Wladimir Putin, Kim Jong Un, Xi Jinping: Weltweit sind skrupellose Autokraten verantwortlich für Krieg und Gewalt. Um sie zu verstehen, werden Vergleiche bemüht: mit Hitler, Stalin, Mao. Aber was verbindet die Verbrecher der Gegenwart mit den Despoten der Geschichte?
Sie sind wieder da: Despoten, die über Leichen gehen, Autokraten, deren Macht auf dem Schrecken beruht, den sie verbreiten. Wladimir Putin ist einer, Kim Jong Un auch. Xi Jinping ebenfalls. Und sie sind nicht die Einzigen. Die Skrupellosigkeit, mit der sie herrschen, macht Angst. Wenn von ihnen die Rede ist, sind Vergleiche nicht weit: Hitler, Mao Zedong, Iwan der Schreckliche, Nero. «Was Putin mit Hitler verbindet», titelte «Die Zeit» nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. «Nordkoreas Diktator mordet nach dem Vorbild Stalins», schrieb das Nachrichtenmagazin «Focus», als Kim Jong Un vor ein paar Jahren bei einer «Säuberungsaktion» vierzehn seiner Generäle hinrichten liess.
Solche Vergleiche werden rasch inflationär. Und beliebig. Es geht nicht mehr um Analyse, sondern entweder um Effekthascherei oder um politische Diffamierung. Etwa, wenn sich der «Guardian» allen Ernstes fragt, was Trump und Hitler gemeinsam hätten. Oder der Westdeutsche Rundfunk Björn Höckes Reden mit denen von Joseph Goebbels vergleicht. Natürlich kann man sich fragen, wie viel NSDAP in der AfD steckt. Nur darf man über der Suche nach Gemeinsamkeiten das Trennende nicht übersehen, das womöglich interessanter ist. Historiker widersprechen sowieso. Vergleiche hinken oft. Historische Vergleiche sind immer falsch.
Denn Geschichte wiederholt sich nie. Kim Jong Uns Herrschaft funktioniert nach anderen Regeln als die von Stalin, auch wenn es Parallelen geben mag. Und Putin ist kein zweiter Hitler. Seine Grossmachtphantasien sind von anderem Zuschnitt als die der Nationalsozialisten, sein Herrschaftsverständnis sowieso, und Juden ausrotten will er auch nicht. So schlagend sie im Einzelnen sein mögen: Im Ganzen verwischen die Vergleiche mehr, als sie erklären. Womöglich verstellen sie sogar den Blick auf das, was wirklich wichtig ist.
Das Gesicht der Gewalt
Jede Gewaltherrschaft hat ein anderes Gesicht. Terror ist immer geprägt vom Milieu, in dem er entstanden ist. Von den Menschen, die ihn ausüben. Und vielleicht liegt das Gemeinsame an den grausamen Tyrannen der Geschichte nicht in der Mechanik ihrer Machtausübung. Sondern in etwas, was sich leicht beschwören, aber nur schwer benennen lässt. Sie verkörpern das Gegenteil all dessen, was gut und richtig ist: das Böse. Damit bewegt man sich dann endgültig jenseits historischer Kategorien und handelt sich den Vorwurf ein, ins Unverbindliche abzudriften, wo es doch um ganz Konkretes geht: um Verbrechen.
Das Böse ist keine Kategorie des Denkens mehr. Die Geschichtsschreibung hat es entsorgt. Ein unscharfer Begriff, analytisch ohne Nutzen. Wer vom Bösen spricht, dämonisiert, statt zu erklären. Und entschuldigt letztlich die Schurken, weil er deren Tun in die Sphäre des Schicksalhaften, Geheimnisvollen entrückt. Das lenkt davon ab, dass Schreckensherrschaften nur entstehen, wenn sich Despoten auf Helfershelfer stützen können. Auf Mitläufer, die ihre moralische Integrität opfern, aus Angst vor Repression, Dummheit oder um des eigenen Vorteils willen.
Dass es auf dem Abfallhaufen der Historiker gelandet ist, heisst nicht, dass es das Böse nicht mehr gäbe. Aber es darf es eigentlich nicht geben. Weil es an der Vorstellung vom Vernunftwesen Mensch kratzt. Und die aufklärerische Überzeugung ins Wanken bringt, in der Geschichte zeige sich nicht nur ein wissenschaftlicher und technischer, sondern auf die Länge auch ein moralischer Fortschritt.
Anderseits kann man das Böse nicht so leicht wegerklären. Deshalb versucht man, es zu bannen. Indem man es als ganz normales, artspezifisch verschieden ausgeprägtes Verhalten erklärt, wie der Verhaltensforscher Konrad Lorenz, der in seinem 1963 erschienenen Buch nicht vom Bösen, sondern vom «sogenannten Bösen» spricht. Oder indem man es als minderwertig, mickrig und unzulänglich entlarvt, wie die Philosophin Hannah Arendt.
Pfeifen im Wald
In ihrer Analyse des Prozesses gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann hat Arendt die Formel von der «Banalität des Bösen» geprägt. Dabei ging es ihr nicht darum, das Böse zu verharmlosen. Sie wollte zeigen, auf wie erschreckend biedere Weise es sich manifestieren kann. Indem sie am kleinbürgerlichen, auf Ruhe und Ordnung bedachten Beamten Eichmann darstellte, wie sich das Monströse verflüchtigt, wenn es in den Strudel von Gehorsam, Gedankenlosigkeit und bürokratischer Routine gerät, wollte sie ihm das Übermächtige, das Dämonische nehmen.
