fehlerhaft hergestellte Stammzellen könnten Menschen ernsthaft schaden.
Gefährliche Ideen zur Vogelgrippe
Für Aufsehen sorgen auch Kennedys Empfehlungen zur Vogelgrippe. Er wirbt gegenwärtig für seine Idee, die Ausbreitung der Krankheit nicht mehr durch Keulung von Hühnern zu stoppen; stattdessen solle man die Ansteckungen einfach fortschreiten lassen, um zu schauen, welche Hühner überleben und warum sie über eine natürliche Immunität verfügten. Experten verwerfen die Idee als gefährlich, weil man dem Virus dadurch unzählige Möglichkeiten gebe, zu mutieren.
Kurz: Kennedys Eintreten für Scharlatane, abstruse Theorien und gefährliche Therapien ist riskant, und seine gelegentlichen Rückzieher sind unglaubwürdig. Trotz seinem kürzlichen Plädoyer für die Masernimpfung sitzt seine Skepsis gegenüber Impfungen und der Schulmedizin tief. Am selben Tag, an dem er die Impfempfehlung postete, schob er später am Abend ebenfalls auf X ein Loblied auf zwei Medikamente nach, die laut übereinstimmender Ansicht der Ärzte bei Masern völlig nutzlos sind.