Donald Trumps Wahlsieg löst in Russland Genugtuung aus. Man fühlt sich dem Republikaner nah. Das bedeutet aber nicht, dass es mit einer Annäherung der Grossmächte und einem «Deal» über die Ukraine einfach wird.
Präsident Wladimir Putin hat sich diesmal Zeit gelassen. Im Unterschied zu 2016, als er als einer der Ersten Donald Trump zur Wahl gratulierte, liess der Kreml diesmal gar offen, ob es eine Gratulation geben werde. Immerhin handle es sich um einen feindlichen Staat, der indirekt in der Ukraine gegen Russland Krieg führe, beschied Putins Sprecher. Am Donnerstagabend rang sich Putin jedoch zu einem Glückwunsch durch; nicht per Telegramm oder am Telefon, sondern öffentlich in Sotschi, bei seinem jährlichen Auftritt an der Tagung des Waldai-Klubs, einer Versammlung kremlfreundlicher russischer und ausländischer Politik-Experten.
Er äusserte sich anerkennend über den ehemaligen und neuen Präsidenten der USA: Vor allem dessen Tapferkeit beim Attentat im Juli habe ihn beeindruckt. Er glaube, Trump habe in der ersten Amtszeit noch unter den Fesseln des Systems gelitten. Was die zweite bringe, werde sich zeigen. Einem Dialog auf Augenhöhe stehe er positiv gegenüber. Noch während der mehr als vierstündigen, live übertragenen Veranstaltung in Sotschi liess Trump ausrichten: «Ich denke, wir werden miteinander sprechen.»
Die Russen mögen Trump
Vor einigen Monaten hatte Putin auf die Frage, wen er im amerikanischen Wahlkampf eher unterstütze, Donald Trump oder Kamala Harris, Letztere genannt. Viele waren überrascht. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass das kaum ganz ernst gemeint war und eher der Verwirrung des Feindes diente.
Trump übte schon immer auf viele Russen Faszination aus. Sein ungehobeltes Auftreten, seine Wortwahl und seine Absonderlichkeiten mögen sie nicht nur, weil sie ein schiefes Licht auf Amerika werfen. Trumps Ausrichtung auf ein konservatives Publikum, das die Rücksichtnahme auf gesellschaftliche Minderheiten für überbordend hält und sich im sozialen wie im sprachlichen Freiraum durch politische Korrektheit und «Wokeness» eingeschränkt fühlt, passt zu der vom russischen Regime vorangetriebenen und in der Bevölkerung weit verbreiteten Weltanschauung sehr gut. «Er ist ein wenig einer wie wir», zitiert das exilrussische Onlineportal Medusa eine anonyme Quelle aus dem Umkreis des Kremls.
Die stärkere Betonung der nationalen Interessen vor denjenigen supranationaler Strukturen sieht Moskau mit Genugtuung auch in Europa auf dem Vormarsch. Nicht zuletzt löst auch Trumps zerstörerisches Potenzial Frohlocken aus: Russische Funktionäre und Propagandisten im Fernsehen hatten auf Unruhen auf Amerikas Strassen nach den Wahlen spekuliert. Die zu erwartenden stärkeren Spannungen zwischen den USA und Europa spielen ebenfalls Moskau in die Hände. Die innere Schwäche Amerikas und transatlantischer Zwist dienten, so die Hoffnung, der Stärke Russlands.
Abrechnung mit der alten Weltordnung
Im Unterschied zu 2016 hält sich die Begeisterung über Trumps Wahlsieg aber in Grenzen. Bereits in der Vorwahlberichterstattung der staatlich kontrollierten Medien war mehr Zurückhaltung zu spüren gewesen als in früheren Jahren. Zum einen hatten sich die grandiosen Erwartungen von 2016 in keiner Weise erfüllt. Um den Verdacht von sich zu weisen, Trump sei Russlands amerikanischer Handlanger, erinnert Putin stets daran, dass Amerika erst unter Trump angefangen habe, am Laufmeter Sanktionen gegen Russland zu verhängen.
