Jeroen Jumelet / Imago
Die Szenen rund um das Fussballspiel gingen um die Welt, Spitzenpolitiker überboten sich mit Verurteilungen der antisemitischen Vorfälle. Amateurvideos zeigen ein differenziertes Bild der Eskalation.
Am Freitag fand in Budapest ein informeller EU-Gipfel statt. Gesucht wurden Rezepte gegen die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit – am emotionalsten wurden aber die Nachrichten diskutiert, die über Nacht aus Amsterdam hereingebrochen waren. «Ich bin empört über den abscheulichen Angriff auf israelische Bürger», sagte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. «Antisemitismus ist nicht akzeptabel», betonte der Ratspräsident Charles Michel. Ungarns Regierungschef Viktor Orban sagte, dass in Budapest «verschiedene Kulturen friedlich miteinander leben» und er dies auch Amsterdam wünsche.
Sie alle bezogen sich auf die Ereignisse, die sich nach dem Champions-League-Spiel zwischen Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv zugetragen hatten – und die nun in Paris, wo am Donnerstag ein Länderspiel zwischen Frankreich und Israel auf dem Programm steht, für Anspannung und helle Aufregung sorgen.
In der niederländischen Hauptstadt wurden israelische Fussballfans teilweise regelrecht durch die Strassen gejagt und brutal verprügelt. Amsterdams Stadtpräsidentin Femke Halsema sprach von einer «Hit and run»-Taktik der Angreifer. 62 Personen wurden verhaftet, fünf Personen mussten mit leichten Verletzungen vorübergehend hospitalisiert werden.
Die Attacken sind in den sozialen Netzwerken gut dokumentiert, die NZZ und andere Medien haben verschiedene Aufnahmen verifiziert. Zahlreiche Videos offenbaren eine antiisraelische und wohl auch antisemitische Haltung der Täter. Die Rekonstruktion der Ereignisse zeigt allerdings, dass die Gewalt nicht nur von mutmasslich arabischstämmigen Personen ausging, die gezielt jüdische Matchbesucher ins Visier nahmen.
Palästina-Fahne verbrannt
Wer die Eskalationsspirale in Gang setzte und welcher Angriff eine Reaktion auf einen vorherigen war, ist nicht zu ermitteln. Es kann nicht einmal mit abschliessender Sicherheit gesagt werden, dass die verschiedenen Vorfälle, die sich über einen Zeitraum von fast zwei Tagen und in verschiedenen Stadtteilen zutrugen, überhaupt einen Zusammenhang haben.
Klar ist jedenfalls, dass einige hundert Maccabi-Fans sich keinesfalls als harmlose Truppe gebärdeten, nachdem sie im Verlauf des Mittwochs in Amsterdam angekommen waren. Bereits an jenem Abend begannen die Unruhen, wie später auch der städtische Polizeichef bestätigte. Begleitet von «Fuck you, Palestine»-Rufen, kletterten Ultras an Fassaden hoch und entfernten Palästina-Fahnen. Mindestens eine Flagge wurde auf dem zentralen Dam-Platz verbrannt.
Die Fans skandierten hasserfüllte Parolen gegen die Bevölkerung des Gazastreifens. Es blieb nicht bei verbalen Provokationen. Taxifahrer, die in den Niederlanden oftmals arabischer Herkunft sind, waren mehrfach in die Tätlichkeiten involviert – gemäss ihrer Darstellung als Opfer. Ein Video zeigt, wie ein Mann mit einem Gurt oder einer Kette ein Taxi angreift und beschädigt. In einer weiteren Aufnahme ist ein Mann zu sehen, der übel zugerichtet wird. Gemäss der Person, die das Video auf X hochgeladen hat, handelt es sich um Maccabi-Fans, die auf einen Taxifahrer einprügeln. Die Angaben sind nicht unabhängig überprüfbar.
Intimidatie en vandalisme in onze stad: een Maccabi hooligan richt schade aan bij een taxi. Dit soort geweld tegen hardwerkende chauffeurs is onacceptabel. Tijd om Amsterdam weer veilig te maken! #StopGeweld #Amsterdam #SteunOnzeChauffeurs #Ajax pic.twitter.com/LdhLkQ1bLL
— Taxi Driver (@DutchTaxiDriver) November 7, 2024
Taxifahrer an Tumulten beteiligt
Am Donnerstag, dem Tag des Spiels, ging der Aufruhr weiter. Am Nachmittag gab es Auseinandersetzungen in der Innenstadt, bei denen propalästinensische Aktivisten gezielt israelische Fussballfans provozierten. Die Polizei nahm zwei Personen fest.
Während des Matchs selbst blieb es ruhig. Allerdings ignorierten die Maccabi-Fans die Schweigeminute zugunsten der Flutopfer von Valencia und setzten ihre Gesänge fort – angeblich weil Spanien auf internationaler Ebene eine israelkritische Haltung einnimmt.
Die Hetzjagden, von denen Bilder danach um die Welt gingen, fanden in der Nacht von Donnerstag auf Freitag statt. Israelische Staatsbürger wurden teilweise aufgefordert, ihren Pass zu zeigen, und fürchteten um ihr Leben. Videoaufnahmen zeigen aber auch, wie sich Maccabi-Hooligans nach dem Verlassen des Stadions mit Holzbrettern, Stangen und anderen Gegenständen bewaffneten und damit auf andere Personen losgingen. Die Taxifahrer hatten sich in der Zwischenzeit organisiert und nahmen ebenfalls an den Tumulten teil.
16-Jähriger war hautnah dabei
Eine besondere Rolle bei der Aufklärung der Ereignisse von Amsterdam spielt ausgerechnet ein Jugendlicher, der keinem traditionellen Medium zugeordnet werden kann. Der erst 16-jährige Youtuber namens Bender war bei den Ausschreitungen bis tief in die Nacht hautnah dabei – seine Zusammenstellung erreichte in der Folge ein Millionenpublikum.
Die Bilder, die er zusammen mit seinem Kameramann machte, zeigen die Scharmützel, die sich aggressive Maccabi-Fans mit der Polizei und mutmasslich propalästinensischen Stadtbewohnern liefern. Die Stimmung in den dunklen Strassen ist explosiv, mehrmals sind Schreie zu hören. Einmal fordert ein Fussballfan den für sein Alter erstaunlich kaltblütigen Reporter auf, sofort mit dem Filmen aufzuhören. Doch Bender macht weiter.
In Amsterdam sind die Vorfälle auch in der Woche danach noch das dominierende Thema, zumal sie nun auch politische Konsequenzen haben. Die Stadtpräsidentin Halsema erliess nach den Ausschreitungen kurzerhand ein Demonstrationsverbot und verlängerte es in der Folge bis Donnerstag. Doch dagegen gibt es juristischen Widerstand – in einem Eilverfahren wird ein Gericht wohl am Dienstag erneut überprüfen, ob die Massnahme rechtmässig ist.