Damit ist das Böse der Lächerlichkeit preisgegeben, aber noch lange nicht unschädlich gemacht. Männer wie Eichmann haben die Todesmaschine der Nationalsozialisten in Gang gehalten. Aus Überzeugung und Pflichtbewusstsein. Ohne sie hätte ein Verbrecher wie Hitler seine tödliche Mission nicht umsetzen können. Auch Mao, Stalin und Pol Pot hatten Eichmanns, auf deren Dienste sie sich verlassen konnten. Der Spott über die Handlanger des Bösen ist so etwas wie das Pfeifen im Wald: der Triumph über eine Macht, die vielleicht gar keine ist.
Doch Geschichte ist nicht Psychologie. Historische Abläufe unterstehen dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Für die Frage, warum es auf der Welt Unrecht und Grausamkeit gibt, erklären sich die Historiker nicht zuständig. Darüber sollen Philosophen nachdenken. In der Geschichte gebe es Handlungen und Folgen, hat Leopold von Ranke im 19. Jahrhundert gelehrt. Als Historiker erklärte Karl Marx gesellschaftliche Verhältnisse aus Produktionsverhältnissen, Klassenkämpfen und Produktivkräften. Das Böse hat da so wenig zu suchen wie ein guter Gott, der den Weltlauf lenkt.
Böse Kaiser
Sogar die Theologen gehen dem Bösen aus dem Weg. Der Papst wollte es vor ein paar Jahren aus dem «Vater unser» streichen. Dabei ist die Welt voll von Figuren, die das Böse repräsentieren. Gewalttäter, Massenmörder, Schurken, denen Menschenleben nichts gelten, die ganze Völker ins Unglück stossen und zu allem bereit sind, um ihre Macht zu erhalten. Doch seit seiner Abschaffung in der Neuzeit ist das Böse keine Kraft mehr, die für das Schlechte in der Welt verantwortlich gemacht werden könnte. Sondern eine dunkle Gewalt, die in jedem Menschen schlummert und nur darauf wartet, geweckt zu werden.
Wenn das Schreckliche nicht mehr klar zugeordnet werden kann und womöglich in jedem von uns ein Hitler schlummert, wird es schwierig, Diktatoren als Personifikationen des Bösen zu verstehen. Wo es trotzdem geschieht, hat es meist einen ironischen Klang. «Böse Kaiser» lautete der Titel einer Ausstellung, die vor einiger Zeit in Wien zu sehen war. Es ging um römische Caesaren wie Caligula, Nero oder Commodus. Unheimliche Gestalten, zweifellos. Geltungssüchtig, rücksichtslos, brutal. Aber aus einer Zeit, die für uns im doppelten Sinn historisch geworden ist: längst vergangen und ohne Bedeutung für die Gegenwart.
Manchmal wird das Böse noch immer bemüht. Dann nämlich, wenn alle Erklärungsversuche an der Grösse des Unrechts scheitern. In seinem unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichten Buch «Die deutsche Katastrophe» verstieg sich der Historiker Friedrich Meinecke in Überlegungen zum Wesen der Geschichte. Vor allem darüber, wie die Prinzipien des Guten und Schlechten, des Göttlichen und Dämonischen in der deutschen Geschichte wirksam geworden seien. Die Aufgabe, schloss er, bestehe jetzt darin, «das Giftgewächs des Nationalsozialismus auszurotten».
Die schlummernde Bestie
Der Zweite Weltkrieg als Unkraut, das von niemandem gepflanzt wurde, das Morden als Pflanze, die unkontrolliert wucherte: Das verkennt die Tatsachen auf fatale Weise. Krieg, Gewalt und Mord sind keine Selbstläufer. Hinter jedem Verbrechen stehen Täter, die es begangen haben. Das Böse ist kein Naturgesetz, dem niemand etwas entgegenhalten kann. Damit es wirksam werden kann, braucht es Menschen, die sich ihm ergeben. Und solche, die es zulassen.
Dass Gewaltherrscher wie Hitler, Lenin, Stalin, Mao oder Pol Pot zu Personifikationen des Bösen stilisiert werden, ist verständlich. Aber es ist zugleich bequem und manchmal gefährlich, weil es leicht in eine negative Verklärung mündet. Vor allem aber führt es in die Irre, weil es verkennt, wie Macht, Gewalt und Repression funktionieren. Vielleicht muss man die grossen Verbrecher der Geschichte nicht als blosse Verkörperung des Bösen verstehen, sondern als Katalysatoren eines Bösen, das sich nicht so leicht fassen lässt, wie man sich das wünschen könnte.
Die schlimmsten Tyrannen der Geschichte
rib. Wladimir Putin, Kim Jong Un, Xi Jinping: Weltweit sind skrupellose Autokraten verantwortlich für Krieg, Gewalt und Angst. Um sie zu verstehen, werden Vergleiche bemüht: mit Hitler, Stalin, Mao. Aber wie sinnvoll sind solche Vergleiche? Was verbindet die Verbrecher der Gegenwart mit den Despoten der Geschichte? In den kommenden Wochen publizieren wir an dieser Stelle Texte von international renommierten Historikern, die sich mit der Frage befassen, wie Gewaltherrscher an die Macht kamen. Die Serie beginnt am 15. Juni mit Adolf Hitler.