1971 erkämpfte Bangladesh seine Unabhängigkeit von Pakistan. Die Nachkommen der Freiheitskämpfer werden heute noch bevorzugt. Für sie gibt es eine Quote bei der Vergabe von Staatsjobs. Dagegen wehren sich nun die Studenten.
In Bangladesh sorgt eine Quotenregelung zur Vergabe von Staatsjobs für heftigen Streit. In der Hauptstadt Dhaka und anderen Städten kam es an den Universitäten zu blutigen Auseinandersetzungen, als Gegner und Befürworter der Quote mit Knüppeln, Macheten und Steinen aufeinander losgingen. Allein am Dienstag gab es bei Strassenschlachten mindestens sechs Tote und Tausende Verletzte. Die Regierung von Premierministerin Sheikh Hasina schloss die Universitäten und Schulen und entsandte die Grenzpolizei, um für Ruhe zu sorgen.
Bei dem Streit geht es um eine umstrittene Quotenregelung, die 30 Prozent aller Stellen im Staatsdienst für die Kinder und Enkel von Freiheitskämpfern reserviert. Die Quote wurde 1972 eingeführt – ein Jahr nachdem Bangladesh seine Unabhängigkeit von Pakistan erkämpft hatte. Nach Protesten von Studenten schaffte die Regierung von Sheikh Hasina die Regelung 2018 ab. Anfang Juni urteilte ein Gericht aber, dass dieser Entscheid illegal gewesen sei.
Das Oberste Gericht bestätigte dieses Urteil vor zwei Wochen. Seither gibt es Proteste in Dhaka, die sich inzwischen auch auf andere Städte ausgeweitet haben. Die Demonstranten wehren sich gegen die Wiedereinführung der Quote und fordern, dass nicht Herkunft, sondern Leistung den Ausschlag bei Bewerbungen geben soll. Jüngst nahmen die Proteste immer gewaltsamere Züge an, da die Befürworter der Quote mit Knüppeln auf die Gegner losgingen.
Die Demonstranten fühlen sich verunglimpft
An der Universität Dhaka verprügelten Mitglieder der militanten Studentenorganisation Bangladesh Chhatra League die Demonstranten, wobei sie selbst vor Frauen nicht haltmachten. Die Chhatra League ist der Studentenflügel der regierenden Awami League von Sheikh Hasina. Die 1948 von Hasinas Vater Sheikh Mujibur Rahman gegründete Organisation ist schon oft wegen ihrer Brutalität in die Kritik geraten. Ihr werden zahlreiche Morde und Vergewaltigungen vorgeworfen. Oft agiert sie als Schlägertruppe der Regierungspartei.
Da die Awami League 1971 führend am Kampf für die Unabhängigkeit Bangladeshs beteiligt war, kommt die Quotenregelung vor allem ihren Anhängern zugute. Viele Studenten empfinden es als unfair, dass die Enkel von Freiheitskämpfern bevorzugt werden, während sie selbst trotz harter Arbeit und besserer Qualifikation das Nachsehen haben. Die Stellen im Staatsdienst sind hart umkämpft, da sie mehr Sicherheit versprechen als Jobs in der Privatwirtschaft.
Sheikh Hasina heizte die Proteste kürzlich noch an, als sie die Gegner der Quotenregelung mit Razakars gleichsetzte. Die Razakars waren eine Miliz, die im Unabhängigkeitskrieg 1971 die pakistanische Armee gegen die Freiheitskämpfer unterstützte. Heute ist «Razakar» in Bangladesh ein Schimpfwort, es bedeutet so viel wie «Verräter». Die Demonstranten fühlen sich verunglimpft und betonen, sie seien keine Verräter, bloss weil sie die Quotenregelung ablehnten.
Die Universitäten setzen den Unterricht aus
In Dhaka und anderen Städten setzten sich die Demonstranten mit Steinen gegen die Attacken der Chhatra League zur Wehr. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein, um die beiden Seiten auseinanderzubringen. Angesichts der Eskalation der Gewalt kündigten mehrere Universitäten an, ihren Campus zu schliessen, doch besetzten die Studenten aus Protest diverse Universitätsgebäude.
Inzwischen ziehen die Proteste sogar international Kreise. Ein Sprecher des Uno-Generalsekretärs Antonio Guterres rief die Regierung von Sheikh Hasina am Dienstag auf, das Recht der Studenten auf Protest zu schützen. Die 76-Jährige war im Januar für eine fünfte Amtszeit gewählt worden. Allerdings boykottierten die wichtigsten Oppositionsparteien die Wahl. Ihre Gegner werfen ihr schon seit Jahren vor, die Opposition zu unterdrücken und Bangladesh in eine Autokratie zu verwandeln.
Der schon lange schwelende Unmut über Sheikh Hasinas autoritäre Regierungsweise, die hohe Inflation und die Arbeitslosigkeit heizt die Proteste nun zusätzlich an. Wie in anderen Ländern Südasiens gibt es in Bangladesh viel zu wenig Arbeitsstellen für Universitätsabsolventen. Die florierende Textilindustrie hat zwar in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Stellen geschaffen, doch sind es meist Jobs für einfache Arbeiter. Wenn nun ein Grossteil der staatlichen Stellen wieder für Enkel von Freiheitskämpfern reserviert wird, verschärft dies die Lage noch.