Zum andern haben sich die Zeiten dramatisch geändert. Hört man Putin, seinen Funktionären und Propagandisten zu, dann ist die von den USA getragene liberale Ordnung die Wurzel allen Übels auf der Welt. Bevor Putin am Donnerstagabend in der Fragerunde auf Trump zu sprechen kam, hatte er in einer Grundsatzrede einmal mehr das Ende der bisherigen Weltordnung und das Entstehen einer neuen, vielstimmigen und auf die Eigenständigkeit der einzelnen Staaten ausgerichteten verkündet. Dafür stehe die «Weltmehrheit» (mirowoje bolschinstwo), während die sich an ihr morsches Monopol klammernde Minderheit – der Westen – sich vergeblich und sinnloserweise gegen den unabänderlichen Wandel wehre.
Die Zeit des kolonialen Denkens, des Aufzwingens von Regeln und angeblich universellen Werten sei vorüber. Nie habe Russland anderen seinen Willen aufgezwungen und andere belehrt, behauptete Putin kühn. Der Westen habe am Ende des Kalten Kriegs die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Erweiterung der Nato habe Russland als eine schleichende Intervention mit dem Ziel, das Land zu zerstören, wahrgenommen. In dieser Bedrohung und der Erniedrigung Russlands verortete er den Grund für den Krieg gegen die Ukraine. Dieser sei Russland aufgezwungen worden; von sich aus übe Russland keine Gewalt aus. Den europäischen Politikern fehle es an Hirn. Putin scheint mit sich vollkommen im Reinen zu sein und fühlt sich stark.
Hürden für einen Frieden in der Ukraine
Auch Trump ist zwar ein Zerstörer alter Gewissheiten. Aber die Weltordnung, die Putin vertritt, hat mit amerikanischen Vorstellungen, auch denen von Trump, wenig gemein. Dessen Wahl ändert erst einmal nichts an dem bis zur Hochspannung aufgeladenen Gegensatz zwischen Russland und den USA. Das Aussenministerium schrieb denn auch, Russland hege keinerlei Illusionen; der Wahlsieger sei wohlbekannt. Russland werde strikt seine nationalen Interessen verfolgen und die Ziele der «Spezialoperation» in der Ukraine erreichen.
Der Ukraine-Krieg könnte zum Lackmustest dafür werden, ob es zu einer neuen Ära in den russisch-amerikanischen Beziehungen kommt. Trump hatte angekündigt, diesen sehr schnell zu beenden, und Ansätze dazu, wie das aussehen könnte, zirkulieren in amerikanischen Medien. Putin zeigte sich in Sotschi offen für Gespräche darüber, aber machte Russlands Bedingungen klar: die Ergebnisse der Verhandlungen vom Frühjahr 2022 in Istanbul sowie die territorialen «Realitäten».
Beobachter geben zu bedenken, dass Putin an einem schnell verhandelten Frieden gar nicht interessiert sei. Er sieht sich auf dem Schlachtfeld und dank der Kriegsmüdigkeit in Europa und Amerika im Vorteil, und er weiss, dass er sich innen- und wirtschaftspolitisch vom Krieg abhängig gemacht hat. Russlands Ziele gehen über einen Waffenstillstand hinaus; dieser wäre allenfalls höchstens ein Mittel, um neue Kräfte zu schöpfen.
Ziel ist die politische Unterwerfung der Ukraine. Mit einem neutralen, faktisch demilitarisierten und um die Krim, den Donbass und den Südosten geschrumpften Land wäre das leicht zu erreichen. Im Sommer hatte Putin überdies eine eurasische Sicherheitsarchitektur skizziert, die an die im Dezember 2021 der Nato und den USA vorgelegten «Sicherheitsgarantien» angelehnt ist. Diese sehen faktisch Amerikas militärischen Rückzug aus Europa vor.
Dass Trump zu derart weitreichenden Konzessionen an Putin bereit ist und auch die Wirtschaftssanktionen aufhebt, ist wenig wahrscheinlich. Ausgeschlossen ist nichts. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, ein Freund Trumps und Putins, meinte am Donnerstag, die Veränderungen kämen jetzt schneller, als man denke.