Benedict Cumberbatch sucht als abgewirtschafteter Puppenspieler nach seinem verschwundenen Sohn. Eine zottelige Kreatur hilft ihm. Das ist im besten Sinne ungeheuer.
Eric ist gross, zottelig und blau. Er ist ein Monster, ein Riesenplüschtier, ein Freund, ein Feind. Für die einen existiert er nur als Marionette, ohne Herz und Verstand. Für den abgerockten Fernseh-Puppenspieler Vincent (Benedict Cumberbatch) wird er hingegen zu einem imaginären Gefährten, der ihm so real und lebendig erscheint wie schon lange nichts mehr.
Der zynische Egozentriker ist der kreative Kopf hinter der Kids-TV-Show «Good Day Sunshine», in der er die Puppen spielen lässt. Unter Kindern ist Vincent ein Star. Aber die Einschaltquoten der Sendung sinken. Dem «Sesamstrasse»-ähnlichen Format droht das Aus.
Als dann auch noch sein Sohn Edgar (Ivan Morris Howe) vermisst wird, verliert Vincent den Verstand. Der Neunjährige ist verschwunden, seit Vincent ihn nach einem Streit beim Frühstück alleine zur Schule geschickt hat. Angekommen ist er dort nie. Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf.
In seiner Verzweiflung beginnt Vincent, eine neue Puppe namens Eric zu schneidern. Edgar hatte die Figur für seinen Vater erfunden, als Skizze auf dem Papier. Nun ist Vincent überzeugt, dass er Edgar nur mit Erics Hilfe zur Rückkehr nach Hause bewegen kann. Seine Frau Cassie (Gaby Hoffmann) erklärt ihn daraufhin für völlig verrückt. Sie weiss: Vincent ist Alkoholiker, destruktiv und voller absurder Ideen.
New York ist ein Moloch
«Eric» ist eine Thriller-Serie mit einer aussergewöhnlichen Titelfigur. Die Puppe aus Filz und Pappmaché redet bald auf Vincent ein, als ein in der Verzweiflung abgespaltener Teil seiner Persönlichkeit. Aber wie passt ein vorlautes Kuschelmonster in einen düsteren Krimiplot, der sich um ein so ernstes Thema wie mutmassliche Kindesentführung oder Schlimmeres dreht?
Die Ausgangsidee der Drehbuchautorin Abi Morgan ist gewagt. Immerhin ist die Gemengelage auch ohne Eric kompliziert genug. Am schmerzhaften Verlust des Jungen zerbrechen nicht nur Vincents Ehe, seine Karriere und er selbst, sondern gefühlt die ganze Stadt.
Dieses New York Mitte der 1980er Jahre ist ein Moloch. Dreckige Strassen, Graffiti, Gewalt und Obdachlosigkeit überall. Es ist ein Zerrbild der Metropole, das dem Gotham City aus Todd Phillips’ «Joker» gleicht. Auch hier hat die Stadt nicht nur ein Müllproblem. Steigende Kriminalitätsraten und soziale Wohnungsnot machen den Behörden ungleich mehr zu schaffen als Ratten im Klo.
Der Knotenpunkt, an dem sich Edgars Schicksal, Vincents geistiger Verfall und die aufgeladene Stimmung in der Stadt überschneiden, ist der NYPD-Detective Michael Ledroit (McKinley Belcher III). Der leitende Ermittler ist ein engagierter, aufrichtiger Polizist in einem bis ins Mark korrupten System. Mit dem offenen Rassismus, der ihn umgibt, hat der schwarze, verschlossene Mann längst umzugehen gelernt. Aber dass er sich zu Hause hingebungsvoll um seinen sterbenden Partner kümmert, hält er vor der Welt streng geheim.
Mit Edgars Verschwinden kocht zudem der Fall eines anderen vermissten Jungen wieder hoch. Dessen Mutter (Adepero Oduye) stemmt sich hartnäckig gegen das Vergessen. Sie besteht darauf, dass ihrem schwarzen Sohn in der Öffentlichkeit endlich die gleiche Aufmerksamkeit gebührt.
In dieses Klima voller Unterdrückung, Wut, Homophobie und Traumata platzt Eric mit enormer Wucht und ungenierter Selbstverständlichkeit. Das massige Zotteltier wird Vincents unberechenbarer Komplize, ist sein schlechtes Gewissen und seine letzte Hoffnung zugleich.
Störenfried und Projektionsfläche
«Die richtigen Monster sind nicht unter dem Bett», sagt Vincent einmal. Die Serienschöpferin Morgan bringt in der Netflix-Serie die Macht des Bösen zum Vorschein, und Benedict Cumberbatch kämpft mit aller darstellerischen Kraft gegen innere und äussere Dämonen an.
Die zentrale Spannung um Edgars Verbleib löst sich relativ früh auf. Trotzdem bleibt die Serie ausgesprochen sehenswert, was nicht nur an Cumberbatch liegt. Sondern auch an Gaby Hoffmann, deren Cassie das Gegenteil von Vincent ist: eine Frau, die sich behaupten kann und sich der Realität stellt.
Und der Titelheld Eric? Ist Störenfried und Projektionsfläche in einem. Aber Morgan übertreibt es nicht. Sie weiss, was ihr Monster kann und zum Ausdruck bringen soll: dass nämlich kaum etwas ungeheurer ist, als sich mit dem eigenen Ich auseinanderzusetzen. Das bringt «Eric» eindrücklich auf den Punkt.