Weniger Einwanderung, eine andere Klimapolitik, Kürzungen im öffentlichen Dienst und bei der Entwicklungshilfe: Die Koalition der vier Rechtsparteien in Den Haag hat sich viel vorgenommen. Wer das Kabinett anführen wird, ist noch offen.
«Die Niederlande sind ein wunderschönes Land. Ein Land, auf das man stolz sein kann. Wir müssen hart arbeiten, um das Vertrauen der Niederländer zu gewinnen. Jeden Tag aufs Neue.»
Wer die ersten Sätze des Rahmenabkommens liest, das sich die vier Koalitionspartner in Den Haag gegeben haben, mag noch nicht erkennen, dass den Niederlanden ein politisches Experiment der Sonderklasse bevorsteht.
«Asylkrise» soll ausgerufen werden
Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wird mit der Partij voor de Vrijheid (PVV) des Islam-Gegners Geert Wilders eine Partei vom rechten Rand an der Macht beteiligt sein. Auch wird erstmals kein Parteichef die nächste Regierung anführen, die zur Hälfte aus Politikern und zur Hälfte aus Technokraten bestehen soll.
Nach sechs Monaten zäher Verhandlungen gaben Wilders, der klare Wahlsieger vom November, und die drei anderen Protagonisten – die Liberalkonservative Dilan Yesilgöz, der Zentrist Pieter Omtzigt und die Chefin der Bauernbewegung Caroline van der Plas – am Mittwoch bekannt, sich geeinigt zu haben. Nur wer den Posten des Ministerpräsidenten erhalten soll, war am Donnerstag noch offen. In Den Haag zirkuliert der Name des Wilders freundlich zugeneigten Sozialdemokraten Ronald Plasterk.
Dafür steht das Regierungsprogramm fest, und dieses hat es in sich. Geplant sind unter anderem eine radikale Wende in der Asyl- und Migrationspolitik, Steuererleichterungen für die Mittelschicht, eine Lockerung der harten Regeln für die Landwirtschaft, der Bau von vier neuen Atomkraftwerken, Kürzungen im öffentlichen Dienst und bei der Entwicklungshilfe.
Gerade einmal 26 Seiten lang ist die Vereinbarung, die den Titel «Hoffnung, Mut und Stolz» trägt und grob die Ziele der Koalition skizziert. Dabei sticht das Thema Migration besonders hervor. Die vier Parteien rufen eine «Asylkrise» aus und wollen ein «vorübergehendes Asylkrisengesetz» einführen. Dieses sieht vor, dass die Bearbeitung von Asylanträgen ausgesetzt werden kann, Menschen ohne Aufenthaltsrecht in den allermeisten Fällen ausgeschafft werden können und Einschränkungen beim Asylstatus, beim Familiennachzug sowie bei der Vergabe von Sozialwohnungen möglich werden.
Die Einwanderungsbestimmungen der EU, auf die sich die 27 Staaten gerade erst geeinigt haben, will man mit einer Ausstiegsklausel umgehen. Grenzkontrollen sollen verschärft werden. Zudem soll die Arbeitsmigration über eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit eingedämmt und schliesslich auch die Zahl ausländischer Studenten an niederländischen Universitäten reduziert werden.
Die Massnahmen tragen deutlich die Handschrift Wilders’, der freilich nicht im Kabinett sitzen wird. Zwar musste der PVV-Chef während der Koalitionsverhandlungen auch Federn lassen, etwa bei seinen radikalen Anti-Islam-Positionen oder dem Versprechen, das Land über den EU-Austritt abstimmen zu lassen. In einer gesonderten Stellungnahme hatte er den anderen Parteien die Achtung der Grundrechte versprechen müssen. Über das «strengste Asylregime aller Zeiten» aber freute sich Wilders am Mittwochabend gegenüber der Presse sichtlich.
Ein weiterer Schwerpunkt der Regierung wird die «Existenzsicherung» sein, die vor allem dem früheren Christlichdemokraten Omtzigt am Herzen liegt. So sollen sich die Bürger ab dem nächsten Jahr über eine Senkung der Einkommensteuer, mehr Kindergeld und eine Halbierung des Selbstbehalts im Gesundheitswesen freuen dürfen.
Wieder Tempo 130 auf der Autobahn
Eine Kehrtwende soll es auch in der Klima- und Stickstoff-Politik geben, die der Vorgängerregierung ein wichtiges Anliegen war, aber zu wütenden Bauernprotesten geführt hatte. Zwar bekennt sich die Koalition weiterhin zu den internationalen Klimazielen. Auf die geplante Zwangsenteignung von Landwirten und eine Reduzierung des Viehbestandes soll aber verzichtet werden. Auf den Autobahnen soll statt Tempo 100 wieder 130 gelten. Mit der Steigerung der Offshore-Erdgasförderung und dem Ausbau der Stromproduktion von Atomkraftwerken will man schliesslich die Energiesicherheit gewährleisten.
Finanziert werden sollen die Steuersenkungen und die höheren Sozialausgaben über Einschnitte im öffentlichen Dienst (1 Milliarde Euro) und bei der Entwicklungszusammenarbeit (2,4 Milliarden Euro). Die Unterstützung für den öffentlichrechtlichen Rundfunk soll um 100 Millionen Euro jährlich gekürzt werden. Auch will man mit Brüssel über niedrigere Beiträge zum gemeinsamen Haushalt sprechen.
Hat das «Kabinett der Hoffnung», wie sich die Partner selber nennen, eine Zukunft? Reibereien gab es in den vergangenen Monaten viele, am Misstrauen zwischen Omtzigt und Wilders drohten die Gespräche mehrfach zu scheitern. Als Abgeordneter und PVV-Chef wird Wilders auch im Hintergrund weiter Strippen ziehen. Ob er dabei wie früher auf Provokationen setzt oder sich staatsmännisch gibt, bleibt abzuwarten. Und auch im Verhältnis zur EU, die auf Vertragstreue pochen wird, sind Konflikte programmiert. Das am weitesten rechts stehende Kabinett, das die Niederlande je hatte, ist ein Experiment mit offenem Ausgang.