Der Schritt erfolgt offensichtlich aus politischen und nicht aus militärischen Gründen. Israels Ministerpräsident will sein Kabinett auf Linie bringen, geht damit aber grosse Risiken ein.
Es ist ein Entscheid, der sich schon seit einigen Wochen angebahnt hat: Doch Benjamin Netanyahu hätte sich wohl keinen besseren Moment aussuchen können, um seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant zu entlassen. Einerseits schaut in diesen Tagen die halbe Welt auf die Präsidentschaftswahl in den USA – da verkommt eine israelische Personalie zur Randnotiz.
Andererseits ist Netanyahu in den vergangenen Tagen innenpolitisch unter Druck geraten. So wurde einer seiner Mitarbeiter verhaftet, weil er verdächtigt wird, systematisch geheime Armee-Unterlagen an die Presse geleakt zu haben, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Zudem wurde am Dienstag bekannt, dass die israelische Polizei mutmassliche «kriminelle Vorfälle» untersucht, die sich offenbar in den ersten Kriegswochen abspielten – laut Medienberichten soll Netanyahu versucht haben, Sitzungsprotokolle abzuändern, um die damaligen Geschehnisse zu verschleiern.
Für Netanyahu, diesen Meister der Ablenkungsmanöver und politischen Winkelzüge, kommt der Aufruhr um Gallants Entlassung also ganz gelegen. Vor allem aber hat er sich mit Gallant seines grössten Kritikers in der Regierung entledigt und mit dem bisherigen Aussenminister Israel Katz einen bedingungslos loyalen Nachfolger installiert. Aus Netanyahus Sicht mag das durchaus Sinn ergeben. Doch er beweist damit ein weiteres Mal, dass er seine eigenen Interessen über jene des Landes stellt. Das ist grundsätzlich keine neue Erkenntnis – nun aber riskiert Netanyahu deutlich mehr als in der Vergangenheit.
Gallant traf Netanyahus wunde Punkte
Yoav Gallant war ein unbequemer Verteidigungsminister; einer, der sich nicht scheute, Netanyahu öffentlich zu widersprechen, wenn dieser sein nie genau definiertes Mantra des «totalen Sieges» verbreitete. Im Gegensatz zu Netanyahu war Gallant sehr berechenbar – vor allem, weil er eisern an seinen Prinzipien festhielt. Der abgesetzte Verteidigungsminister sprach sich primär für drei Dinge aus: ein Abkommen mit der Hamas zur Rettung der Geiseln, den Armeedienst für ultraorthodoxe Männer sowie eine lückenlose Aufarbeitung der Versäumnisse, die zum Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 geführt hatten.
Dies sind legitime Forderungen – die jedoch Netanyahus wunde Punkte trafen. Der Ministerpräsident hat nie Verantwortung für das Versagen am 7. Oktober übernommen und weigert sich, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Ein Waffenstillstand mit der Hamas hat für ihn keine Priorität, da ihn seine rechtsextremen Koalitionspartner unter Druck setzen, die lieber heute als morgen wieder jüdische Siedlungen im Gazastreifen errichten würden. Und auch die Dienstpflicht für Ultraorthodoxe will Netanyahu verhindern, weil er auf die streng religiösen Parteien angewiesen ist. Dass die Armee dringend Soldaten braucht, kümmert ihn kaum.
Netanyahu ist ein Gefangener seiner Koalition: Er ist dazu verdammt, die Partikularinteressen seiner Regierungspartner zu erfüllen – die freilich eine Minderheit der israelischen Bevölkerung repräsentieren –, um seine eigene Macht zu sichern. Damit schwächt er nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Israel, sondern spielt auch fahrlässig mit der nationalen Sicherheit.
Es drohen Konflikte mit der Generalität
In einer Zeit, in der Israel in einen langwierigen Mehrfrontenkrieg verwickelt ist und mit einem dritten iranischen Angriff rechnen muss, ist die Auswechslung des Verteidigungsministers ein waghalsiges Unterfangen – zumal sie offensichtlich nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen erfolgt ist. Der ehemalige General Gallant übte sein Amt äusserst pflichtbewusst aus und genoss das Vertrauen der Armeeführung und der Truppe. Sein Nachfolger hingegen verfügt kaum über militärische Erfahrung. Konflikte mit der Generalität sind programmiert.
Doch auch die Massenproteste gegen Gallants Entlassung werden Netanyahu wohl nicht umstimmen. Der politische Überlebenskünstler wird auch diese Episode aussitzen und dann weiter gegen seine Kritiker vorgehen. Er scheint sich einen «safe space» der Konformität schaffen zu wollen, in dem abweichende Meinungen keinen Platz haben. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist ein zielgerichtetes und lösungsorientiertes Management des Krieges, der so bald wohl nicht enden wird.